Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.unserm Tagen. Sehr häufig kann man da bemerken, wie die Sprache unter unserm Tagen. Sehr häufig kann man da bemerken, wie die Sprache unter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147627"/> <p xml:id="ID_1464" prev="#ID_1463" next="#ID_1465"> unserm Tagen. Sehr häufig kann man da bemerken, wie die Sprache unter<lb/> verschiedenen ihr zu Gebote stehenden Wendungen der alliterirenden den Vorzug<lb/> giebt. Eine ganze Reihe von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten,<lb/> welche die Sprache in alliterirenden Wendungen giebt, zahlreiche alliterirende<lb/> Wortzusammensetzungen bestätigen dies. In der Verbindung „nicht süß noch<lb/> sauer" z. B. trat das mit süß alliterireude sauer entschieden für das dem Ge¬<lb/> danken nach jedenfalls treffendere, den Gegensatz schürser bezeichnende bitter ein.<lb/> Wenn wir ferner „sauer sehen" oder „ein saures Gesicht machen", so ist auch hier<lb/> wohl die Alliteration bei der Wahl des Attributes bestimmend gewesen. Zur<lb/> Bezeichnung prächtiger, kostbarer Kleidung sprechen wir von „Sammt und Seide".<lb/> Mag man immerhin geneigt sein, die Alliteration hier für zufällig zu halte»,<lb/> auf jeden Fall ist sie nicht bloß thatsächlich vorhanden und wirksam, sondern<lb/> gewiß ist dies dem Sprachgefühl auch nicht entgangen, als es diesen formel¬<lb/> haften Ausdruck fixirte, so wenig wie in der Redensart „mit Mann und Maus",<lb/> welche, zunächst der Sprache der Schiffer angehörig, alles auf dem Schiffe be¬<lb/> findliche Lebendige, das Größte wie das Kleinste, bezeichnete, dann erst im all¬<lb/> gemeineren Sinne gebraucht wurde. Zur Entstehung des Ausdrucks „Es wird<lb/> mir heiß ums Herz" gab selbstverständig das thatsächlich vorhandene körperliche<lb/> Gefühl den ersten Anlaß; doch trug gewiß auch hier die Alliteration mit dazu<lb/> bei, den Ausdruck geläufig zu macheu und zu erhalten. Nicht wenige unserer<lb/> Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten sind im höchsten Grade originell,<lb/> ja geradezu wunderlich. Bei manchen erklärt sich dies daraus, daß irgend ein<lb/> bestimmter Vorfall ihre Entstehung veranlaßte, der später in Vergessenheit ge-<lb/> rieth, während die betreffende Redensart blieb. Bei anderen aber ist dies nicht<lb/> der Fall, vielmehr hat hier offenbar das Streben nach Alliteration dazu mit¬<lb/> gewirkt, ihnen gerade die Form zu gebe«, in der sie uns begegnen. Zuweilen<lb/> haben hierbei selbst andere Rücksichten — z.B. auf das, was dem Sinne nach näher<lb/> lag — hinter der auf jenes formale Moment zurücktreten müssen. Da wird z. B.<lb/> in einem ebenso sinnigen wie formell wirksamen Sprichworte, welches die Ver¬<lb/> gänglichkeit und Hinfälligkeit alles irdischen Glanzes ausspricht, Glück und Glas,<lb/> gewiß ein originelles Paar, zusammengestellt. Da machen wir einem „die Hölle<lb/> heiß", da versprechen wir einem etwas „hoch und heilig", oder „es läuft uns eine<lb/> Laus über die Leber". Die letztere Wendung ist sicher ein besonders treffendes<lb/> Beispiel für das eben gesagte: ein drastischerer und das Unbehagliche, kaum<lb/> Erträgliche der Situation stärker bezeichnender Ausdruck ist wohl kaum denkbar.<lb/> Es ist klar, daß auch hier die, wenn auch nicht deutlich bewußte Vorliebe für<lb/> die Alliteration grade die Laus laufen ließ, und zwar gerade über die Leber.<lb/> In dem Ausdruck „kalte Küche" hat der Einfluß des Stabreims gewiß den eigen¬<lb/> thümlichen Gebrauch von Küche veranlaßt, so gut wie er es auch war, dem der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0533]
unserm Tagen. Sehr häufig kann man da bemerken, wie die Sprache unter
verschiedenen ihr zu Gebote stehenden Wendungen der alliterirenden den Vorzug
giebt. Eine ganze Reihe von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten,
welche die Sprache in alliterirenden Wendungen giebt, zahlreiche alliterirende
Wortzusammensetzungen bestätigen dies. In der Verbindung „nicht süß noch
sauer" z. B. trat das mit süß alliterireude sauer entschieden für das dem Ge¬
danken nach jedenfalls treffendere, den Gegensatz schürser bezeichnende bitter ein.
Wenn wir ferner „sauer sehen" oder „ein saures Gesicht machen", so ist auch hier
wohl die Alliteration bei der Wahl des Attributes bestimmend gewesen. Zur
Bezeichnung prächtiger, kostbarer Kleidung sprechen wir von „Sammt und Seide".
Mag man immerhin geneigt sein, die Alliteration hier für zufällig zu halte»,
auf jeden Fall ist sie nicht bloß thatsächlich vorhanden und wirksam, sondern
gewiß ist dies dem Sprachgefühl auch nicht entgangen, als es diesen formel¬
haften Ausdruck fixirte, so wenig wie in der Redensart „mit Mann und Maus",
welche, zunächst der Sprache der Schiffer angehörig, alles auf dem Schiffe be¬
findliche Lebendige, das Größte wie das Kleinste, bezeichnete, dann erst im all¬
gemeineren Sinne gebraucht wurde. Zur Entstehung des Ausdrucks „Es wird
mir heiß ums Herz" gab selbstverständig das thatsächlich vorhandene körperliche
Gefühl den ersten Anlaß; doch trug gewiß auch hier die Alliteration mit dazu
bei, den Ausdruck geläufig zu macheu und zu erhalten. Nicht wenige unserer
Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten sind im höchsten Grade originell,
ja geradezu wunderlich. Bei manchen erklärt sich dies daraus, daß irgend ein
bestimmter Vorfall ihre Entstehung veranlaßte, der später in Vergessenheit ge-
rieth, während die betreffende Redensart blieb. Bei anderen aber ist dies nicht
der Fall, vielmehr hat hier offenbar das Streben nach Alliteration dazu mit¬
gewirkt, ihnen gerade die Form zu gebe«, in der sie uns begegnen. Zuweilen
haben hierbei selbst andere Rücksichten — z.B. auf das, was dem Sinne nach näher
lag — hinter der auf jenes formale Moment zurücktreten müssen. Da wird z. B.
in einem ebenso sinnigen wie formell wirksamen Sprichworte, welches die Ver¬
gänglichkeit und Hinfälligkeit alles irdischen Glanzes ausspricht, Glück und Glas,
gewiß ein originelles Paar, zusammengestellt. Da machen wir einem „die Hölle
heiß", da versprechen wir einem etwas „hoch und heilig", oder „es läuft uns eine
Laus über die Leber". Die letztere Wendung ist sicher ein besonders treffendes
Beispiel für das eben gesagte: ein drastischerer und das Unbehagliche, kaum
Erträgliche der Situation stärker bezeichnender Ausdruck ist wohl kaum denkbar.
Es ist klar, daß auch hier die, wenn auch nicht deutlich bewußte Vorliebe für
die Alliteration grade die Laus laufen ließ, und zwar gerade über die Leber.
In dem Ausdruck „kalte Küche" hat der Einfluß des Stabreims gewiß den eigen¬
thümlichen Gebrauch von Küche veranlaßt, so gut wie er es auch war, dem der
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