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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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verkennbarer Einflüsse Correggios steht die lebensgroße Thongruppe des Antonio
Begacelli in S. Pietro zu Moden, in welcher die Madonna, die händeringend
hinter dem am Boden liegenden, von Nikodemus leicht emporgerichteten Leichnam
kniet, von Johannes sorgsam gehalten wird, als fürchte er, daß sie der Wucht
des Schmerzes bald erliegen werde. Von den Caracci und ihrer Schule, für
die sonst bekanntlich die Auffassung des Correggio im allgemeinen bestimmend
wurde, findet sich das Motiv der ohnmächtigen Madonna merkwürdigerweise
nur selten nachgeahmt. Ehe wir uns indeß diesem Kunstkreise zuwenden, mögen
wenigstens in Kürze einige frühere bolognesische Darstellungen des Gegenstandes
nachgeholt werden.

Aus der Mitte 15. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Bologneser Kunst
noch ziemlich zurückgeblieben war, stammt die in jedem Betracht unerfreuliche
Pieta des Michele Lambertini in der Pinakothek*), ein Werk von steifer
Anordnung und mangelhafter Zeichnung; die Madonna hält den Leichnam, der
in häßlicher Verkrümmung auf ihrem Schoße liegt, mit den Händen an Schulter
und Arm; die Heiligenscheine müssen die fehlende Weihe ersetzen. Dieselbe Grup-
pirung findet sich noch in dem Gemälde des Francesco Francia zu
Parmas, das in den Nebenfiguren verschiedene Anklänge an Perugino's berühmte
Composition ausweist'"'*), und in der Londoner Nationalgalerief), serner in
dem Temperabilde seines Schülers Amico Aspertini in S. Petronio zu
Bologna ff). Auch von Lodovico Caracci sehen wir in dem kleinen Ge¬
mälde der Galerie Corsini zu Roms-ff) diese altherkömmliche Auffassung bei¬
behalten; die Madonna sitzt, den Leichnam mit beiden Händen auf ihrem Schoße
in halbaufrechter Stellung haltend, einsam in einer stimmungsvollen düsteren
Landschaft. In einem anderen Bilde des Künstlers in derselben Sammlung *f)
begegnet uns dagegen ein neues Cvmpositionsschema, welches von nun an, in
zahlreichen Variationen wiederkehrend, in den Vordergrund tritt: der Leichnam
ruht mit den Beinen am Boden auf einem weißen Tuche, der Oberkörper auf¬
gerichtet zwischen den Knieen der Mutter, und zwar fo, daß sein rechter Arm
sich über das rechte Knie der Madonna legt, die, als Frau von vorgerücktem
Alter aufgefaßt, trauernd zu ihm niederblickt und beide Arme mit geöffneten
Händen seitwärts von sich streckt -- lauter Motive, die dem Streben uach
Neuheit, nach Originalität entsprungen sind. Die gewählte Gruppirung bot








Pinakothek Ur. 123.
*) Ur. 103; bezeichnet mit dem Datum 14V2. --
Crowc und Cavalcaselle V, 604 (D, A,),
f) Ur. 181; vgl. Crowe und Cavaleasclle V, 60S.
1"t) Bezeichnet mit dem Datum 1619. -- si-f) 4, Smal Ur. 34.
"f) 2. Saal Ur. 20, lebensgroße Figuren; Oelskizze dazu in derselben Sammlung,
Ur. 8 des ". Saales.

verkennbarer Einflüsse Correggios steht die lebensgroße Thongruppe des Antonio
Begacelli in S. Pietro zu Moden, in welcher die Madonna, die händeringend
hinter dem am Boden liegenden, von Nikodemus leicht emporgerichteten Leichnam
kniet, von Johannes sorgsam gehalten wird, als fürchte er, daß sie der Wucht
des Schmerzes bald erliegen werde. Von den Caracci und ihrer Schule, für
die sonst bekanntlich die Auffassung des Correggio im allgemeinen bestimmend
wurde, findet sich das Motiv der ohnmächtigen Madonna merkwürdigerweise
nur selten nachgeahmt. Ehe wir uns indeß diesem Kunstkreise zuwenden, mögen
wenigstens in Kürze einige frühere bolognesische Darstellungen des Gegenstandes
nachgeholt werden.

Aus der Mitte 15. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Bologneser Kunst
noch ziemlich zurückgeblieben war, stammt die in jedem Betracht unerfreuliche
Pieta des Michele Lambertini in der Pinakothek*), ein Werk von steifer
Anordnung und mangelhafter Zeichnung; die Madonna hält den Leichnam, der
in häßlicher Verkrümmung auf ihrem Schoße liegt, mit den Händen an Schulter
und Arm; die Heiligenscheine müssen die fehlende Weihe ersetzen. Dieselbe Grup-
pirung findet sich noch in dem Gemälde des Francesco Francia zu
Parmas, das in den Nebenfiguren verschiedene Anklänge an Perugino's berühmte
Composition ausweist'"'*), und in der Londoner Nationalgalerief), serner in
dem Temperabilde seines Schülers Amico Aspertini in S. Petronio zu
Bologna ff). Auch von Lodovico Caracci sehen wir in dem kleinen Ge¬
mälde der Galerie Corsini zu Roms-ff) diese altherkömmliche Auffassung bei¬
behalten; die Madonna sitzt, den Leichnam mit beiden Händen auf ihrem Schoße
in halbaufrechter Stellung haltend, einsam in einer stimmungsvollen düsteren
Landschaft. In einem anderen Bilde des Künstlers in derselben Sammlung *f)
begegnet uns dagegen ein neues Cvmpositionsschema, welches von nun an, in
zahlreichen Variationen wiederkehrend, in den Vordergrund tritt: der Leichnam
ruht mit den Beinen am Boden auf einem weißen Tuche, der Oberkörper auf¬
gerichtet zwischen den Knieen der Mutter, und zwar fo, daß sein rechter Arm
sich über das rechte Knie der Madonna legt, die, als Frau von vorgerücktem
Alter aufgefaßt, trauernd zu ihm niederblickt und beide Arme mit geöffneten
Händen seitwärts von sich streckt — lauter Motive, die dem Streben uach
Neuheit, nach Originalität entsprungen sind. Die gewählte Gruppirung bot








Pinakothek Ur. 123.
*) Ur. 103; bezeichnet mit dem Datum 14V2. —
Crowc und Cavalcaselle V, 604 (D, A,),
f) Ur. 181; vgl. Crowe und Cavaleasclle V, 60S.
1"t) Bezeichnet mit dem Datum 1619. — si-f) 4, Smal Ur. 34.
"f) 2. Saal Ur. 20, lebensgroße Figuren; Oelskizze dazu in derselben Sammlung,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/74>, abgerufen am 25.08.2024.