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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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bewohnt wäre". Es lag für den, der mit den Verhältnissen und der Ver¬
gangenheit Nordalbaniens einigermaßen bekannt war, auf der Hand, daß Claus
von dem Stolze, dem Unabhängigkeitssinn, dem Haß gegen die Montenegriner
und dem kriegerischen Geiste, welche die Hotel beseelten, die bei diesem Tausche
nebst den Gruda und dem Klementi betheiligt waren, nicht ohne leb¬
haften Widerspruch und dann nicht ohne hartnäckigen Kampf in eine Land¬
abtretung an das Volk der Schwarzen Berge willigen würden. Und es
war nicht minder klar, daß diese Stämme, wenn sie sich gegen den Tausch
zur Wehre setzten, aus eine kräftige Unterstützung nicht bloß durch die anderen
katholischen Stämme, sondern auch durch die muhammedanischen Nachbarn
rechnen konnten, welche die Liga von Prisrend vereinigt hatte. Dies ist
in der That geschehen. Wir sahen, wie selbst die ziemlich fern von der Czerna-
gorzen - Grenze wohnenden Miriditen herbeieilten, um unter Prenk Bib Döbel,
ihrem Fürsten"), in die Linie ihrer Stamm- und Glaubensgenossen einzurücken,
die bei Tust den sich zum Einmarsch anschickenden Montenegrinern sich mit
bewaffneter Hand entgegenstellten, und daß die Liga von Prisrend ihre Truppen
ebenfalls dabei mitwirken ließ. So aber darf man sagen, daß sich die Soli¬
darität zwischen den muselmännischen und den katholischen Albanesen thatsächlich
-- wenn anch vielleicht nur für deu Augenblick -- herausgebildet hat, und
daß die Entstehung einer nicht blos ethnographischen, sodann auch politischen
albanesischen Nationalität ihrer Vollendung wieder um einen großen Schritt
näher gerückt ist.

Ein Rückblick zeigt, daß nach diesen Vorgängen nur noch der Theil der
Albanesen im Bunde fehlt, welcher der morgenländisch-orthodoxen Kirche ange¬
hört. Wir haben gesehen, wie diese Tosken von der griechischen Kirche und
Schule bis zu einem gewissen Grade hellenisirt wurden, wie man sich griechi-
scherseits bemühte, sie zur Einwilligung in eine Verbindung mit dein Königreiche
zu gewinnnen, wie dies gelang und wie die Sympathien für Griechenland sich
in Folge des Zögerns der Negierung in Athen wieder abkühlten und zuletzt in
weiten Kreisen verschwanden. Dennoch besteht die genannte Regierung, sich auf
die Empfehlung des Berliner Congresses stützend, auf Annexion nicht bloß des
unzweifelhaft von Griechen und Zinzaren bewohnten Theiles von Südepirus
d. h. mit anderen Worten auf Einverleibung des Gebietes zwischen dem Arta-
Thale und dem Pindus, sondern auch auf Gewinnung des Landstrichs zwischen
den Flüssen Area und Kalamas, welches fast nur von Albanesen und theilweise
von muhammedanischen Albanesen bewohnt wird, deren es nach Becker allein



*) Wir bemerken, daß Prenk kein Vorname, sondern ein Titel, nämlich des alvanisirie
italienische Wort xrwolxs ist.

bewohnt wäre». Es lag für den, der mit den Verhältnissen und der Ver¬
gangenheit Nordalbaniens einigermaßen bekannt war, auf der Hand, daß Claus
von dem Stolze, dem Unabhängigkeitssinn, dem Haß gegen die Montenegriner
und dem kriegerischen Geiste, welche die Hotel beseelten, die bei diesem Tausche
nebst den Gruda und dem Klementi betheiligt waren, nicht ohne leb¬
haften Widerspruch und dann nicht ohne hartnäckigen Kampf in eine Land¬
abtretung an das Volk der Schwarzen Berge willigen würden. Und es
war nicht minder klar, daß diese Stämme, wenn sie sich gegen den Tausch
zur Wehre setzten, aus eine kräftige Unterstützung nicht bloß durch die anderen
katholischen Stämme, sondern auch durch die muhammedanischen Nachbarn
rechnen konnten, welche die Liga von Prisrend vereinigt hatte. Dies ist
in der That geschehen. Wir sahen, wie selbst die ziemlich fern von der Czerna-
gorzen - Grenze wohnenden Miriditen herbeieilten, um unter Prenk Bib Döbel,
ihrem Fürsten"), in die Linie ihrer Stamm- und Glaubensgenossen einzurücken,
die bei Tust den sich zum Einmarsch anschickenden Montenegrinern sich mit
bewaffneter Hand entgegenstellten, und daß die Liga von Prisrend ihre Truppen
ebenfalls dabei mitwirken ließ. So aber darf man sagen, daß sich die Soli¬
darität zwischen den muselmännischen und den katholischen Albanesen thatsächlich
— wenn anch vielleicht nur für deu Augenblick — herausgebildet hat, und
daß die Entstehung einer nicht blos ethnographischen, sodann auch politischen
albanesischen Nationalität ihrer Vollendung wieder um einen großen Schritt
näher gerückt ist.

Ein Rückblick zeigt, daß nach diesen Vorgängen nur noch der Theil der
Albanesen im Bunde fehlt, welcher der morgenländisch-orthodoxen Kirche ange¬
hört. Wir haben gesehen, wie diese Tosken von der griechischen Kirche und
Schule bis zu einem gewissen Grade hellenisirt wurden, wie man sich griechi-
scherseits bemühte, sie zur Einwilligung in eine Verbindung mit dein Königreiche
zu gewinnnen, wie dies gelang und wie die Sympathien für Griechenland sich
in Folge des Zögerns der Negierung in Athen wieder abkühlten und zuletzt in
weiten Kreisen verschwanden. Dennoch besteht die genannte Regierung, sich auf
die Empfehlung des Berliner Congresses stützend, auf Annexion nicht bloß des
unzweifelhaft von Griechen und Zinzaren bewohnten Theiles von Südepirus
d. h. mit anderen Worten auf Einverleibung des Gebietes zwischen dem Arta-
Thale und dem Pindus, sondern auch auf Gewinnung des Landstrichs zwischen
den Flüssen Area und Kalamas, welches fast nur von Albanesen und theilweise
von muhammedanischen Albanesen bewohnt wird, deren es nach Becker allein



*) Wir bemerken, daß Prenk kein Vorname, sondern ein Titel, nämlich des alvanisirie
italienische Wort xrwolxs ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/84>, abgerufen am 23.07.2024.