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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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hört, sind ihrem Ursprünge und Wesen nach unterschieden, und ihre Berührung
und Beziehung im Menschen hebt ihren'principiellen Gegensatz nicht auf; ihre
Einheit in der menschlichen Persönlichkeit ist die innere Verbindung zweier Welten
zu einem Ganzen, nicht das Ergebniß einer Identität des wirksamen Factors,
der, materieller Natur, die Eigenthümlichkeit besitzen soll, den Schein eines gei¬
stigen Seins hervorzubringen.

Der im ersten Abschnitt gezeichnete Gegensatz kehrt in anderer Gestalt auf
einem höheren Gebiete wieder, wenn die Betrachtung sich dem Verhältniß der
Cultur zum Christenthum zuwendet. Denn in dem Kampfe einer dem Christen¬
thum feindlichen Bildung gegen das Christenthum handelt es sich eigentlich im
letzten Sinne um den Kampf zwischen Nothwendigkeit und Freiheit; zwischen
einer Weltanschauung, welche das geschichtliche Leben auf blind wirkende Kräfte
zurückführt, und einer entgegengesetzten, welche darin die Thätigkeit von objec¬
tiven Zwecken erkennt, die über alle Einzelerscheinungen hinausgreifen, in ihnen
und durch sie sich verwirklichen. Wer eine solche teleologische Geschichtsauffas-
sung sich erworben hat, kann unmöglich daran zweifeln, daß das Christenthum
Ausgangs- und Zielpunkt uuserer Cultur bildet. Es sind ganz besonders ge¬
lungene Partien in unserer Schrift, die diesem Nachweis gewidmet siud. Das
Bewußtsein des modernen Staats, ein ethischer Organismus zu sein, die Idee
der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die ihn leitet, der Schutz der indi¬
viduellen Freiheit, den er gewährt, alles dies sind Ausflüsse des christlichen Be¬
wußtseins, daß das ganze menschliche Sein sich in den Dienst des Sittlichen
stellen müsse, und daß jede menschliche Persönlichkeit als eine eigenthümliche
Gestaltung des göttlichen Ebenbildes Spielraum zur Entfaltung derselben zu
fordern ebenso berechtigt wie verpflichtet sei. Und wie der Staat, so ruht auch
die Kunst uicht bloß des Mittelalters, sondern auch des neuen mit der Renais¬
sance beginnenden Zeitalters ans christlichen Voraussetzungen, mögen anch ein¬
zelne Künstler zum heidnischen Ideal zurückzukehren versucht haben und noch
gegenwärtig versuchen. Ein solcher Versuch muß mißlingen. Denn der Genius
der antiken Kunst war nur eine besondere Manifestation der griechisch-römischen
Gesainmtanschauung und durch die mannigfaltigen Beziehungen derselben be¬
dingt. Und so wenig diese sich je wieder herstellen lassen, so wenig ist an ein
Wiedererwachen der antiken Kunst zu denken. Wer es unternimmt sie wieder
zu erwecken, wird entweder an der Klippe äußerlicher, steifer Nachahmung oder
an der gegenwärtig besonders drohenden Gefahr eines rohen Naturalismus schei¬
tern. Die antike Sculptur -- denn sie allein kommt ja hier in Betracht -- wird
immer ein hellstrahlender Leuchtthurm fein, an dem die Künstler sich orientiren
können, ein Vorbild, das nie seinen Werth verlieren wird, weil für ein bestimmtes
Entwicklungsstadium geistigen Lebens hier der classische Ausdruck gefunden ist.


hört, sind ihrem Ursprünge und Wesen nach unterschieden, und ihre Berührung
und Beziehung im Menschen hebt ihren'principiellen Gegensatz nicht auf; ihre
Einheit in der menschlichen Persönlichkeit ist die innere Verbindung zweier Welten
zu einem Ganzen, nicht das Ergebniß einer Identität des wirksamen Factors,
der, materieller Natur, die Eigenthümlichkeit besitzen soll, den Schein eines gei¬
stigen Seins hervorzubringen.

Der im ersten Abschnitt gezeichnete Gegensatz kehrt in anderer Gestalt auf
einem höheren Gebiete wieder, wenn die Betrachtung sich dem Verhältniß der
Cultur zum Christenthum zuwendet. Denn in dem Kampfe einer dem Christen¬
thum feindlichen Bildung gegen das Christenthum handelt es sich eigentlich im
letzten Sinne um den Kampf zwischen Nothwendigkeit und Freiheit; zwischen
einer Weltanschauung, welche das geschichtliche Leben auf blind wirkende Kräfte
zurückführt, und einer entgegengesetzten, welche darin die Thätigkeit von objec¬
tiven Zwecken erkennt, die über alle Einzelerscheinungen hinausgreifen, in ihnen
und durch sie sich verwirklichen. Wer eine solche teleologische Geschichtsauffas-
sung sich erworben hat, kann unmöglich daran zweifeln, daß das Christenthum
Ausgangs- und Zielpunkt uuserer Cultur bildet. Es sind ganz besonders ge¬
lungene Partien in unserer Schrift, die diesem Nachweis gewidmet siud. Das
Bewußtsein des modernen Staats, ein ethischer Organismus zu sein, die Idee
der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die ihn leitet, der Schutz der indi¬
viduellen Freiheit, den er gewährt, alles dies sind Ausflüsse des christlichen Be¬
wußtseins, daß das ganze menschliche Sein sich in den Dienst des Sittlichen
stellen müsse, und daß jede menschliche Persönlichkeit als eine eigenthümliche
Gestaltung des göttlichen Ebenbildes Spielraum zur Entfaltung derselben zu
fordern ebenso berechtigt wie verpflichtet sei. Und wie der Staat, so ruht auch
die Kunst uicht bloß des Mittelalters, sondern auch des neuen mit der Renais¬
sance beginnenden Zeitalters ans christlichen Voraussetzungen, mögen anch ein¬
zelne Künstler zum heidnischen Ideal zurückzukehren versucht haben und noch
gegenwärtig versuchen. Ein solcher Versuch muß mißlingen. Denn der Genius
der antiken Kunst war nur eine besondere Manifestation der griechisch-römischen
Gesainmtanschauung und durch die mannigfaltigen Beziehungen derselben be¬
dingt. Und so wenig diese sich je wieder herstellen lassen, so wenig ist an ein
Wiedererwachen der antiken Kunst zu denken. Wer es unternimmt sie wieder
zu erwecken, wird entweder an der Klippe äußerlicher, steifer Nachahmung oder
an der gegenwärtig besonders drohenden Gefahr eines rohen Naturalismus schei¬
tern. Die antike Sculptur — denn sie allein kommt ja hier in Betracht — wird
immer ein hellstrahlender Leuchtthurm fein, an dem die Künstler sich orientiren
können, ein Vorbild, das nie seinen Werth verlieren wird, weil für ein bestimmtes
Entwicklungsstadium geistigen Lebens hier der classische Ausdruck gefunden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/516>, abgerufen am 23.07.2024.