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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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eine griechische Ministerium schürte, das andere dämpfte den stillen Brand, und
da in Athen die Cabinette ungefähr so schnell wie die Sommer und Winter
wechselten, wurden die Albanesen, die den Griechen günstig gestimmt waren,
allmählich irre. Man begann zu zweifeln, und mit dem Zweifel nahm der
Wunsch nach Einverleibung in das benachbarte Königreich merklich und zuletzt
in weiten Kreisen ab.

"Im Mai 1877 hörten wir," so erzählt Becker S. 42 seiner schon im vori¬
gen Artikel erwähnten Schrift, "albanesische Häuptlinge im südlichen Epirus sagen,
wenn sie bei Erkämpfung ihrer Unabhängigkeit auf die eigene Kraft angewiesen
wären, so würden sie im Falle des Sieges sich erinnern, daß sie Albanesen
und nicht Griechen wären." Und als der russisch-türkische Krieg ausbrach und
die hellenische Regierung die Gelegenheit unbenutzt ließ und nur gestattete, daß
Räuberbanden in Albanien einbrachen, konnte der Pascha von Janina seiner
Regierung melden, daß er ein Corps von tausend Christen zu ihrer Vertreibung
zusammengebracht habe.

Im Norden des Landes entwickelten sich die Dinge anders. Als man hier
während und nach jenem Kriege den Niedergang der türkischen Macht deutlicher
als vordem gewahr wurde, dachte man zunächst daran, sich gegen die Begehr¬
lichkeit der Nachbarn Albaniens selbst zu schützen. Dies konnte mit Aussicht
auf Erfolg nur dann geschehen, wenn das Bewußtsein der Zusanunengehvrigkeit
der Stämme geweckt und ausgebildet und eine Einigung derselben zu gemein¬
samem Handeln zu Stande gebracht wurde. Die Pforte fand das natürlich in
ihrem Interesse, und so unterstützte sie die dahin gehenden Bestrebungen und
gestattete ihnen offenes Auftreten, doch zunächst unter der Bedingung, daß die
Muhammedaner die Hauptrolle und die Führung übernahmen. Nach dem Frie¬
den von San Stefano sah die türkische Regierung den Einmarsch der Oester¬
reicher in Bosnien und der Herzegowina voraus, und da sie ein Weitervor¬
dringen derselben über Mitrowitza nach Salonik befürchtete, sollte dem in der
Organisation der kriegstüchtigen Arnauten zu einem compacten Ganzen in der
Front ein Hinderniß und in der rechten Flanke eine Bedrohung bereitet werden.
In zweiter Linie dachte man in Konstantinopel an die Ansprüche Montenegros.

So entstand mit Einwilligung der Pforte die vielbesprochene Liga von
Prisrend, die anfangs ganz unter dem Einflüsse jener handelte und von
ihr Waffen und Offiziere sowie Beamte albcmesischer Nationalität zur Einrichtung
des Verwaltungsdienstes erhielt. Albanesische Nizam- und Redifsoldaten, die
entbehrlich schienen, wurden in die Heimat entlassen, wo sie sich der Liga zur
Verfügung stellten, so daß dieselbe bald nicht bloß über wenig brauchbare Baschi-
bozuks, sondern über eine erhebliche Anzahl regulärer Truppen gebot, wenn diese
mich von Becker, der ihre Stärke ans mehr als 25000 Mann angiebt, wcchr-


Grcilzbotcn III, 1880. ^

eine griechische Ministerium schürte, das andere dämpfte den stillen Brand, und
da in Athen die Cabinette ungefähr so schnell wie die Sommer und Winter
wechselten, wurden die Albanesen, die den Griechen günstig gestimmt waren,
allmählich irre. Man begann zu zweifeln, und mit dem Zweifel nahm der
Wunsch nach Einverleibung in das benachbarte Königreich merklich und zuletzt
in weiten Kreisen ab.

„Im Mai 1877 hörten wir," so erzählt Becker S. 42 seiner schon im vori¬
gen Artikel erwähnten Schrift, „albanesische Häuptlinge im südlichen Epirus sagen,
wenn sie bei Erkämpfung ihrer Unabhängigkeit auf die eigene Kraft angewiesen
wären, so würden sie im Falle des Sieges sich erinnern, daß sie Albanesen
und nicht Griechen wären." Und als der russisch-türkische Krieg ausbrach und
die hellenische Regierung die Gelegenheit unbenutzt ließ und nur gestattete, daß
Räuberbanden in Albanien einbrachen, konnte der Pascha von Janina seiner
Regierung melden, daß er ein Corps von tausend Christen zu ihrer Vertreibung
zusammengebracht habe.

Im Norden des Landes entwickelten sich die Dinge anders. Als man hier
während und nach jenem Kriege den Niedergang der türkischen Macht deutlicher
als vordem gewahr wurde, dachte man zunächst daran, sich gegen die Begehr¬
lichkeit der Nachbarn Albaniens selbst zu schützen. Dies konnte mit Aussicht
auf Erfolg nur dann geschehen, wenn das Bewußtsein der Zusanunengehvrigkeit
der Stämme geweckt und ausgebildet und eine Einigung derselben zu gemein¬
samem Handeln zu Stande gebracht wurde. Die Pforte fand das natürlich in
ihrem Interesse, und so unterstützte sie die dahin gehenden Bestrebungen und
gestattete ihnen offenes Auftreten, doch zunächst unter der Bedingung, daß die
Muhammedaner die Hauptrolle und die Führung übernahmen. Nach dem Frie¬
den von San Stefano sah die türkische Regierung den Einmarsch der Oester¬
reicher in Bosnien und der Herzegowina voraus, und da sie ein Weitervor¬
dringen derselben über Mitrowitza nach Salonik befürchtete, sollte dem in der
Organisation der kriegstüchtigen Arnauten zu einem compacten Ganzen in der
Front ein Hinderniß und in der rechten Flanke eine Bedrohung bereitet werden.
In zweiter Linie dachte man in Konstantinopel an die Ansprüche Montenegros.

So entstand mit Einwilligung der Pforte die vielbesprochene Liga von
Prisrend, die anfangs ganz unter dem Einflüsse jener handelte und von
ihr Waffen und Offiziere sowie Beamte albcmesischer Nationalität zur Einrichtung
des Verwaltungsdienstes erhielt. Albanesische Nizam- und Redifsoldaten, die
entbehrlich schienen, wurden in die Heimat entlassen, wo sie sich der Liga zur
Verfügung stellten, so daß dieselbe bald nicht bloß über wenig brauchbare Baschi-
bozuks, sondern über eine erhebliche Anzahl regulärer Truppen gebot, wenn diese
mich von Becker, der ihre Stärke ans mehr als 25000 Mann angiebt, wcchr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/81>, abgerufen am 03.07.2024.