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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Antwort zu geben; wir enthalten uns auch, zustimmend oder ablehnend über die
national-ökonomischen Vorschläge Marianos uns auszusprechen, die im wesent¬
lichen darauf hinausgehen, eine Wiederherstellung corporativer Verbände und
die Ueberantwortung der großen finanziellen Interessen und auf den öffentlichen
Credit gegründeten Unternehmungen in die Hände des Staates zu empfehlen.
Wir enthalten uns hier jeglichen Urtheils, einfach weil wir ausgesprochene Feinde
des Dilettantismus sind. In unserer Zeit spricht ja leider jeder Gebildete
mit mehr oder weniger Unfehlbarkeit über alle Dinge im Himmel und auf
Erden, und das soll ihm unbenommen bleiben. Aber über alle diese Dinge
auch zu schreiben und zu lehren steht nicht jedem zu. Die sociale Frage ist
viel zu schwer und zu ernst, als daß es zulässig sein könnte, die Einfälle, die
nach flüchtiger Information den: Einzelnen kommen, als werthvolle Wahrheiten
aufs Papier zu bringen. Aber die sociale Frage hat eine, Seite, über die wir
als Mitarbeiter d. Bl. auf theologisch-kirchlichem und religionsphilosophischem
Gebiete uns ein Wort mit zu sprechen erlauben dürfen. Sie hat eine religiöse
und ethische Beziehung und kann auf keine befriedigende Lösung rechnen, wenn
diese nicht auf dem Boden des Christenthums gelöst ist. Nach dreifacher Hinsicht
steht das Christenthum im Zusammenhang mit den socialen Fragen, vertritt das
wahre und bekämpft das unwahre Element des Socialismus. Das Christen¬
thum lehrt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und sieht es deshalb als
eine Aufgabe der geschichtlichen Entwicklung an, daß jedem Gliede der Mensch¬
heit das Maß der persönlichen Freiheit und Ausstattung mit irdischem Besitz zu¬
falle, welches der Hoheit seines Ursprunges und seiner Bestimmung entspricht,
daß seiner Arbeit ein Lohn zu Theil werde, der ihm die Bedingungen eines des
Menschen würdigen Daseins zu beschaffen gestattet. Das Christenthum erkennt
aber sodann in jeder Persönlichkeit eine eigenthümliche Ausgestaltung, eine in¬
dividuelle Spiegelung des göttlichen Ebenbildes, die als solche geschätzt und
gepflegt werden muß. Es protestirt daher gegen die Aufhebung des Eigenthums
und der Ehe als Vernichtung der Individualität und der persönlichen Freiheit.
Das Christenthum predigt endlich die Freiheit der Persönlichkeit, die in der Un¬
abhängigkeit vom Wechsel irdischer Geschicke und sichtbarer Verhältnisse wurzelt.
Es erschließt im Geiste den Quell einer Freiheit, einer Freude, eines Friedens,
die, in den Tiefen der Innerlichkeit entsprungen, auch durch Armuth und Noth,
Leid und Schmerz nicht verschüttet werden können. Es eröffnet eine Perspektive
über die Schranken von Raum und Zeit hinaus und erfüllt so die Seele mit
einer Hoffnung, welche sie leichter die Mühen und Beschwerden des Erdendaseins
tragen läßt. Diese Idealität der Weltanschauung ist ein unentbehrlicher Factor,
um die sociale Frage auf friedliche Wege zu führen. Denn daß dies zeitliche
Leben je eine Stätte ununterbrochenen und für alle Menschen gleichmäßigen


Antwort zu geben; wir enthalten uns auch, zustimmend oder ablehnend über die
national-ökonomischen Vorschläge Marianos uns auszusprechen, die im wesent¬
lichen darauf hinausgehen, eine Wiederherstellung corporativer Verbände und
die Ueberantwortung der großen finanziellen Interessen und auf den öffentlichen
Credit gegründeten Unternehmungen in die Hände des Staates zu empfehlen.
Wir enthalten uns hier jeglichen Urtheils, einfach weil wir ausgesprochene Feinde
des Dilettantismus sind. In unserer Zeit spricht ja leider jeder Gebildete
mit mehr oder weniger Unfehlbarkeit über alle Dinge im Himmel und auf
Erden, und das soll ihm unbenommen bleiben. Aber über alle diese Dinge
auch zu schreiben und zu lehren steht nicht jedem zu. Die sociale Frage ist
viel zu schwer und zu ernst, als daß es zulässig sein könnte, die Einfälle, die
nach flüchtiger Information den: Einzelnen kommen, als werthvolle Wahrheiten
aufs Papier zu bringen. Aber die sociale Frage hat eine, Seite, über die wir
als Mitarbeiter d. Bl. auf theologisch-kirchlichem und religionsphilosophischem
Gebiete uns ein Wort mit zu sprechen erlauben dürfen. Sie hat eine religiöse
und ethische Beziehung und kann auf keine befriedigende Lösung rechnen, wenn
diese nicht auf dem Boden des Christenthums gelöst ist. Nach dreifacher Hinsicht
steht das Christenthum im Zusammenhang mit den socialen Fragen, vertritt das
wahre und bekämpft das unwahre Element des Socialismus. Das Christen¬
thum lehrt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und sieht es deshalb als
eine Aufgabe der geschichtlichen Entwicklung an, daß jedem Gliede der Mensch¬
heit das Maß der persönlichen Freiheit und Ausstattung mit irdischem Besitz zu¬
falle, welches der Hoheit seines Ursprunges und seiner Bestimmung entspricht,
daß seiner Arbeit ein Lohn zu Theil werde, der ihm die Bedingungen eines des
Menschen würdigen Daseins zu beschaffen gestattet. Das Christenthum erkennt
aber sodann in jeder Persönlichkeit eine eigenthümliche Ausgestaltung, eine in¬
dividuelle Spiegelung des göttlichen Ebenbildes, die als solche geschätzt und
gepflegt werden muß. Es protestirt daher gegen die Aufhebung des Eigenthums
und der Ehe als Vernichtung der Individualität und der persönlichen Freiheit.
Das Christenthum predigt endlich die Freiheit der Persönlichkeit, die in der Un¬
abhängigkeit vom Wechsel irdischer Geschicke und sichtbarer Verhältnisse wurzelt.
Es erschließt im Geiste den Quell einer Freiheit, einer Freude, eines Friedens,
die, in den Tiefen der Innerlichkeit entsprungen, auch durch Armuth und Noth,
Leid und Schmerz nicht verschüttet werden können. Es eröffnet eine Perspektive
über die Schranken von Raum und Zeit hinaus und erfüllt so die Seele mit
einer Hoffnung, welche sie leichter die Mühen und Beschwerden des Erdendaseins
tragen läßt. Diese Idealität der Weltanschauung ist ein unentbehrlicher Factor,
um die sociale Frage auf friedliche Wege zu führen. Denn daß dies zeitliche
Leben je eine Stätte ununterbrochenen und für alle Menschen gleichmäßigen


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[0520] Antwort zu geben; wir enthalten uns auch, zustimmend oder ablehnend über die national-ökonomischen Vorschläge Marianos uns auszusprechen, die im wesent¬ lichen darauf hinausgehen, eine Wiederherstellung corporativer Verbände und die Ueberantwortung der großen finanziellen Interessen und auf den öffentlichen Credit gegründeten Unternehmungen in die Hände des Staates zu empfehlen. Wir enthalten uns hier jeglichen Urtheils, einfach weil wir ausgesprochene Feinde des Dilettantismus sind. In unserer Zeit spricht ja leider jeder Gebildete mit mehr oder weniger Unfehlbarkeit über alle Dinge im Himmel und auf Erden, und das soll ihm unbenommen bleiben. Aber über alle diese Dinge auch zu schreiben und zu lehren steht nicht jedem zu. Die sociale Frage ist viel zu schwer und zu ernst, als daß es zulässig sein könnte, die Einfälle, die nach flüchtiger Information den: Einzelnen kommen, als werthvolle Wahrheiten aufs Papier zu bringen. Aber die sociale Frage hat eine, Seite, über die wir als Mitarbeiter d. Bl. auf theologisch-kirchlichem und religionsphilosophischem Gebiete uns ein Wort mit zu sprechen erlauben dürfen. Sie hat eine religiöse und ethische Beziehung und kann auf keine befriedigende Lösung rechnen, wenn diese nicht auf dem Boden des Christenthums gelöst ist. Nach dreifacher Hinsicht steht das Christenthum im Zusammenhang mit den socialen Fragen, vertritt das wahre und bekämpft das unwahre Element des Socialismus. Das Christen¬ thum lehrt die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und sieht es deshalb als eine Aufgabe der geschichtlichen Entwicklung an, daß jedem Gliede der Mensch¬ heit das Maß der persönlichen Freiheit und Ausstattung mit irdischem Besitz zu¬ falle, welches der Hoheit seines Ursprunges und seiner Bestimmung entspricht, daß seiner Arbeit ein Lohn zu Theil werde, der ihm die Bedingungen eines des Menschen würdigen Daseins zu beschaffen gestattet. Das Christenthum erkennt aber sodann in jeder Persönlichkeit eine eigenthümliche Ausgestaltung, eine in¬ dividuelle Spiegelung des göttlichen Ebenbildes, die als solche geschätzt und gepflegt werden muß. Es protestirt daher gegen die Aufhebung des Eigenthums und der Ehe als Vernichtung der Individualität und der persönlichen Freiheit. Das Christenthum predigt endlich die Freiheit der Persönlichkeit, die in der Un¬ abhängigkeit vom Wechsel irdischer Geschicke und sichtbarer Verhältnisse wurzelt. Es erschließt im Geiste den Quell einer Freiheit, einer Freude, eines Friedens, die, in den Tiefen der Innerlichkeit entsprungen, auch durch Armuth und Noth, Leid und Schmerz nicht verschüttet werden können. Es eröffnet eine Perspektive über die Schranken von Raum und Zeit hinaus und erfüllt so die Seele mit einer Hoffnung, welche sie leichter die Mühen und Beschwerden des Erdendaseins tragen läßt. Diese Idealität der Weltanschauung ist ein unentbehrlicher Factor, um die sociale Frage auf friedliche Wege zu führen. Denn daß dies zeitliche Leben je eine Stätte ununterbrochenen und für alle Menschen gleichmäßigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/520>, abgerufen am 23.07.2024.