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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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schen Fabrikinspectoren entnommen: Im Regienmgs-Bezirk Düsseldorf betrug
im Jahre 1876 die Zahl der zur amtlichen Kenntniß gelangten Unfälle bei einer
Gesammtsumme von 93000 Arbeitern 1453; davon fielen auf die Metallindu¬
strie 1321; einen tödtlichen Ausgang hatten 38. Im Bezirke der Fabrikinspec¬
toren von Berlin kamen zur amtlichen Kenntniß im Jahre 1877 278 Unfälle,
darunter beim Maschinenbau 167; einen tödtlichen Verlauf hatten 14. Nach
Aussage des betreffenden Fabrikinspectors für Berlin hätte ein Drittel der Fälle
vermieden werden können, wenn die nöthigen Schutzvorrichtungen getroffen
worden wären. Aehnlich äußern sich Coblenz, Köln, Trier, Oppeln ze. Fast
allgemein führen die Jnspectoren lebhafte Klagen über mangelnde Schutzvor¬
richtungen gerade an den Stellen, bei welchen erfahrungsmäßig die häufigsten
Unfälle eintreten, wie bei Fahrstühlen, Kreis- und Bandsägen, Malzqnetschen
und namentlich bei Dampfkesseln, obwohl hier ganz specielle Vorschriften bestehen.
Doch ist es in den Städten bei der Bereitwilligkeit der Industriellen, auf die
Schutzmaßregeln einzugehen, besser bestellt als auf dem Lande. Dort steht es
ganz besonders schlimm um die Dampfkessel. Einmal ist das Wasserstandsglas
entzwei, oder die Probierhähne sind verstopft, oder es fehlt die Markierung des
höchsten und niedrigsten Wasserstandes, oder die Maximalspannungsmarke am
Manometer ist verwischt, oder das Sicherheitsventil ist ungebührlich beschwert.
Der Verfasser dieser Zeilen kann aus persönlicher Erfahrung hinzufügen, daß
das Vertrautsein mit der Gefahr und eine lange Zeit, in der "es gut gegangen"
ist, den Arbeiter bis zur unglaublichsten Sorglosigkeit in Sicherheit wiegt, so
daß er willkürlich die nach seiner Meinung unnöthiger oder unbequemen Sicher¬
heitsvorrichtungen entfernt oder doch sich ihrer nicht bedient. Dem gegenüber ist
die Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts, daß eine dein Aufsichtspersonal
bekannte Nichtbeachtung der bestehenden Schutzmaßregeln ein Verschulden der
Betriebsleitung sei, folglich Haftpflicht begründe, praktisch für den Industrielle"
eine sehr bittere Consequenz des logisch gefolgerter Gesetzes; denn in deu meiste"
Fällen wird die Verschuldung der Betriebsleitung, beziehentlich des Arbeitgebers
eine minimale, fast in allen solchen Fällen jedoch die Schuld und Nachlässigkeit
des Arbeiters eine übergroße sein. Andrerseits finden sich aber auch genug
Beispiele, wo die Indolenz und das Besserwissen des Arbeitgebers die strengste
Anwendung des Haftpflichtgesetzes noch nicht streng genug erscheinen lassen kann.
Hierüber giebt der Bericht der Fabrikinspectoren für Düsseldorf im Jahre 1878
Auskunft. Die im Jahre 1878 vorgenommenen Revisionen ergaben bei 185
gewerblichen Anlagen rund 600 Fälle, in denen auf ungenügende oder mangel¬
hafte Einrichtungen oder auf fehlerhafte, gefährliche Constructionen aufmerksam
gemacht werden mußte. In der großen Mehrzahl der Fälle wurden die Vor¬
schläge der Fabrikinspection bereitwilligst angenommen und die Ausführung ver-


schen Fabrikinspectoren entnommen: Im Regienmgs-Bezirk Düsseldorf betrug
im Jahre 1876 die Zahl der zur amtlichen Kenntniß gelangten Unfälle bei einer
Gesammtsumme von 93000 Arbeitern 1453; davon fielen auf die Metallindu¬
strie 1321; einen tödtlichen Ausgang hatten 38. Im Bezirke der Fabrikinspec¬
toren von Berlin kamen zur amtlichen Kenntniß im Jahre 1877 278 Unfälle,
darunter beim Maschinenbau 167; einen tödtlichen Verlauf hatten 14. Nach
Aussage des betreffenden Fabrikinspectors für Berlin hätte ein Drittel der Fälle
vermieden werden können, wenn die nöthigen Schutzvorrichtungen getroffen
worden wären. Aehnlich äußern sich Coblenz, Köln, Trier, Oppeln ze. Fast
allgemein führen die Jnspectoren lebhafte Klagen über mangelnde Schutzvor¬
richtungen gerade an den Stellen, bei welchen erfahrungsmäßig die häufigsten
Unfälle eintreten, wie bei Fahrstühlen, Kreis- und Bandsägen, Malzqnetschen
und namentlich bei Dampfkesseln, obwohl hier ganz specielle Vorschriften bestehen.
Doch ist es in den Städten bei der Bereitwilligkeit der Industriellen, auf die
Schutzmaßregeln einzugehen, besser bestellt als auf dem Lande. Dort steht es
ganz besonders schlimm um die Dampfkessel. Einmal ist das Wasserstandsglas
entzwei, oder die Probierhähne sind verstopft, oder es fehlt die Markierung des
höchsten und niedrigsten Wasserstandes, oder die Maximalspannungsmarke am
Manometer ist verwischt, oder das Sicherheitsventil ist ungebührlich beschwert.
Der Verfasser dieser Zeilen kann aus persönlicher Erfahrung hinzufügen, daß
das Vertrautsein mit der Gefahr und eine lange Zeit, in der „es gut gegangen"
ist, den Arbeiter bis zur unglaublichsten Sorglosigkeit in Sicherheit wiegt, so
daß er willkürlich die nach seiner Meinung unnöthiger oder unbequemen Sicher¬
heitsvorrichtungen entfernt oder doch sich ihrer nicht bedient. Dem gegenüber ist
die Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts, daß eine dein Aufsichtspersonal
bekannte Nichtbeachtung der bestehenden Schutzmaßregeln ein Verschulden der
Betriebsleitung sei, folglich Haftpflicht begründe, praktisch für den Industrielle»
eine sehr bittere Consequenz des logisch gefolgerter Gesetzes; denn in deu meiste»
Fällen wird die Verschuldung der Betriebsleitung, beziehentlich des Arbeitgebers
eine minimale, fast in allen solchen Fällen jedoch die Schuld und Nachlässigkeit
des Arbeiters eine übergroße sein. Andrerseits finden sich aber auch genug
Beispiele, wo die Indolenz und das Besserwissen des Arbeitgebers die strengste
Anwendung des Haftpflichtgesetzes noch nicht streng genug erscheinen lassen kann.
Hierüber giebt der Bericht der Fabrikinspectoren für Düsseldorf im Jahre 1878
Auskunft. Die im Jahre 1878 vorgenommenen Revisionen ergaben bei 185
gewerblichen Anlagen rund 600 Fälle, in denen auf ungenügende oder mangel¬
hafte Einrichtungen oder auf fehlerhafte, gefährliche Constructionen aufmerksam
gemacht werden mußte. In der großen Mehrzahl der Fälle wurden die Vor¬
schläge der Fabrikinspection bereitwilligst angenommen und die Ausführung ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/141>, abgerufen am 29.12.2024.