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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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immer rarer und lebt eigentlich nnr noch in einigen privaten Streichquartetten
fort. Der Dilettant von heilte ist entweder ein Mensch ohne musikalische Quali¬
täten, der fehlerhaft Klavier oder noch fehlerhafter Violine spielt oder mit un-
eultivierter Stimme Lieder von Abt, Gumbert und Kücken singt, oder aber, er
ist ein musikalisch gebildeter, der es "nicht nöthig hat", die Kunst als Beruf zu
üben, und sich daher berechtigt glaubt über Künstler und Kunstwerke ein ab¬
sprechendes Urtheil zu fällen.

Unsere Darstellung würde übertreiben, wollten wir den schlechten Geschmack
der Menge, die Vorliebe für leichte, gehaltlose Musik ohne eigentlichen Kunst¬
werth, deren Leerheit durch nichtigen Aufputz verhüllt ist, ans die Musiklehrer
und Musikalienhändler einzig und allein zmücksühren. Eine derselben günstige
Disposition und Neigung besitzt der Mensch von Halts ans. Das musikalische
Auffassungsvermögen ist'alisbildllilgsfähig, aber ohne Ausbildung durchschnittlich
ziemlich klein, so daß eine schlichte Knntileue, ein rauschendes Figurenwerk oder
die Massenwirkung voller Harmonien ihm völlig genügt. Aufgabe des Lehrers
ist es, diese Keime zu entwickeln und den Geist zu ästhetischen Genüssen zu be¬
fähigen, von deren Existenz der Mindergebildete gar keine Ahnung hat. Natür¬
lich muß der, welcher die Aufgabe erfüllen soll, uicht allem selbst ein entwickeltes
Verständniß, sondern auch die Gabe der Mittheilung besitzen. Beides fehlt der
Mehrzahl der Lehrer, besonders der Lehrerinnen, und es ist nichts natürlicher,
als daß sie den primitiven Zustand musikalischer Auffassungsfähigkeit, der ihnen
selbst eigen ist und den sie bei anderen vorfinden, erhalten und durch Einführung
in die ihnen angemessene musikalische Litteratur stabil mache". Der Verleger,
der leider auch oft genug in erster Linie auf Gewinn und in zweiter erst auf
Kunstanstand sieht, nährt diesen ungebildeten Geschmack durch billig zu beschaf¬
fende fnde, süßliche Speise, und die Componisten, die gern Sekt trinken, produ-
ciren cri xros.

Es giebt nur ein Recept gegen diese Mißstünde: den Musiklehrern auf die
Finger sehen!


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Äteratur.

Unter den musikalischen Novitäten, welche die Verlagshandlung von C, F.
Peters in Leipzig mit Eintritt des Winterhalbjahrs zu veröffentlichen pflegt, er¬
regen diesmal die Partituren zu Schumanns "Genoveva", zu Boieldieus "Weißer
Dame", ein Heft bisher noch nicht veröffentlichter Klavierstücke von I. S. Bach,
eine Klavierschule von Louis Köhler und ein neues Heft Klaviereompositionen von
Theodor Kirchner das meiste Interesse. Mit der Partitur zur "Genoveva", die
bisher noch ungedruckt war, hat sich die treffliche Verlagshandlung um die Ver¬
ehrer Schumanns ein großes Verdienst erworben, umsomehr, da dieselbe -- in
schönster Ausstattung und sorgfältigster Wiedergabe des Textes -- nur 12 Mark
kostet. In der Klavierschule von Köhler, für 2 Mark zu haben, wird allent¬
halben die Tendenz ersichtlich, der Geschmackverderbniß, wie sie in dem obenstehen-
den "Schattenbilde" geschildert ist, entgegenzuarbeiten und den Lehrern und Lehre¬
rinnen ein Material darzubieten, welches recht eigentlich das Angenehme mit dem
Nützlichen und zugleich Edlen in der Kunstübung verbindet.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. -- Druck von Emil Herrmann in Leipzig.

immer rarer und lebt eigentlich nnr noch in einigen privaten Streichquartetten
fort. Der Dilettant von heilte ist entweder ein Mensch ohne musikalische Quali¬
täten, der fehlerhaft Klavier oder noch fehlerhafter Violine spielt oder mit un-
eultivierter Stimme Lieder von Abt, Gumbert und Kücken singt, oder aber, er
ist ein musikalisch gebildeter, der es „nicht nöthig hat", die Kunst als Beruf zu
üben, und sich daher berechtigt glaubt über Künstler und Kunstwerke ein ab¬
sprechendes Urtheil zu fällen.

Unsere Darstellung würde übertreiben, wollten wir den schlechten Geschmack
der Menge, die Vorliebe für leichte, gehaltlose Musik ohne eigentlichen Kunst¬
werth, deren Leerheit durch nichtigen Aufputz verhüllt ist, ans die Musiklehrer
und Musikalienhändler einzig und allein zmücksühren. Eine derselben günstige
Disposition und Neigung besitzt der Mensch von Halts ans. Das musikalische
Auffassungsvermögen ist'alisbildllilgsfähig, aber ohne Ausbildung durchschnittlich
ziemlich klein, so daß eine schlichte Knntileue, ein rauschendes Figurenwerk oder
die Massenwirkung voller Harmonien ihm völlig genügt. Aufgabe des Lehrers
ist es, diese Keime zu entwickeln und den Geist zu ästhetischen Genüssen zu be¬
fähigen, von deren Existenz der Mindergebildete gar keine Ahnung hat. Natür¬
lich muß der, welcher die Aufgabe erfüllen soll, uicht allem selbst ein entwickeltes
Verständniß, sondern auch die Gabe der Mittheilung besitzen. Beides fehlt der
Mehrzahl der Lehrer, besonders der Lehrerinnen, und es ist nichts natürlicher,
als daß sie den primitiven Zustand musikalischer Auffassungsfähigkeit, der ihnen
selbst eigen ist und den sie bei anderen vorfinden, erhalten und durch Einführung
in die ihnen angemessene musikalische Litteratur stabil mache«. Der Verleger,
der leider auch oft genug in erster Linie auf Gewinn und in zweiter erst auf
Kunstanstand sieht, nährt diesen ungebildeten Geschmack durch billig zu beschaf¬
fende fnde, süßliche Speise, und die Componisten, die gern Sekt trinken, produ-
ciren cri xros.

Es giebt nur ein Recept gegen diese Mißstünde: den Musiklehrern auf die
Finger sehen!


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Äteratur.

Unter den musikalischen Novitäten, welche die Verlagshandlung von C, F.
Peters in Leipzig mit Eintritt des Winterhalbjahrs zu veröffentlichen pflegt, er¬
regen diesmal die Partituren zu Schumanns „Genoveva", zu Boieldieus „Weißer
Dame", ein Heft bisher noch nicht veröffentlichter Klavierstücke von I. S. Bach,
eine Klavierschule von Louis Köhler und ein neues Heft Klaviereompositionen von
Theodor Kirchner das meiste Interesse. Mit der Partitur zur „Genoveva", die
bisher noch ungedruckt war, hat sich die treffliche Verlagshandlung um die Ver¬
ehrer Schumanns ein großes Verdienst erworben, umsomehr, da dieselbe — in
schönster Ausstattung und sorgfältigster Wiedergabe des Textes — nur 12 Mark
kostet. In der Klavierschule von Köhler, für 2 Mark zu haben, wird allent¬
halben die Tendenz ersichtlich, der Geschmackverderbniß, wie sie in dem obenstehen-
den „Schattenbilde" geschildert ist, entgegenzuarbeiten und den Lehrern und Lehre¬
rinnen ein Material darzubieten, welches recht eigentlich das Angenehme mit dem
Nützlichen und zugleich Edlen in der Kunstübung verbindet.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Emil Herrmann in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/128>, abgerufen am 29.12.2024.