Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Geneigtheit kund, der deutsch-österreichischen Allianz beizutreten, und in Berlin Zwar wird uns von Petersburg her in verschiedenen Tonarten versichert, Das sind schöne Worte, die aber keine überzeugende Kraft haben. Der Geneigtheit kund, der deutsch-österreichischen Allianz beizutreten, und in Berlin Zwar wird uns von Petersburg her in verschiedenen Tonarten versichert, Das sind schöne Worte, die aber keine überzeugende Kraft haben. Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147820"/> <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494"> Geneigtheit kund, der deutsch-österreichischen Allianz beizutreten, und in Berlin<lb/> begegne man diesen Wünschen mit Sympathie. Beides war offenbar Erfindung<lb/> oder Mißverständniß der Thatsache, daß Rußland in den letzten Monaten weniger<lb/> Gereiztheit gegen Deutschland an den Tag gelegt hat als vorher, und daß die<lb/> deutsche Politik ebenso wenig wie die österreichische Ursache hat, durch Schroff¬<lb/> heiten den Nachbar im Osten zu erbittern, daß sie im Gegentheile Befriedigung<lb/> empfinden muß, wenn es gelingt, den Zusammenstoß mit letzterem, der mensch¬<lb/> licher Berechnung zufolge doch einmal kommen muß, noch lange fern zu halten.<lb/> An ein Bündniß der alliierten mitteleuropäischen Reiche mit Rußland ist, wie<lb/> die Dinge sich nach dem letzten orientalischen Kriege gestaltet haben, nicht wohl<lb/> zu denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_496"> Zwar wird uns von Petersburg her in verschiedenen Tonarten versichert,<lb/> Rußland sei bereit, die Interessensphäre Oesterreich - Ungarns auf der Balkan-<lb/> Halbinsel zu achten, und der Panslavismus habe in Rußland nur wissenschaft¬<lb/> liche Bedeutung. Seine Bestrebungen wären zwar in gewissen Momenten einem<lb/> pathologischen Auswüchse gleich am Organismus der staatlichen Politik empor¬<lb/> gewuchert, stets aber habe man sie zur rechten Stunde in den Winkel der Un¬<lb/> schädlichkeit znrückverbannt. Er werde die Politik Rußlands niemals bestimmen,<lb/> und so würde man klug thun, von der Meinung zurückzukommen, Rußland<lb/> nehme allen Einfluß auf der Balkanhalbinsel für sich in Anspruch. Dasselbe<lb/> könnte wie früher sich entschließen, sich auf sich allein zurückzuziehen, da es<lb/> wenig Ursache habe, das, was man seine Isolierung nenne, besonders zu fürchten.<lb/> Sollte jedoch der Gang der Ereignisse wieder sein actives Eingreifen in die<lb/> Politik erfordern, so werde es sicherlich nichts versäumen, was es ihm ermög¬<lb/> liche, an seiner Seite die Mächte wiederzufinden, welche Stellung und Tradition<lb/> so lauge zu seinen Alliierten gemacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_497" next="#ID_498"> Das sind schöne Worte, die aber keine überzeugende Kraft haben. Der<lb/> Panslavistische Gedanke ist in Rußland eine Macht, mit der man rechnen muß,<lb/> und von der sich die Regierung beim besten Willen nicht losmachen könnte.<lb/> Der Werth, den eine aufrichtige Annäherung Rußlands an die Coalition Deutsch¬<lb/> lands und Oesterreich-Ungarns haben könnte, foll nicht unterschätzt werden, da<lb/> die Türkei kaum noch die Kraft zu langem Leben besitzt. Handelte es sich nur<lb/> um die Türken, so würde Oesterreich-Ungarn sich ohne allzu große Schwierig¬<lb/> keit mit Rußland einigen können. Die orientalische Frage würde aber mit der<lb/> Beseitigung der Türkenherrschaft im Südosten Europas keineswegs gelöst sein,<lb/> sondern erst jetzt brennend werden. Man Hütte dann die panslavistische Revo¬<lb/> lution zu erwarten, deren Endziel die Auflösung der österreichisch-ungarischen<lb/> Monarchie ist, und die in Rußland ihr Centrum und ihre mächtigsten Hilfs¬<lb/> quellen hat. Deutschland hat im Orient keine unmittelbaren Interessen zu for-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
Geneigtheit kund, der deutsch-österreichischen Allianz beizutreten, und in Berlin
begegne man diesen Wünschen mit Sympathie. Beides war offenbar Erfindung
oder Mißverständniß der Thatsache, daß Rußland in den letzten Monaten weniger
Gereiztheit gegen Deutschland an den Tag gelegt hat als vorher, und daß die
deutsche Politik ebenso wenig wie die österreichische Ursache hat, durch Schroff¬
heiten den Nachbar im Osten zu erbittern, daß sie im Gegentheile Befriedigung
empfinden muß, wenn es gelingt, den Zusammenstoß mit letzterem, der mensch¬
licher Berechnung zufolge doch einmal kommen muß, noch lange fern zu halten.
An ein Bündniß der alliierten mitteleuropäischen Reiche mit Rußland ist, wie
die Dinge sich nach dem letzten orientalischen Kriege gestaltet haben, nicht wohl
zu denken.
Zwar wird uns von Petersburg her in verschiedenen Tonarten versichert,
Rußland sei bereit, die Interessensphäre Oesterreich - Ungarns auf der Balkan-
Halbinsel zu achten, und der Panslavismus habe in Rußland nur wissenschaft¬
liche Bedeutung. Seine Bestrebungen wären zwar in gewissen Momenten einem
pathologischen Auswüchse gleich am Organismus der staatlichen Politik empor¬
gewuchert, stets aber habe man sie zur rechten Stunde in den Winkel der Un¬
schädlichkeit znrückverbannt. Er werde die Politik Rußlands niemals bestimmen,
und so würde man klug thun, von der Meinung zurückzukommen, Rußland
nehme allen Einfluß auf der Balkanhalbinsel für sich in Anspruch. Dasselbe
könnte wie früher sich entschließen, sich auf sich allein zurückzuziehen, da es
wenig Ursache habe, das, was man seine Isolierung nenne, besonders zu fürchten.
Sollte jedoch der Gang der Ereignisse wieder sein actives Eingreifen in die
Politik erfordern, so werde es sicherlich nichts versäumen, was es ihm ermög¬
liche, an seiner Seite die Mächte wiederzufinden, welche Stellung und Tradition
so lauge zu seinen Alliierten gemacht.
Das sind schöne Worte, die aber keine überzeugende Kraft haben. Der
Panslavistische Gedanke ist in Rußland eine Macht, mit der man rechnen muß,
und von der sich die Regierung beim besten Willen nicht losmachen könnte.
Der Werth, den eine aufrichtige Annäherung Rußlands an die Coalition Deutsch¬
lands und Oesterreich-Ungarns haben könnte, foll nicht unterschätzt werden, da
die Türkei kaum noch die Kraft zu langem Leben besitzt. Handelte es sich nur
um die Türken, so würde Oesterreich-Ungarn sich ohne allzu große Schwierig¬
keit mit Rußland einigen können. Die orientalische Frage würde aber mit der
Beseitigung der Türkenherrschaft im Südosten Europas keineswegs gelöst sein,
sondern erst jetzt brennend werden. Man Hütte dann die panslavistische Revo¬
lution zu erwarten, deren Endziel die Auflösung der österreichisch-ungarischen
Monarchie ist, und die in Rußland ihr Centrum und ihre mächtigsten Hilfs¬
quellen hat. Deutschland hat im Orient keine unmittelbaren Interessen zu for-
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