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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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die Reichsverfassung brechen, sondern die Hansestädte brechen sie, indem sie den
Zollanschluß eiüöiiäA8 ^raso^ verschieben. Nicht Bismarck hat das Banner
des Rechts gesenkt, die Hansestädte sind es, die gegen den Geist der Reichs¬
verfassung und selbst gegen den Wortlaut der betreffenden Bestimmung gesündigt
haben und fort und fort dagegen sündigen, unterstützt von dem Gerede rebelli¬
scher Römlinge, unproductiver Fortschrittler und verbissener Manchesterleute.

Es ist klar, daß das gegenwärtige Verhältniß Hamburgs und Bremens
zum Reiche ein proviforisches hat sein sollen. In diesem Sinne haben die
Städte selbst dem Artikel 34 zugestimmt. Weder im Reichstage noch im Bundes¬
rathe, uoch in den gesetzgebenden Versammlungen der Städte, noch in der Presse
hatte sich bei der Berathung der Verfassung eine abweichende Stimme vernehm¬
bar gemacht. Damals schlug noch ein deutsches Herz in der Brust der Rath¬
geber der Nation, und der Drache des Partimlarismus wagte sich noch nicht
aus seiner finstern Hohle heraus an das siegende Licht des großen, neuen Tages.
Damals betheuerte Jeder, von stolzem nationalen Bewußtsein und heiliger
Vaterlandsliebe durchdrungen, daß der Einzelstaat dem Gesammtstaate Opfer
zu bringen habe. Heute weigert man sich und meint noch obendrein recht
patriotisch zu handeln und recht reichstreu zu sein. Damals unterstützten die
"Liberalen" die Regierung in ihren Bestrebungen zur Wahrung der Reichs¬
interessen und zur Bethätigung des Einheitsgedankens. Heute bekunden Sie eine
warme Theilnahme an Sonderbestrebungen, und, das Gewissen des Volkes
verwirrend, suchen sie in langathmigen Reden und spaltenlangen Aufsätzen
den Nachweis zu führen, daß der Partikularismus ein Recht auf seine Existenz
im Reiche habe. Was damals unter dem nachhallenden Jubel über die ge¬
waltigen Kriegsthaten unseres Volkes und im nationalen Hochgefühle über die
wunderbare Auferstehung des neuen Reiches und seiner Macht und Herrlichkeit
Niemand zu denken wagte, heute wird es auf allen Gassen gepredigt, und
das feindliche Ausland reibt dazu schadenfroh und rachedurstig die Hände. Ja,
es ist wirklich so: die Entwickelung zum Einheitsstaats hat Rückschritte gemacht,
und das Salz ist dumm geworden. Und dennoch haben auf die Durchführung
der Reichsverfassung über 40 Millionen Deutsche ein unveräußerliches Recht;
unter ihnen aber hat Fürst Bismarck vor Allen mehr als ein Verfassungsrecht,
er hat die politische und moralische Pflicht, für die Verwirklichung ihrer Grund-
sätze und die Durchführung der Gesetze zu sorgen, bis die ganze Neichseinheit,
wie die Verfassung sie vorschreibt, wird erreicht worden sein. Bilden wir uns
nur nicht ein, daß wir mit der Reichseinheit auch schon die National¬
einheit errungen Hütten, die ungetheilte Nationaleinheit, wie sie Frankreich und
England schon seit Jahrhunderten besitzen. Nicht einmal die volle ganze poli-
litische Reichseinheit haben wir. Denn Preußen, Baiern, Sachsen u. f. w.


die Reichsverfassung brechen, sondern die Hansestädte brechen sie, indem sie den
Zollanschluß eiüöiiäA8 ^raso^ verschieben. Nicht Bismarck hat das Banner
des Rechts gesenkt, die Hansestädte sind es, die gegen den Geist der Reichs¬
verfassung und selbst gegen den Wortlaut der betreffenden Bestimmung gesündigt
haben und fort und fort dagegen sündigen, unterstützt von dem Gerede rebelli¬
scher Römlinge, unproductiver Fortschrittler und verbissener Manchesterleute.

Es ist klar, daß das gegenwärtige Verhältniß Hamburgs und Bremens
zum Reiche ein proviforisches hat sein sollen. In diesem Sinne haben die
Städte selbst dem Artikel 34 zugestimmt. Weder im Reichstage noch im Bundes¬
rathe, uoch in den gesetzgebenden Versammlungen der Städte, noch in der Presse
hatte sich bei der Berathung der Verfassung eine abweichende Stimme vernehm¬
bar gemacht. Damals schlug noch ein deutsches Herz in der Brust der Rath¬
geber der Nation, und der Drache des Partimlarismus wagte sich noch nicht
aus seiner finstern Hohle heraus an das siegende Licht des großen, neuen Tages.
Damals betheuerte Jeder, von stolzem nationalen Bewußtsein und heiliger
Vaterlandsliebe durchdrungen, daß der Einzelstaat dem Gesammtstaate Opfer
zu bringen habe. Heute weigert man sich und meint noch obendrein recht
patriotisch zu handeln und recht reichstreu zu sein. Damals unterstützten die
„Liberalen" die Regierung in ihren Bestrebungen zur Wahrung der Reichs¬
interessen und zur Bethätigung des Einheitsgedankens. Heute bekunden Sie eine
warme Theilnahme an Sonderbestrebungen, und, das Gewissen des Volkes
verwirrend, suchen sie in langathmigen Reden und spaltenlangen Aufsätzen
den Nachweis zu führen, daß der Partikularismus ein Recht auf seine Existenz
im Reiche habe. Was damals unter dem nachhallenden Jubel über die ge¬
waltigen Kriegsthaten unseres Volkes und im nationalen Hochgefühle über die
wunderbare Auferstehung des neuen Reiches und seiner Macht und Herrlichkeit
Niemand zu denken wagte, heute wird es auf allen Gassen gepredigt, und
das feindliche Ausland reibt dazu schadenfroh und rachedurstig die Hände. Ja,
es ist wirklich so: die Entwickelung zum Einheitsstaats hat Rückschritte gemacht,
und das Salz ist dumm geworden. Und dennoch haben auf die Durchführung
der Reichsverfassung über 40 Millionen Deutsche ein unveräußerliches Recht;
unter ihnen aber hat Fürst Bismarck vor Allen mehr als ein Verfassungsrecht,
er hat die politische und moralische Pflicht, für die Verwirklichung ihrer Grund-
sätze und die Durchführung der Gesetze zu sorgen, bis die ganze Neichseinheit,
wie die Verfassung sie vorschreibt, wird erreicht worden sein. Bilden wir uns
nur nicht ein, daß wir mit der Reichseinheit auch schon die National¬
einheit errungen Hütten, die ungetheilte Nationaleinheit, wie sie Frankreich und
England schon seit Jahrhunderten besitzen. Nicht einmal die volle ganze poli-
litische Reichseinheit haben wir. Denn Preußen, Baiern, Sachsen u. f. w.


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[0064] die Reichsverfassung brechen, sondern die Hansestädte brechen sie, indem sie den Zollanschluß eiüöiiäA8 ^raso^ verschieben. Nicht Bismarck hat das Banner des Rechts gesenkt, die Hansestädte sind es, die gegen den Geist der Reichs¬ verfassung und selbst gegen den Wortlaut der betreffenden Bestimmung gesündigt haben und fort und fort dagegen sündigen, unterstützt von dem Gerede rebelli¬ scher Römlinge, unproductiver Fortschrittler und verbissener Manchesterleute. Es ist klar, daß das gegenwärtige Verhältniß Hamburgs und Bremens zum Reiche ein proviforisches hat sein sollen. In diesem Sinne haben die Städte selbst dem Artikel 34 zugestimmt. Weder im Reichstage noch im Bundes¬ rathe, uoch in den gesetzgebenden Versammlungen der Städte, noch in der Presse hatte sich bei der Berathung der Verfassung eine abweichende Stimme vernehm¬ bar gemacht. Damals schlug noch ein deutsches Herz in der Brust der Rath¬ geber der Nation, und der Drache des Partimlarismus wagte sich noch nicht aus seiner finstern Hohle heraus an das siegende Licht des großen, neuen Tages. Damals betheuerte Jeder, von stolzem nationalen Bewußtsein und heiliger Vaterlandsliebe durchdrungen, daß der Einzelstaat dem Gesammtstaate Opfer zu bringen habe. Heute weigert man sich und meint noch obendrein recht patriotisch zu handeln und recht reichstreu zu sein. Damals unterstützten die „Liberalen" die Regierung in ihren Bestrebungen zur Wahrung der Reichs¬ interessen und zur Bethätigung des Einheitsgedankens. Heute bekunden Sie eine warme Theilnahme an Sonderbestrebungen, und, das Gewissen des Volkes verwirrend, suchen sie in langathmigen Reden und spaltenlangen Aufsätzen den Nachweis zu führen, daß der Partikularismus ein Recht auf seine Existenz im Reiche habe. Was damals unter dem nachhallenden Jubel über die ge¬ waltigen Kriegsthaten unseres Volkes und im nationalen Hochgefühle über die wunderbare Auferstehung des neuen Reiches und seiner Macht und Herrlichkeit Niemand zu denken wagte, heute wird es auf allen Gassen gepredigt, und das feindliche Ausland reibt dazu schadenfroh und rachedurstig die Hände. Ja, es ist wirklich so: die Entwickelung zum Einheitsstaats hat Rückschritte gemacht, und das Salz ist dumm geworden. Und dennoch haben auf die Durchführung der Reichsverfassung über 40 Millionen Deutsche ein unveräußerliches Recht; unter ihnen aber hat Fürst Bismarck vor Allen mehr als ein Verfassungsrecht, er hat die politische und moralische Pflicht, für die Verwirklichung ihrer Grund- sätze und die Durchführung der Gesetze zu sorgen, bis die ganze Neichseinheit, wie die Verfassung sie vorschreibt, wird erreicht worden sein. Bilden wir uns nur nicht ein, daß wir mit der Reichseinheit auch schon die National¬ einheit errungen Hütten, die ungetheilte Nationaleinheit, wie sie Frankreich und England schon seit Jahrhunderten besitzen. Nicht einmal die volle ganze poli- litische Reichseinheit haben wir. Denn Preußen, Baiern, Sachsen u. f. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/64>, abgerufen am 23.07.2024.