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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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vierzig Jahren hat sie auf der Tagesordnung der Bürgerschaften gestanden und
wird um sie gekämpft. Bald war die Strömung für den Anschluß stärker,
bald war sie schwächer, bald ruhte die Frage, wie in den Tagen des Steuer¬
vereins, der neben dem Zollvereine eine besondere, die Hansestädte begün¬
stigende Zollgrnppe bildete, aber nur, um nach dem Anschluß des Steuervercius
an den Zollverein desto eifriger discutirt zu werden. Stets hat die Anschluß-
Partei ihre Vertreter in den staatlichen Körperschaften gehabt. Auch jetzt hat
sie ihre Vertheidiger in den Senaten, in den Körperschaften und in den Handels¬
kammern, und in den Gewerbekammern dürften nur wenige Mitglieder sitzen,
die dem Anschlusse widerstreben. Stets hat sich in den beiden Städten, und
heute mehr als je, die Ansicht Bahn zu brechen gewußt, daß der Anschluß
erfolge" müsse anch selbst dann, wenn dem Handel nicht erspart werden könne,
kleine Opfer dem Gesammtvaterlcmde zu bringen, und es sei klüger, den An¬
schluß zu wünschen, als ihn sich aufnöthigen zu lassen. Kommen müsse doch
einst der Tag, an dem das lange ersehnte, von vielen schmerzlich verlangte,
unabweisbare Ereigniß eine geschichtliche Thatsache geworden sein würde. Mancher
wackere Kämpe erlahmte in dem langen Kampfe, weil ihm die Macht nicht zu
Gebote stand und Gründe den erwünschten Erfolg nicht hatten. "Der unauf¬
hörliche Kampf ohne sichtbaren Erfolg macht zuletzt schlaff, und selbst das be¬
fähigte Jndividnum wird nicht mehr beachtet unter der brutalen Menge." Jetzt
ist an die Stelle der Einzelkämpfer in den Hansestädten der eine große Kämpfer
getreten, der mächtig und gewaltig ist wie keiner, und der in diesem Kampfe
wahrlich nicht erlahmen wird. So oft auch die unweisen Bauleute den Baustein
verworfen haben, er ist nach einer großen, gewaltigen Zeit, nach der Wieder¬
aufrichtung des deutschen Reiches in der Reichsverfassung zum Grund- und
Eckstein geworden.

Ja, zum Grund- und Eckstein. Daß die kleine aber mächtige Partei in den
Hansestädten -- die sich nur momentan durch grollende Tabakshändler, von
denen noch nicht ein Dutzend fähig, das Für und Wider der Frage sich klar
zu machen, verstärkt hat -- in den bezüglichen Paragraphen niemals das Fun¬
dament zum Aufbau einer neuen Zeit für Handel und Schifffnhrt, für Industrie
und Gewerbe erkannte, und wenn erkannte, nicht erkennen wollte, ist einer der
größten politischen Fehler gewesen, dessen sich jemals eine Partei eines kleinen
Gemeinwesens schuldig gemacht hat. Alles was gestern war, soll heute sein, und
soll auch morgen gelten, weil es heute gilt. Nahe und ferne Perspectiven mit
staatsmännischem Blicke zu messen, dazu ist der Kaufmann meistens nicht fähig;
denn er sieht nur das allernächste: den Vortheil seines eigenen Geschäfts. Der
Kaufmann ist ein Egoist, und wenn sein wohlerwogenes und wohlgemessenes
eigenstes Interesse sich oft an die entlegensten Punkte der Erde knüpft, so ist


vierzig Jahren hat sie auf der Tagesordnung der Bürgerschaften gestanden und
wird um sie gekämpft. Bald war die Strömung für den Anschluß stärker,
bald war sie schwächer, bald ruhte die Frage, wie in den Tagen des Steuer¬
vereins, der neben dem Zollvereine eine besondere, die Hansestädte begün¬
stigende Zollgrnppe bildete, aber nur, um nach dem Anschluß des Steuervercius
an den Zollverein desto eifriger discutirt zu werden. Stets hat die Anschluß-
Partei ihre Vertreter in den staatlichen Körperschaften gehabt. Auch jetzt hat
sie ihre Vertheidiger in den Senaten, in den Körperschaften und in den Handels¬
kammern, und in den Gewerbekammern dürften nur wenige Mitglieder sitzen,
die dem Anschlusse widerstreben. Stets hat sich in den beiden Städten, und
heute mehr als je, die Ansicht Bahn zu brechen gewußt, daß der Anschluß
erfolge» müsse anch selbst dann, wenn dem Handel nicht erspart werden könne,
kleine Opfer dem Gesammtvaterlcmde zu bringen, und es sei klüger, den An¬
schluß zu wünschen, als ihn sich aufnöthigen zu lassen. Kommen müsse doch
einst der Tag, an dem das lange ersehnte, von vielen schmerzlich verlangte,
unabweisbare Ereigniß eine geschichtliche Thatsache geworden sein würde. Mancher
wackere Kämpe erlahmte in dem langen Kampfe, weil ihm die Macht nicht zu
Gebote stand und Gründe den erwünschten Erfolg nicht hatten. „Der unauf¬
hörliche Kampf ohne sichtbaren Erfolg macht zuletzt schlaff, und selbst das be¬
fähigte Jndividnum wird nicht mehr beachtet unter der brutalen Menge." Jetzt
ist an die Stelle der Einzelkämpfer in den Hansestädten der eine große Kämpfer
getreten, der mächtig und gewaltig ist wie keiner, und der in diesem Kampfe
wahrlich nicht erlahmen wird. So oft auch die unweisen Bauleute den Baustein
verworfen haben, er ist nach einer großen, gewaltigen Zeit, nach der Wieder¬
aufrichtung des deutschen Reiches in der Reichsverfassung zum Grund- und
Eckstein geworden.

Ja, zum Grund- und Eckstein. Daß die kleine aber mächtige Partei in den
Hansestädten — die sich nur momentan durch grollende Tabakshändler, von
denen noch nicht ein Dutzend fähig, das Für und Wider der Frage sich klar
zu machen, verstärkt hat — in den bezüglichen Paragraphen niemals das Fun¬
dament zum Aufbau einer neuen Zeit für Handel und Schifffnhrt, für Industrie
und Gewerbe erkannte, und wenn erkannte, nicht erkennen wollte, ist einer der
größten politischen Fehler gewesen, dessen sich jemals eine Partei eines kleinen
Gemeinwesens schuldig gemacht hat. Alles was gestern war, soll heute sein, und
soll auch morgen gelten, weil es heute gilt. Nahe und ferne Perspectiven mit
staatsmännischem Blicke zu messen, dazu ist der Kaufmann meistens nicht fähig;
denn er sieht nur das allernächste: den Vortheil seines eigenen Geschäfts. Der
Kaufmann ist ein Egoist, und wenn sein wohlerwogenes und wohlgemessenes
eigenstes Interesse sich oft an die entlegensten Punkte der Erde knüpft, so ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/61>, abgerufen am 25.08.2024.