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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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von Interesse ist, daß es zeigt, wie auch Tizian noch der schon lange vor ihm
herrschenden Auffassung folgte.

Dasselbe ist der Fall mit der Pietü, welche die obere Abtheilung des be¬
rühmten Bildes der heiligen Barbara in S. Maria Formosa von der Hand
des Palma Veechio bildet. Die in Halbfigur erscheinende Madonna umfaßt
mit der Rechten die Schulter, mit der Linken die Oberschenkel des Leichnams,
der auf ihre" Knieen ruht, und neigt sich mit innigem Schmerzensausdruck zu
demselben herab; auch Zeichnung und Colorit machen die Darstellung dem dar¬
unter befindlichen Hauptgemälde ebenbürtig. Nicht weit davon befindet sich über
einem anderen Altar ein Gemälde desselben Gegenstandes mit lebensgroßen
Figuren, von Palma Giovane; hier sitzt Maria in düsterer Felsenlandschaft,
von Engeln umschwebt, auf ihren Knieen den Leichnam, dessen herabhängende
Rechte von einem knieenden Mönch gehalten wird. Die Linke (die Madonna
ist, der Wirklichkeit entsprechend, kleiner als der Christuskörper gebildet) macht
die vou Michel Angelo angewendete Bewegung. Dieselbe kehrt auch wieder in
dem auch sonst bezüglich der Hauptgruppe sehr ähnlichen Bilde des zu dem
Kreise Bellinis gehörigen Lazzaro Sebastian! in der Akademie (Ur. 553)
und in dem ebendaselbst (Ur. 415) befindlichen Gemälde des Michele Par-
rasio, in welchem indeß die weit jugendlicher, dabei aber in geradezu störenden
realen Größenverhältniß erscheinende Madonna auswärts blickt und ein früherer
Moment gewählt ist, indem eine männliche Gestalt noch damit beschäftigt ist,
ihr den Leichnam auf deu Schoß zu legen, und die hinter der Gruppe befind¬
lichen Figuren, sowie die an das Kreuz gelehnte Leiter auf die unmittelbar vor¬
hergegangene Kreuzabnahme hinweisen.

Hier verlassen wir die Venezianische Schule, da die übrigen in Betracht
kommenden Gemälde derselben ein Moment in sich aufnehmen, welches, z. B.
bereits von Vottieelli verwendet*), namentlich durch das berühmte Gemälde
Correggios in der Galerie zu Parma in die spätere Kunst Eingang fand-
In dieser Darstellung sehen wir die Madonna, auf deren rechtem Knie der am
Boden liegende Leichnam des Sohnes ausruht, ohnmächtig zurücksinken, in
ergreifenden Contrast, wie Julius Meyer in seiner Monographie über Correggio
(S. 172) mit Recht sagt, mit der völligen Entseeluug der Gestalt Christi. Dieses
Pathologische Moment ist mit größter Naturwahrheit durchgeführt, so daß man,
wie Burckhardt hervorhebt, inne wird, wie die Madonna die Herrschaft über
den linken Arm verliert. Auch in den übrigen drei Figuren, namentlich in der
zu Füßen des Heilandes knieenden händeringenden Magdalena ist die Leidenschaft
des Schmerzes auf drastischste Weise zum Ausdruck gebracht. Unter dem un-



*) Münchener Pinakothek Ur, 56S.
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von Interesse ist, daß es zeigt, wie auch Tizian noch der schon lange vor ihm
herrschenden Auffassung folgte.

Dasselbe ist der Fall mit der Pietü, welche die obere Abtheilung des be¬
rühmten Bildes der heiligen Barbara in S. Maria Formosa von der Hand
des Palma Veechio bildet. Die in Halbfigur erscheinende Madonna umfaßt
mit der Rechten die Schulter, mit der Linken die Oberschenkel des Leichnams,
der auf ihre» Knieen ruht, und neigt sich mit innigem Schmerzensausdruck zu
demselben herab; auch Zeichnung und Colorit machen die Darstellung dem dar¬
unter befindlichen Hauptgemälde ebenbürtig. Nicht weit davon befindet sich über
einem anderen Altar ein Gemälde desselben Gegenstandes mit lebensgroßen
Figuren, von Palma Giovane; hier sitzt Maria in düsterer Felsenlandschaft,
von Engeln umschwebt, auf ihren Knieen den Leichnam, dessen herabhängende
Rechte von einem knieenden Mönch gehalten wird. Die Linke (die Madonna
ist, der Wirklichkeit entsprechend, kleiner als der Christuskörper gebildet) macht
die vou Michel Angelo angewendete Bewegung. Dieselbe kehrt auch wieder in
dem auch sonst bezüglich der Hauptgruppe sehr ähnlichen Bilde des zu dem
Kreise Bellinis gehörigen Lazzaro Sebastian! in der Akademie (Ur. 553)
und in dem ebendaselbst (Ur. 415) befindlichen Gemälde des Michele Par-
rasio, in welchem indeß die weit jugendlicher, dabei aber in geradezu störenden
realen Größenverhältniß erscheinende Madonna auswärts blickt und ein früherer
Moment gewählt ist, indem eine männliche Gestalt noch damit beschäftigt ist,
ihr den Leichnam auf deu Schoß zu legen, und die hinter der Gruppe befind¬
lichen Figuren, sowie die an das Kreuz gelehnte Leiter auf die unmittelbar vor¬
hergegangene Kreuzabnahme hinweisen.

Hier verlassen wir die Venezianische Schule, da die übrigen in Betracht
kommenden Gemälde derselben ein Moment in sich aufnehmen, welches, z. B.
bereits von Vottieelli verwendet*), namentlich durch das berühmte Gemälde
Correggios in der Galerie zu Parma in die spätere Kunst Eingang fand-
In dieser Darstellung sehen wir die Madonna, auf deren rechtem Knie der am
Boden liegende Leichnam des Sohnes ausruht, ohnmächtig zurücksinken, in
ergreifenden Contrast, wie Julius Meyer in seiner Monographie über Correggio
(S. 172) mit Recht sagt, mit der völligen Entseeluug der Gestalt Christi. Dieses
Pathologische Moment ist mit größter Naturwahrheit durchgeführt, so daß man,
wie Burckhardt hervorhebt, inne wird, wie die Madonna die Herrschaft über
den linken Arm verliert. Auch in den übrigen drei Figuren, namentlich in der
zu Füßen des Heilandes knieenden händeringenden Magdalena ist die Leidenschaft
des Schmerzes auf drastischste Weise zum Ausdruck gebracht. Unter dem un-



*) Münchener Pinakothek Ur, 56S.
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[0073] von Interesse ist, daß es zeigt, wie auch Tizian noch der schon lange vor ihm herrschenden Auffassung folgte. Dasselbe ist der Fall mit der Pietü, welche die obere Abtheilung des be¬ rühmten Bildes der heiligen Barbara in S. Maria Formosa von der Hand des Palma Veechio bildet. Die in Halbfigur erscheinende Madonna umfaßt mit der Rechten die Schulter, mit der Linken die Oberschenkel des Leichnams, der auf ihre» Knieen ruht, und neigt sich mit innigem Schmerzensausdruck zu demselben herab; auch Zeichnung und Colorit machen die Darstellung dem dar¬ unter befindlichen Hauptgemälde ebenbürtig. Nicht weit davon befindet sich über einem anderen Altar ein Gemälde desselben Gegenstandes mit lebensgroßen Figuren, von Palma Giovane; hier sitzt Maria in düsterer Felsenlandschaft, von Engeln umschwebt, auf ihren Knieen den Leichnam, dessen herabhängende Rechte von einem knieenden Mönch gehalten wird. Die Linke (die Madonna ist, der Wirklichkeit entsprechend, kleiner als der Christuskörper gebildet) macht die vou Michel Angelo angewendete Bewegung. Dieselbe kehrt auch wieder in dem auch sonst bezüglich der Hauptgruppe sehr ähnlichen Bilde des zu dem Kreise Bellinis gehörigen Lazzaro Sebastian! in der Akademie (Ur. 553) und in dem ebendaselbst (Ur. 415) befindlichen Gemälde des Michele Par- rasio, in welchem indeß die weit jugendlicher, dabei aber in geradezu störenden realen Größenverhältniß erscheinende Madonna auswärts blickt und ein früherer Moment gewählt ist, indem eine männliche Gestalt noch damit beschäftigt ist, ihr den Leichnam auf deu Schoß zu legen, und die hinter der Gruppe befind¬ lichen Figuren, sowie die an das Kreuz gelehnte Leiter auf die unmittelbar vor¬ hergegangene Kreuzabnahme hinweisen. Hier verlassen wir die Venezianische Schule, da die übrigen in Betracht kommenden Gemälde derselben ein Moment in sich aufnehmen, welches, z. B. bereits von Vottieelli verwendet*), namentlich durch das berühmte Gemälde Correggios in der Galerie zu Parma in die spätere Kunst Eingang fand- In dieser Darstellung sehen wir die Madonna, auf deren rechtem Knie der am Boden liegende Leichnam des Sohnes ausruht, ohnmächtig zurücksinken, in ergreifenden Contrast, wie Julius Meyer in seiner Monographie über Correggio (S. 172) mit Recht sagt, mit der völligen Entseeluug der Gestalt Christi. Dieses Pathologische Moment ist mit größter Naturwahrheit durchgeführt, so daß man, wie Burckhardt hervorhebt, inne wird, wie die Madonna die Herrschaft über den linken Arm verliert. Auch in den übrigen drei Figuren, namentlich in der zu Füßen des Heilandes knieenden händeringenden Magdalena ist die Leidenschaft des Schmerzes auf drastischste Weise zum Ausdruck gebracht. Unter dem un- *) Münchener Pinakothek Ur, 56S. Grcnzlwlcn!>I. 1^0. »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/73>, abgerufen am 25.08.2024.