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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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einer Versöhnung und Verbindung mit Deutschland nicht minder große Vor¬
theile zu erwarten. Denn dadurch erst wäre die französische Republik vor allen
Stürmen sicher gestellt, dadurch erst wäre sie in den Stand gesetzt, ihre aus¬
wärtigen Interessen, namentlich die in den Ländern des Mittelmeeres, mit
Energie zu verfolgen.

Daß ein Theil der französischen Presse sich den hier entwickelten Gedanken
zuzuwenden begonnen hat, ist mit mehreren Beispielen zu belegen. In einer
Widerlegung der radicalen Blätter, welche Frankreich die strengste Enthaltung
von jeder auswärtigen Action zur Pflicht gemacht, sagte Gabriel Charmes vor
etwa acht Tagen im -lournal ass vöbg.es u. a.: "Unsere Grenze wurde vor
zehn Jahren infolge von Niederlage!: zerrissen, welche unmittelbar einer ver-
abscheuenswerthen Politik entsprangen. Seit jener Zeit blieben unsere Blicke an
der blutenden Wunde unsrer Verlornen Provinzen haften. Das ist nur allzu
begreiflich, und wir wollen keineswegs ein Gefühl tadeln, das wir aus Herzens¬
grunde theilen. Allein man darf nicht vergessen, daß Frankreich noch andere
Grenzen als die Vogesen hat, und daß am mittelländischen Meere Ereignisse
bevorstehen dürften, die ihm vielleicht noch empfindlicher sein könnten, als was
in Elsaß und Lothringen geschah. Gewiß ist die Zeit vorbei, wo das Mittelmeer
ein französischer See genannt zu werden verdiente. Es ist nunmehr ein euro¬
päischer See, wo alle Nationen an der Ausdehnung ihrer Macht arbeiten ... .
Wenn wir gestatteten, daß die orientalische Frage ohne uns und gegen uns ge¬
löst würde, wenn wir unsere Rechte und die unsrer Bundesgenosse" zu wahren
versäumten, wenn wir den europäischen Rivalitäten jene schönen Gegenden über¬
ließen, wo unser Einfluß ehedem vorwiegend war, so würde dadurch uicht nur
unser nationales Ansehen, sondern auch unser materieller Wohlstand getroffen,
auf den wir so stolz sind, und der uns manchmal über unser Unglück hinweg¬
geholfen hat. An dem Tage, wo wir in: Morgenlande nichts mehr und andere
europäische Großmächte (England und Nußland sind gemeint) alles sein werden,
wird es um unsern Handel in: Mittelmeere, unsere Zukunft in Asien und den
Verkehr in unsern südlichen Häfen geschehen, wird eine der ergiebigsten Quellen
unseres nationalen Reichthums versiegt sein." Da ein Artikel der Röxudli^rw
I^any-usf fast genau dieselben Betrachtungen anstellt, liegt die Annahme nahe,
daß die Anregung zu beiden Aufsätzen von einer höhern Stelle ausgegangen ist.

Kurz nach der Zeit, wo der Artikel des "deutschen Reichstagsabgeordneten" er¬
schien, tauchten infolge der Spannung, welche Gambettas Cherbourger Rede zwi¬
schen Deutschland und Frankreich hervorgerufen, in der deutschen und österreichi¬
schen Presse Gerüchte von einer Wiederannäherung Rußlands an Deutschland und
der Möglichkeit einer Wiederherstellung des sogenannten Dreikaiserbundes auf. In
auswärtigen Blättern las man, seit geraumer Zeit schon gebe sich in Petersburg


einer Versöhnung und Verbindung mit Deutschland nicht minder große Vor¬
theile zu erwarten. Denn dadurch erst wäre die französische Republik vor allen
Stürmen sicher gestellt, dadurch erst wäre sie in den Stand gesetzt, ihre aus¬
wärtigen Interessen, namentlich die in den Ländern des Mittelmeeres, mit
Energie zu verfolgen.

Daß ein Theil der französischen Presse sich den hier entwickelten Gedanken
zuzuwenden begonnen hat, ist mit mehreren Beispielen zu belegen. In einer
Widerlegung der radicalen Blätter, welche Frankreich die strengste Enthaltung
von jeder auswärtigen Action zur Pflicht gemacht, sagte Gabriel Charmes vor
etwa acht Tagen im -lournal ass vöbg.es u. a.: „Unsere Grenze wurde vor
zehn Jahren infolge von Niederlage!: zerrissen, welche unmittelbar einer ver-
abscheuenswerthen Politik entsprangen. Seit jener Zeit blieben unsere Blicke an
der blutenden Wunde unsrer Verlornen Provinzen haften. Das ist nur allzu
begreiflich, und wir wollen keineswegs ein Gefühl tadeln, das wir aus Herzens¬
grunde theilen. Allein man darf nicht vergessen, daß Frankreich noch andere
Grenzen als die Vogesen hat, und daß am mittelländischen Meere Ereignisse
bevorstehen dürften, die ihm vielleicht noch empfindlicher sein könnten, als was
in Elsaß und Lothringen geschah. Gewiß ist die Zeit vorbei, wo das Mittelmeer
ein französischer See genannt zu werden verdiente. Es ist nunmehr ein euro¬
päischer See, wo alle Nationen an der Ausdehnung ihrer Macht arbeiten ... .
Wenn wir gestatteten, daß die orientalische Frage ohne uns und gegen uns ge¬
löst würde, wenn wir unsere Rechte und die unsrer Bundesgenosse» zu wahren
versäumten, wenn wir den europäischen Rivalitäten jene schönen Gegenden über¬
ließen, wo unser Einfluß ehedem vorwiegend war, so würde dadurch uicht nur
unser nationales Ansehen, sondern auch unser materieller Wohlstand getroffen,
auf den wir so stolz sind, und der uns manchmal über unser Unglück hinweg¬
geholfen hat. An dem Tage, wo wir in: Morgenlande nichts mehr und andere
europäische Großmächte (England und Nußland sind gemeint) alles sein werden,
wird es um unsern Handel in: Mittelmeere, unsere Zukunft in Asien und den
Verkehr in unsern südlichen Häfen geschehen, wird eine der ergiebigsten Quellen
unseres nationalen Reichthums versiegt sein." Da ein Artikel der Röxudli^rw
I^any-usf fast genau dieselben Betrachtungen anstellt, liegt die Annahme nahe,
daß die Anregung zu beiden Aufsätzen von einer höhern Stelle ausgegangen ist.

Kurz nach der Zeit, wo der Artikel des „deutschen Reichstagsabgeordneten" er¬
schien, tauchten infolge der Spannung, welche Gambettas Cherbourger Rede zwi¬
schen Deutschland und Frankreich hervorgerufen, in der deutschen und österreichi¬
schen Presse Gerüchte von einer Wiederannäherung Rußlands an Deutschland und
der Möglichkeit einer Wiederherstellung des sogenannten Dreikaiserbundes auf. In
auswärtigen Blättern las man, seit geraumer Zeit schon gebe sich in Petersburg


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[0172] einer Versöhnung und Verbindung mit Deutschland nicht minder große Vor¬ theile zu erwarten. Denn dadurch erst wäre die französische Republik vor allen Stürmen sicher gestellt, dadurch erst wäre sie in den Stand gesetzt, ihre aus¬ wärtigen Interessen, namentlich die in den Ländern des Mittelmeeres, mit Energie zu verfolgen. Daß ein Theil der französischen Presse sich den hier entwickelten Gedanken zuzuwenden begonnen hat, ist mit mehreren Beispielen zu belegen. In einer Widerlegung der radicalen Blätter, welche Frankreich die strengste Enthaltung von jeder auswärtigen Action zur Pflicht gemacht, sagte Gabriel Charmes vor etwa acht Tagen im -lournal ass vöbg.es u. a.: „Unsere Grenze wurde vor zehn Jahren infolge von Niederlage!: zerrissen, welche unmittelbar einer ver- abscheuenswerthen Politik entsprangen. Seit jener Zeit blieben unsere Blicke an der blutenden Wunde unsrer Verlornen Provinzen haften. Das ist nur allzu begreiflich, und wir wollen keineswegs ein Gefühl tadeln, das wir aus Herzens¬ grunde theilen. Allein man darf nicht vergessen, daß Frankreich noch andere Grenzen als die Vogesen hat, und daß am mittelländischen Meere Ereignisse bevorstehen dürften, die ihm vielleicht noch empfindlicher sein könnten, als was in Elsaß und Lothringen geschah. Gewiß ist die Zeit vorbei, wo das Mittelmeer ein französischer See genannt zu werden verdiente. Es ist nunmehr ein euro¬ päischer See, wo alle Nationen an der Ausdehnung ihrer Macht arbeiten ... . Wenn wir gestatteten, daß die orientalische Frage ohne uns und gegen uns ge¬ löst würde, wenn wir unsere Rechte und die unsrer Bundesgenosse» zu wahren versäumten, wenn wir den europäischen Rivalitäten jene schönen Gegenden über¬ ließen, wo unser Einfluß ehedem vorwiegend war, so würde dadurch uicht nur unser nationales Ansehen, sondern auch unser materieller Wohlstand getroffen, auf den wir so stolz sind, und der uns manchmal über unser Unglück hinweg¬ geholfen hat. An dem Tage, wo wir in: Morgenlande nichts mehr und andere europäische Großmächte (England und Nußland sind gemeint) alles sein werden, wird es um unsern Handel in: Mittelmeere, unsere Zukunft in Asien und den Verkehr in unsern südlichen Häfen geschehen, wird eine der ergiebigsten Quellen unseres nationalen Reichthums versiegt sein." Da ein Artikel der Röxudli^rw I^any-usf fast genau dieselben Betrachtungen anstellt, liegt die Annahme nahe, daß die Anregung zu beiden Aufsätzen von einer höhern Stelle ausgegangen ist. Kurz nach der Zeit, wo der Artikel des „deutschen Reichstagsabgeordneten" er¬ schien, tauchten infolge der Spannung, welche Gambettas Cherbourger Rede zwi¬ schen Deutschland und Frankreich hervorgerufen, in der deutschen und österreichi¬ schen Presse Gerüchte von einer Wiederannäherung Rußlands an Deutschland und der Möglichkeit einer Wiederherstellung des sogenannten Dreikaiserbundes auf. In auswärtigen Blättern las man, seit geraumer Zeit schon gebe sich in Petersburg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/172>, abgerufen am 29.12.2024.