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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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der heimatlichen Kunstdenkmäler, vor allem des Domes, der mehrjährige intime
Verkehr mit Friedrich Schlegel und die Privatvorträge, die er ihnen hielt, dies
alles bewirkte, daß die beiden Brüder sich dem Studium der altdeutschen Kunst
Hingaben und dasselbe im Jahre 1808 nach Besiegung vieler Hindernisse als
Lebensberuf wählten. Melchior wandte sich der Erforschung der altdeutschen
Malerei zu und legte in Gemeinschaft mit seinem Bruder die berühmte Bois-
sereesche Gemäldesammlung an, die sich jetzt größtentheils in der Münchener
Pinakothek befindet. Sulpiz widmete sich speciell dem Studium der altdeutschen
Architektur, vor allem des Kölner Domes. Für diesen wurde er von größter
Bedeutung; er ist der erste wissenschaftliche Erforscher desselben, ihm gelang es
zuerst, das allgemeine Interesse für denselben zu wecken, und an der Erhaltung
und dem späteren Ausbau desselben hatte er hervorragenden Antheil.

Im Jahre 1808 reifte in Sulpiz Boisseree der Plan eines großen Pracht¬
werkes über den Dom, mit Ansichten und Plänen in Kupferstich und einem
historischen und beschreibenden Texte. Er wollte darin im Bilde wenigstens
ausführen, was in Wirklichkeit nicht zu Stande gekommen war. Mit Eifer be¬
gann er sofort die Studien und Vorarbeiten zu diesem Werke und ließ uuter
seiner Leitung von tüchtigen Künstlern die Zeichnungen entwerfen. Unterdessen
war er aber auch in jeder Weise persönlich bemüht, das allgemeine Interesse
dem herrlichen Bauwerke zuzuwenden. Er war es, der in Goethe wieder die
Liebe zur altdeutschen Kunst erweckte. Sein Besuch bei Goethe in Weimar
im Mai 1811 ist in dieser Hinsicht denkwürdig, die Beschreibung desselben in
Boisserces Memoiren sehr ergötzlich. Der Empfang von Seiten des Dichter¬
fürsten war ziemlich steif und kalt. Am 3. Mai schreibt Sulpiz an seinen
Bruder: "Der alte Herr ließ mich eine Weile warten, dann kam er mit ge¬
puderten Kopf, seine Ordensbänder am Nock; die Anrede war so steif und vor¬
nehm als möglich. Ich brachte ihm eine Menge Grüße; ,recht schön', sagte er.
Wir kamen gleich auf die Zeichnungen, des Kupferstichwesen u. s. w. zu sprechen.
,Ja, ja, schön, hin, hin/ Darauf kamen wir auf das Werk selbst (über den
Dom), auf das Schicksal der alten Kunst und ihre Geschichte -- er machte bei
cilledem ein Gesicht, als ob er mich fressen wollte." Bei Wiederholung der Be¬
suche wurde Goethe aber freundlicher und zugänglicher und lud Sulpiz mehrere-
mal zu Tische ein. Am 7. Mai legte Boisseree Goethe die damals vollendeten
Zeichnungen des Domes vor und erklärte ihm alles. "Er brummte," schreibt
Boisseree am 10. Mai, "als ich bei ihm mit den Zeichnungen allein war, wirk¬
lich zuweilen wie ein angeschossener Bär; man sah, wie er in sich kämpfte und
mit sich zu Gericht ging, so Großes je verkannt zu haben." Schließlich trug
Boisseree den Sieg davon. Als sie am Nachmittag des 8. Mai allein beisam¬
men saßen, wurde Goethe zuletzt ganz gerührt, drückte Boisseree die Hand und


der heimatlichen Kunstdenkmäler, vor allem des Domes, der mehrjährige intime
Verkehr mit Friedrich Schlegel und die Privatvorträge, die er ihnen hielt, dies
alles bewirkte, daß die beiden Brüder sich dem Studium der altdeutschen Kunst
Hingaben und dasselbe im Jahre 1808 nach Besiegung vieler Hindernisse als
Lebensberuf wählten. Melchior wandte sich der Erforschung der altdeutschen
Malerei zu und legte in Gemeinschaft mit seinem Bruder die berühmte Bois-
sereesche Gemäldesammlung an, die sich jetzt größtentheils in der Münchener
Pinakothek befindet. Sulpiz widmete sich speciell dem Studium der altdeutschen
Architektur, vor allem des Kölner Domes. Für diesen wurde er von größter
Bedeutung; er ist der erste wissenschaftliche Erforscher desselben, ihm gelang es
zuerst, das allgemeine Interesse für denselben zu wecken, und an der Erhaltung
und dem späteren Ausbau desselben hatte er hervorragenden Antheil.

Im Jahre 1808 reifte in Sulpiz Boisseree der Plan eines großen Pracht¬
werkes über den Dom, mit Ansichten und Plänen in Kupferstich und einem
historischen und beschreibenden Texte. Er wollte darin im Bilde wenigstens
ausführen, was in Wirklichkeit nicht zu Stande gekommen war. Mit Eifer be¬
gann er sofort die Studien und Vorarbeiten zu diesem Werke und ließ uuter
seiner Leitung von tüchtigen Künstlern die Zeichnungen entwerfen. Unterdessen
war er aber auch in jeder Weise persönlich bemüht, das allgemeine Interesse
dem herrlichen Bauwerke zuzuwenden. Er war es, der in Goethe wieder die
Liebe zur altdeutschen Kunst erweckte. Sein Besuch bei Goethe in Weimar
im Mai 1811 ist in dieser Hinsicht denkwürdig, die Beschreibung desselben in
Boisserces Memoiren sehr ergötzlich. Der Empfang von Seiten des Dichter¬
fürsten war ziemlich steif und kalt. Am 3. Mai schreibt Sulpiz an seinen
Bruder: „Der alte Herr ließ mich eine Weile warten, dann kam er mit ge¬
puderten Kopf, seine Ordensbänder am Nock; die Anrede war so steif und vor¬
nehm als möglich. Ich brachte ihm eine Menge Grüße; ,recht schön', sagte er.
Wir kamen gleich auf die Zeichnungen, des Kupferstichwesen u. s. w. zu sprechen.
,Ja, ja, schön, hin, hin/ Darauf kamen wir auf das Werk selbst (über den
Dom), auf das Schicksal der alten Kunst und ihre Geschichte — er machte bei
cilledem ein Gesicht, als ob er mich fressen wollte." Bei Wiederholung der Be¬
suche wurde Goethe aber freundlicher und zugänglicher und lud Sulpiz mehrere-
mal zu Tische ein. Am 7. Mai legte Boisseree Goethe die damals vollendeten
Zeichnungen des Domes vor und erklärte ihm alles. „Er brummte," schreibt
Boisseree am 10. Mai, „als ich bei ihm mit den Zeichnungen allein war, wirk¬
lich zuweilen wie ein angeschossener Bär; man sah, wie er in sich kämpfte und
mit sich zu Gericht ging, so Großes je verkannt zu haben." Schließlich trug
Boisseree den Sieg davon. Als sie am Nachmittag des 8. Mai allein beisam¬
men saßen, wurde Goethe zuletzt ganz gerührt, drückte Boisseree die Hand und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/152>, abgerufen am 29.12.2024.