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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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treu zu sein, und nicht blos durch Furcht vor Strafe? Wie viele von denen,
die nicht anch ohne Eid die Treue gehalten haben würden? Gewiß ist dies:
Bei gewissenhaften und ehrenhaften Menschen ist der Eid unnöthig, bei gewissen¬
losen und ehrlosen dagegen ist er unnütz, und nach solchen Erwägungen muß
mau doch sagen, die Wirkung, welche der Eid als solcher ausübt, ist eine über¬
aus zweifelhafte und jedenfalls uicht der Art, daß man seine Unentbehrlichkeit
im öffentlichen und Rechtsleben des Volkes behaupten konnte, zumal da sich
doch ein Ersatz für denselben finden lassen dürfte, der im Stande wäre, ganz
dieselben Wirkungen hervorzurufen wie ein feierlich geschworener Eid: das ernst¬
liche, vielleicht mit einem Handschlage gegebene'Wort, dessen Verletzung dann
allerdings mit denselben schweren Strafen geahndet werden müßte, wie jetzt
der Meineid.

Daß -- im Großen und Ganzen betrachtet -- diejenigen, welche nach
geschworenen Eide jetzt der Wahrheit die Ehre geben oder ihren Verpflichtungen
nachkommen, dies nicht thun würden, wenn man sie bloß auf ihr ernstlich
gegebenes Wort verpflichtete, ist doch, verschwindende Ausnahmen abgerechnet,
kaum zu denken, vor allen Dingen, wenn es, wie es ohne Zweifel nicht aus¬
bleiben konnte, ein Brandmal in der öffentlichen Meinung hervorrufen würde,
sobald jemand sein feierlich verpfändetes Wort nicht halten wollte. Auch jetzt giebt
es doch schon ganze Kreise in der Bevölkerung, in welchen ein gegebenes Ehren¬
wort eben so fest bindet wie ein Eid, und daß andere Kreise unseres Volkes
für diese Auffassung nicht zugänglich sein sollten, sobald man sie ihnen dnrch
die Praxis nur näher brächte, ist gewiß nicht zu behaupten. Es stände schlimm
um unsere Bevölkerung, auch selbst in den unteren Schichten, wenn man dort
keinen Sinn dafür hätte, was der Bruch eines Wortes bedeutet, und wer
namentlich die mittleren Kreise unseres Volkes kennt, der weiß auch, daß der
Sinn für persönliche Ehrenhaftigkeit, die in der Wahrhaftigkeit des verpfändeten
Wortes besteht, dort lebhaft genug ist, daß Wortbrüchigkeit dort in der That
als ein Brandmal gilt, dem sich nicht leicht jemand aussetzen würde. Und
dazu würde ja auch kommen, daß der, welcher das Wort zu empfangen hätte,
der öffentliche Beamte, der die Leute auf ihr Wort verpflichtete, angewiesen
sein könnte und müßte, die Bedeutung des gegebenen Wortes den Leuten zu
Gemüthe zu führen; sie ernst und würdig darauf aufmerksam zu machen, daß
es sich hier um ihre persönliche Ehrenhaftigkeit, um die mit dieser allein ver¬
trägliche Pflicht der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit handele, sie in angemessener
Weise auch darauf hinzuweisen, daß sie vor dem Angestchte Gottes stünden und
ein schweres Vergehen an der menschlichen Gesellschaft ans sich laden würden,
wenn sie der Wahrheit nicht die Ehre geben wollten, überhaupt den Betreffen¬
den mit allein Ernste ins Gewissen zu reden, würde gewiß nicht ausgeschlossen


treu zu sein, und nicht blos durch Furcht vor Strafe? Wie viele von denen,
die nicht anch ohne Eid die Treue gehalten haben würden? Gewiß ist dies:
Bei gewissenhaften und ehrenhaften Menschen ist der Eid unnöthig, bei gewissen¬
losen und ehrlosen dagegen ist er unnütz, und nach solchen Erwägungen muß
mau doch sagen, die Wirkung, welche der Eid als solcher ausübt, ist eine über¬
aus zweifelhafte und jedenfalls uicht der Art, daß man seine Unentbehrlichkeit
im öffentlichen und Rechtsleben des Volkes behaupten konnte, zumal da sich
doch ein Ersatz für denselben finden lassen dürfte, der im Stande wäre, ganz
dieselben Wirkungen hervorzurufen wie ein feierlich geschworener Eid: das ernst¬
liche, vielleicht mit einem Handschlage gegebene'Wort, dessen Verletzung dann
allerdings mit denselben schweren Strafen geahndet werden müßte, wie jetzt
der Meineid.

Daß — im Großen und Ganzen betrachtet — diejenigen, welche nach
geschworenen Eide jetzt der Wahrheit die Ehre geben oder ihren Verpflichtungen
nachkommen, dies nicht thun würden, wenn man sie bloß auf ihr ernstlich
gegebenes Wort verpflichtete, ist doch, verschwindende Ausnahmen abgerechnet,
kaum zu denken, vor allen Dingen, wenn es, wie es ohne Zweifel nicht aus¬
bleiben konnte, ein Brandmal in der öffentlichen Meinung hervorrufen würde,
sobald jemand sein feierlich verpfändetes Wort nicht halten wollte. Auch jetzt giebt
es doch schon ganze Kreise in der Bevölkerung, in welchen ein gegebenes Ehren¬
wort eben so fest bindet wie ein Eid, und daß andere Kreise unseres Volkes
für diese Auffassung nicht zugänglich sein sollten, sobald man sie ihnen dnrch
die Praxis nur näher brächte, ist gewiß nicht zu behaupten. Es stände schlimm
um unsere Bevölkerung, auch selbst in den unteren Schichten, wenn man dort
keinen Sinn dafür hätte, was der Bruch eines Wortes bedeutet, und wer
namentlich die mittleren Kreise unseres Volkes kennt, der weiß auch, daß der
Sinn für persönliche Ehrenhaftigkeit, die in der Wahrhaftigkeit des verpfändeten
Wortes besteht, dort lebhaft genug ist, daß Wortbrüchigkeit dort in der That
als ein Brandmal gilt, dem sich nicht leicht jemand aussetzen würde. Und
dazu würde ja auch kommen, daß der, welcher das Wort zu empfangen hätte,
der öffentliche Beamte, der die Leute auf ihr Wort verpflichtete, angewiesen
sein könnte und müßte, die Bedeutung des gegebenen Wortes den Leuten zu
Gemüthe zu führen; sie ernst und würdig darauf aufmerksam zu machen, daß
es sich hier um ihre persönliche Ehrenhaftigkeit, um die mit dieser allein ver¬
trägliche Pflicht der Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit handele, sie in angemessener
Weise auch darauf hinzuweisen, daß sie vor dem Angestchte Gottes stünden und
ein schweres Vergehen an der menschlichen Gesellschaft ans sich laden würden,
wenn sie der Wahrheit nicht die Ehre geben wollten, überhaupt den Betreffen¬
den mit allein Ernste ins Gewissen zu reden, würde gewiß nicht ausgeschlossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/115>, abgerufen am 29.12.2024.