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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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mit demselben ringenden Cultur täglich mehr gefährde. Daher horchte man
erstaunt und ungläubig auf, als der König die Bürger von Köln anredete:
"Meine Herren von Köln, es begiebt sich Großes unter Ihnen." Man sah das
Große nicht, man wußte, daß dieser "Brndersinn aller Deutschen, aller Bekennt¬
nisse", den der König als Schöpfer des Dombaues rühmte, sich allenfalls zu
gemeinsamen -- wer weiß, ob bis zum Ziele ausreichenden? -- Sammlungen
verstehen, aber keine ernsthafte Probe bestehen könne. Und so war es ja auch:
die Einheit Deutschlands, welche der König 1842 pries, war keine wahre; sie
konnte weder zu heilsamen Institutionen gelangen, noch "den Frieden der Welt
unblutig erzwingen", der sich überhaupt niemals erzwingen läßt. Die officielle
Einheit des Festtages von 1842 ging sechs Jahre und acht Jahre darauf schreck¬
lich in die Brüche, Friedrich Wilhelm IV. sah selbst beinahe das Schwert in
seine Hand gedrückt, und wie sehr er auch die "Revolution" mit doppeltem
Grimm zu hassen fortfuhr, die es ihm hatte in die Hand drücken wollen, so
viel konnte er doch selbst sich nicht mehr verbergen, daß seine Mitträger der
Einheit, wie er sie glaubte und wünschte, nicht von allgemeinem Brudersiun,
sondern von egoistisch harten und engherzigen Bestrebungen erfüllt waren. Die
Einheit Deutschlands konnte nur durch Blut und Eisen gegründet werde" uach
dem berühmten Ausspruche ihres Schöpfers, dem wir vielleicht hinzufügen dürfen:
sie konnte nur durch kühnsten Wagemuth bei der kühlsten Berechnung gegründet
werden.

Wie kommt es nun, daß die Vollendung des Kölner Domes, vor achtund¬
dreißig Jahren in einem Sinne geplant, den die damalige Zeit verwarf und
dessen Schwäche die Folgezeit unerbittlich zu Tage gebracht, heute die Nation
zu allgemeinem Jubel hinreißt? Wir glauben, die Antwort folgendermaßen
geben zu können: Weil große symbolische Werke ihr Recht, die Herzen zu er¬
greifen, aus den großen Thaten schöpfen, die ihnen vorausgegangen. Heute
liegen solche Thaten vor, und wir freuen uns des Kölner Domes, weil wir
aus jenen Thaten das Recht der Freude schöpfen dürfen. Wir wandten uus
vor achtunddreißig Jahren von der Stimme Friedrich Wilhelms IV. ab, weil
das symbolische Werk die Verherrlichung eines schnöden Zustandes darzustellen
bestimmt schien. Nachdem das Reich wiedergewonnen, dürfen wir auch den
Dom bauen, mit welchem das 13. Jahrhundert, zugleich der Höhepunkt und
der Verfall des Geistes, der im alten Reiche waltete, diesen Geist ausdrücken
wollte.

Aber giebt es dem: zwischen dem 13. Jahrhundert und unserer Gegenwart
eine lebendige Berührung? Ist jene Zeit nicht mit allen Wurzeln verdorrt, und
ist es darum nicht eine Thorheit, aus dem Ausbau ihrer größten Ruine das
Symbol unserer Gegenwart zu mache"? Man weiß, wie dieser Gedanke, ramene-


mit demselben ringenden Cultur täglich mehr gefährde. Daher horchte man
erstaunt und ungläubig auf, als der König die Bürger von Köln anredete:
„Meine Herren von Köln, es begiebt sich Großes unter Ihnen." Man sah das
Große nicht, man wußte, daß dieser „Brndersinn aller Deutschen, aller Bekennt¬
nisse", den der König als Schöpfer des Dombaues rühmte, sich allenfalls zu
gemeinsamen — wer weiß, ob bis zum Ziele ausreichenden? — Sammlungen
verstehen, aber keine ernsthafte Probe bestehen könne. Und so war es ja auch:
die Einheit Deutschlands, welche der König 1842 pries, war keine wahre; sie
konnte weder zu heilsamen Institutionen gelangen, noch „den Frieden der Welt
unblutig erzwingen", der sich überhaupt niemals erzwingen läßt. Die officielle
Einheit des Festtages von 1842 ging sechs Jahre und acht Jahre darauf schreck¬
lich in die Brüche, Friedrich Wilhelm IV. sah selbst beinahe das Schwert in
seine Hand gedrückt, und wie sehr er auch die „Revolution" mit doppeltem
Grimm zu hassen fortfuhr, die es ihm hatte in die Hand drücken wollen, so
viel konnte er doch selbst sich nicht mehr verbergen, daß seine Mitträger der
Einheit, wie er sie glaubte und wünschte, nicht von allgemeinem Brudersiun,
sondern von egoistisch harten und engherzigen Bestrebungen erfüllt waren. Die
Einheit Deutschlands konnte nur durch Blut und Eisen gegründet werde» uach
dem berühmten Ausspruche ihres Schöpfers, dem wir vielleicht hinzufügen dürfen:
sie konnte nur durch kühnsten Wagemuth bei der kühlsten Berechnung gegründet
werden.

Wie kommt es nun, daß die Vollendung des Kölner Domes, vor achtund¬
dreißig Jahren in einem Sinne geplant, den die damalige Zeit verwarf und
dessen Schwäche die Folgezeit unerbittlich zu Tage gebracht, heute die Nation
zu allgemeinem Jubel hinreißt? Wir glauben, die Antwort folgendermaßen
geben zu können: Weil große symbolische Werke ihr Recht, die Herzen zu er¬
greifen, aus den großen Thaten schöpfen, die ihnen vorausgegangen. Heute
liegen solche Thaten vor, und wir freuen uns des Kölner Domes, weil wir
aus jenen Thaten das Recht der Freude schöpfen dürfen. Wir wandten uus
vor achtunddreißig Jahren von der Stimme Friedrich Wilhelms IV. ab, weil
das symbolische Werk die Verherrlichung eines schnöden Zustandes darzustellen
bestimmt schien. Nachdem das Reich wiedergewonnen, dürfen wir auch den
Dom bauen, mit welchem das 13. Jahrhundert, zugleich der Höhepunkt und
der Verfall des Geistes, der im alten Reiche waltete, diesen Geist ausdrücken
wollte.

Aber giebt es dem: zwischen dem 13. Jahrhundert und unserer Gegenwart
eine lebendige Berührung? Ist jene Zeit nicht mit allen Wurzeln verdorrt, und
ist es darum nicht eine Thorheit, aus dem Ausbau ihrer größten Ruine das
Symbol unserer Gegenwart zu mache»? Man weiß, wie dieser Gedanke, ramene-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/163>, abgerufen am 29.12.2024.