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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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dern und zu vertheidigen, ist aber gegenwärtig solidarisch mit Oesterreich ver¬
bunden, das hierdurch stark genug ist, um eine unabhängige Politik auf der
Balkanhalbinsel zu verfolgen. Ein Hinzutreten Rußlands zum Zweikaiser¬
bunde würde eine Verständigung desselben mit Oesterreich voraussetzen, und zu
dieser Verständigung würde gehören, daß man russischerseits Oesterreich im Be¬
sitze von Bosnien und der Herzegowina ließe und sein weiteres Vordringen
nach dem Süden der Hämusläuder nicht zu hindern verspräche. Der Plau
eines Bundes slavischer Staaten unter Rußlands Hegemonie müßte aufgegeben
werden. Daran aber denkt man in Petersburg nicht, und die Vereinigung Ost-
rumeliens mit Bulgarien wird von dort aus mit Eifer vorbereitet. Hätte mau
vor 1879 Oesterreichs Einwilligung zu letzterer durch Zugeständnisse zu erkaufen
gesucht, so würde dies in Wien vielleicht nicht abgelehnt worden sein. Jetzt,
wo man hier an Deutschland eine feste Stütze hat, ist es kaum denkbar. Ru߬
land will auf seine Absichten in den Balkanländern nicht verzichten, Oesterreich-
Ungarn darf die seinigen nicht aufgeben, beide Staaten sind also Nebenbuhler,
und ein Zusammengehen beider würde, selbst wenn jetzt ein Abkommen zu
Stande kommen sollte, immer ein unnatürliches und in Folge dessen unhaltbares
Verhältniß sein. Als Rußland noch die Stelle des Dritten im sogenannten
Dreikaiserbnnde einnahm, war es lediglich in der Hoffnung beigetreten, seine
Verbündeten in seine Bahnen lenken zu können, aber diese Politik hatte nicht
den günstigen Erfolg, den Rußland von ihr erwartete, und so wird sie schwer¬
lich wieder aufgenommen werden. Rußlands Blicke sind vielmehr auf England
gerichtet, wo Gladstones Schwärmerei für die christlichen Völkerschaften in der
europäischen Türkei und sein an Oesterreich gerichteter Zuruf: Htmäs oM
Hoffnungen auf Unterstützung der in Petersburg gehegten Absichten bis zu einem
gewissen Grade erregt hat.

Mit vorstehendem sind aber die Combinationen, die sich in den letzten
Monaten an die Thatsache des deutsch-österreichischen Bündnisses knüpften und
Anschlusse an dasselbe empfahlen oder als schon vollzogen berichteten, noch nicht
erschöpft. Sobald eine Wendung eingetreten zu sein schien, die an der Einigkeit
der sechs Großmächte zweifeln ließ, war, wenn man der Presse Glauben schenken
durfte, sofort eine neue Coalition im Entstehen oder bereits fertig. Auf die
Nachricht, daß ein Wiederaufleben des Dreikaiserbuudes bevorstehe oder minde¬
stens von Rußland gewünscht und erstrebt werde, folgte in einem großen Wiener
Blatte die überraschende Kunde, daß Italien, verstimmt über Frankreichs Hal¬
tung in der tunesischen Angelegenheit, sich dem verbündeten Mitteleuropa zu
nähern suche. Der Ministerrath in Rom habe die Frage behandelt, was angesichts
der unfreundlichen Haltung der Pariser Regierung in dieser Sache zu thun sei,
um einer Isolierung Italiens vorzubeugen, und Cairoli habe geäußert, er sei ent-


dern und zu vertheidigen, ist aber gegenwärtig solidarisch mit Oesterreich ver¬
bunden, das hierdurch stark genug ist, um eine unabhängige Politik auf der
Balkanhalbinsel zu verfolgen. Ein Hinzutreten Rußlands zum Zweikaiser¬
bunde würde eine Verständigung desselben mit Oesterreich voraussetzen, und zu
dieser Verständigung würde gehören, daß man russischerseits Oesterreich im Be¬
sitze von Bosnien und der Herzegowina ließe und sein weiteres Vordringen
nach dem Süden der Hämusläuder nicht zu hindern verspräche. Der Plau
eines Bundes slavischer Staaten unter Rußlands Hegemonie müßte aufgegeben
werden. Daran aber denkt man in Petersburg nicht, und die Vereinigung Ost-
rumeliens mit Bulgarien wird von dort aus mit Eifer vorbereitet. Hätte mau
vor 1879 Oesterreichs Einwilligung zu letzterer durch Zugeständnisse zu erkaufen
gesucht, so würde dies in Wien vielleicht nicht abgelehnt worden sein. Jetzt,
wo man hier an Deutschland eine feste Stütze hat, ist es kaum denkbar. Ru߬
land will auf seine Absichten in den Balkanländern nicht verzichten, Oesterreich-
Ungarn darf die seinigen nicht aufgeben, beide Staaten sind also Nebenbuhler,
und ein Zusammengehen beider würde, selbst wenn jetzt ein Abkommen zu
Stande kommen sollte, immer ein unnatürliches und in Folge dessen unhaltbares
Verhältniß sein. Als Rußland noch die Stelle des Dritten im sogenannten
Dreikaiserbnnde einnahm, war es lediglich in der Hoffnung beigetreten, seine
Verbündeten in seine Bahnen lenken zu können, aber diese Politik hatte nicht
den günstigen Erfolg, den Rußland von ihr erwartete, und so wird sie schwer¬
lich wieder aufgenommen werden. Rußlands Blicke sind vielmehr auf England
gerichtet, wo Gladstones Schwärmerei für die christlichen Völkerschaften in der
europäischen Türkei und sein an Oesterreich gerichteter Zuruf: Htmäs oM
Hoffnungen auf Unterstützung der in Petersburg gehegten Absichten bis zu einem
gewissen Grade erregt hat.

Mit vorstehendem sind aber die Combinationen, die sich in den letzten
Monaten an die Thatsache des deutsch-österreichischen Bündnisses knüpften und
Anschlusse an dasselbe empfahlen oder als schon vollzogen berichteten, noch nicht
erschöpft. Sobald eine Wendung eingetreten zu sein schien, die an der Einigkeit
der sechs Großmächte zweifeln ließ, war, wenn man der Presse Glauben schenken
durfte, sofort eine neue Coalition im Entstehen oder bereits fertig. Auf die
Nachricht, daß ein Wiederaufleben des Dreikaiserbuudes bevorstehe oder minde¬
stens von Rußland gewünscht und erstrebt werde, folgte in einem großen Wiener
Blatte die überraschende Kunde, daß Italien, verstimmt über Frankreichs Hal¬
tung in der tunesischen Angelegenheit, sich dem verbündeten Mitteleuropa zu
nähern suche. Der Ministerrath in Rom habe die Frage behandelt, was angesichts
der unfreundlichen Haltung der Pariser Regierung in dieser Sache zu thun sei,
um einer Isolierung Italiens vorzubeugen, und Cairoli habe geäußert, er sei ent-


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[0174] dern und zu vertheidigen, ist aber gegenwärtig solidarisch mit Oesterreich ver¬ bunden, das hierdurch stark genug ist, um eine unabhängige Politik auf der Balkanhalbinsel zu verfolgen. Ein Hinzutreten Rußlands zum Zweikaiser¬ bunde würde eine Verständigung desselben mit Oesterreich voraussetzen, und zu dieser Verständigung würde gehören, daß man russischerseits Oesterreich im Be¬ sitze von Bosnien und der Herzegowina ließe und sein weiteres Vordringen nach dem Süden der Hämusläuder nicht zu hindern verspräche. Der Plau eines Bundes slavischer Staaten unter Rußlands Hegemonie müßte aufgegeben werden. Daran aber denkt man in Petersburg nicht, und die Vereinigung Ost- rumeliens mit Bulgarien wird von dort aus mit Eifer vorbereitet. Hätte mau vor 1879 Oesterreichs Einwilligung zu letzterer durch Zugeständnisse zu erkaufen gesucht, so würde dies in Wien vielleicht nicht abgelehnt worden sein. Jetzt, wo man hier an Deutschland eine feste Stütze hat, ist es kaum denkbar. Ru߬ land will auf seine Absichten in den Balkanländern nicht verzichten, Oesterreich- Ungarn darf die seinigen nicht aufgeben, beide Staaten sind also Nebenbuhler, und ein Zusammengehen beider würde, selbst wenn jetzt ein Abkommen zu Stande kommen sollte, immer ein unnatürliches und in Folge dessen unhaltbares Verhältniß sein. Als Rußland noch die Stelle des Dritten im sogenannten Dreikaiserbnnde einnahm, war es lediglich in der Hoffnung beigetreten, seine Verbündeten in seine Bahnen lenken zu können, aber diese Politik hatte nicht den günstigen Erfolg, den Rußland von ihr erwartete, und so wird sie schwer¬ lich wieder aufgenommen werden. Rußlands Blicke sind vielmehr auf England gerichtet, wo Gladstones Schwärmerei für die christlichen Völkerschaften in der europäischen Türkei und sein an Oesterreich gerichteter Zuruf: Htmäs oM Hoffnungen auf Unterstützung der in Petersburg gehegten Absichten bis zu einem gewissen Grade erregt hat. Mit vorstehendem sind aber die Combinationen, die sich in den letzten Monaten an die Thatsache des deutsch-österreichischen Bündnisses knüpften und Anschlusse an dasselbe empfahlen oder als schon vollzogen berichteten, noch nicht erschöpft. Sobald eine Wendung eingetreten zu sein schien, die an der Einigkeit der sechs Großmächte zweifeln ließ, war, wenn man der Presse Glauben schenken durfte, sofort eine neue Coalition im Entstehen oder bereits fertig. Auf die Nachricht, daß ein Wiederaufleben des Dreikaiserbuudes bevorstehe oder minde¬ stens von Rußland gewünscht und erstrebt werde, folgte in einem großen Wiener Blatte die überraschende Kunde, daß Italien, verstimmt über Frankreichs Hal¬ tung in der tunesischen Angelegenheit, sich dem verbündeten Mitteleuropa zu nähern suche. Der Ministerrath in Rom habe die Frage behandelt, was angesichts der unfreundlichen Haltung der Pariser Regierung in dieser Sache zu thun sei, um einer Isolierung Italiens vorzubeugen, und Cairoli habe geäußert, er sei ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/174>, abgerufen am 29.12.2024.