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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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schrecklicher Unbeholfenheit. Soviel Selbsterkenntniß hätte er besitzen müssen,
daß er sich nicht an ein Problem wagte, welches ein specifisch coloristisches und
für seine geringen Mittel durchaus unlösbar ist. Der himmlische Glanz, der
den Engel umgiebt, macht einen nichts weniger als überirdischen Eindruck, und
der Engel selbst ist von einer Steifheit, welche die himmlische Würde sehr stark
beeinträchtigt.

Eine ungleich stärkere Farbenrealität zeigt Eduard von Hagens "Barm¬
herziger Samariter", der in die Wunden des von Räubern Geschlagenen hei¬
lendes Oel träufelt. Ein gewisser felsiger Ton in dem halbnackten Körper des
Beraubten deutet auf den nicht sehr wohlthätigen Einfluß des Weimaraner Pro¬
fessors Struys hin, der sich die Leichenmalerei so angewöhnt hat, daß er auch
die noch Lebenden schon derartig malt, als hätten sie bereits einige Zeit im
Grabe gelegen. In diesem Jahre hat uus Struys, ein Descendent der belgi¬
schen Schule, ein Bild geschickt, welches einem durch seinen grauenhaften Inhalt
schier den Athem versetzt. Auf einem dürftigen Lager liegt eine Frau todt aus¬
gestreckt. Ihre tief eingefallenen Wangen und Angen, ihr entfleischter Hals,
ihre knochigen Arme beweisen, daß die Aermste an der Schwindsucht gestorben
ist. Von grenzenloser Verzweiflung ergriffen, wirft sich der Gatte über die Ent¬
seelte, welche einen Blumenstrauß, das letzte Zeichen der Liebe, in den Händen
hält. Das ist gewiß eine traurige Geschichte, die unsere vollste Theilnahme
herausfordert. Aber damit ist doch noch nicht gesagt, daß man dergleichen
malen darf, und wenn sich die Lust am Grauenhaften und Entsetzlichen wirklich
so weit versteigt, so darf man solche Vorgänge nimmermehr in Lebensgröße
malen. Diese Leichenmalerei, die jetzt leider in Deutschland ziemlich arg gras-
sirt, ist ein ursprünglich französischer Artikel, auf dessen Import man sich nicht
wenig zu Gute zu thun scheint. Um die abgestumpften Nerven der blasirten
Pariser Bevölkerung zu kitzeln, mag man wohl solcher Reizmittel bedürfen. In
Deutschland ist die Demoralisation glücklicherweise noch nicht so weit gediehen,
daß auch die Kunst schon zu solchen Ungeheuerlichkeit greifen müßte, um Ein¬
druck zu machen. Es ist tief zu bedauern, daß Leute wie Struys, welche sich
gegen die einfachsten ästhetischen Gesetze aufs gröblichste versündigen, nach Deutsch¬
land berufen werden, um ein unseren Kunstschulen die Jugend zu lehren.

Im Uebrigen hat das Hagensche Gemälde ganz respectable Qualitäten auf¬
zuweisen, die von gewissenhaftem Studium zeugen. Abgesehen von jenem felsigen
Ton im Fleische ist die Farbe gesund und kräftig, und man merkt überall das
Streben nach einer edlen und stilvollen Formenbildung. Selbst diese oder jene
UnVollkommenheit berührt uus hier angenehmer als die fertige, bis auf das
letzte Tüpfelchen vollendete Nüchternheit Albert Baurs, der die "Tochter der
Herodias" gemalt hat, wie sie zwei Henkersknechten den Blutbesehl ihres Vaters


schrecklicher Unbeholfenheit. Soviel Selbsterkenntniß hätte er besitzen müssen,
daß er sich nicht an ein Problem wagte, welches ein specifisch coloristisches und
für seine geringen Mittel durchaus unlösbar ist. Der himmlische Glanz, der
den Engel umgiebt, macht einen nichts weniger als überirdischen Eindruck, und
der Engel selbst ist von einer Steifheit, welche die himmlische Würde sehr stark
beeinträchtigt.

Eine ungleich stärkere Farbenrealität zeigt Eduard von Hagens „Barm¬
herziger Samariter", der in die Wunden des von Räubern Geschlagenen hei¬
lendes Oel träufelt. Ein gewisser felsiger Ton in dem halbnackten Körper des
Beraubten deutet auf den nicht sehr wohlthätigen Einfluß des Weimaraner Pro¬
fessors Struys hin, der sich die Leichenmalerei so angewöhnt hat, daß er auch
die noch Lebenden schon derartig malt, als hätten sie bereits einige Zeit im
Grabe gelegen. In diesem Jahre hat uus Struys, ein Descendent der belgi¬
schen Schule, ein Bild geschickt, welches einem durch seinen grauenhaften Inhalt
schier den Athem versetzt. Auf einem dürftigen Lager liegt eine Frau todt aus¬
gestreckt. Ihre tief eingefallenen Wangen und Angen, ihr entfleischter Hals,
ihre knochigen Arme beweisen, daß die Aermste an der Schwindsucht gestorben
ist. Von grenzenloser Verzweiflung ergriffen, wirft sich der Gatte über die Ent¬
seelte, welche einen Blumenstrauß, das letzte Zeichen der Liebe, in den Händen
hält. Das ist gewiß eine traurige Geschichte, die unsere vollste Theilnahme
herausfordert. Aber damit ist doch noch nicht gesagt, daß man dergleichen
malen darf, und wenn sich die Lust am Grauenhaften und Entsetzlichen wirklich
so weit versteigt, so darf man solche Vorgänge nimmermehr in Lebensgröße
malen. Diese Leichenmalerei, die jetzt leider in Deutschland ziemlich arg gras-
sirt, ist ein ursprünglich französischer Artikel, auf dessen Import man sich nicht
wenig zu Gute zu thun scheint. Um die abgestumpften Nerven der blasirten
Pariser Bevölkerung zu kitzeln, mag man wohl solcher Reizmittel bedürfen. In
Deutschland ist die Demoralisation glücklicherweise noch nicht so weit gediehen,
daß auch die Kunst schon zu solchen Ungeheuerlichkeit greifen müßte, um Ein¬
druck zu machen. Es ist tief zu bedauern, daß Leute wie Struys, welche sich
gegen die einfachsten ästhetischen Gesetze aufs gröblichste versündigen, nach Deutsch¬
land berufen werden, um ein unseren Kunstschulen die Jugend zu lehren.

Im Uebrigen hat das Hagensche Gemälde ganz respectable Qualitäten auf¬
zuweisen, die von gewissenhaftem Studium zeugen. Abgesehen von jenem felsigen
Ton im Fleische ist die Farbe gesund und kräftig, und man merkt überall das
Streben nach einer edlen und stilvollen Formenbildung. Selbst diese oder jene
UnVollkommenheit berührt uus hier angenehmer als die fertige, bis auf das
letzte Tüpfelchen vollendete Nüchternheit Albert Baurs, der die „Tochter der
Herodias" gemalt hat, wie sie zwei Henkersknechten den Blutbesehl ihres Vaters


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[0506] schrecklicher Unbeholfenheit. Soviel Selbsterkenntniß hätte er besitzen müssen, daß er sich nicht an ein Problem wagte, welches ein specifisch coloristisches und für seine geringen Mittel durchaus unlösbar ist. Der himmlische Glanz, der den Engel umgiebt, macht einen nichts weniger als überirdischen Eindruck, und der Engel selbst ist von einer Steifheit, welche die himmlische Würde sehr stark beeinträchtigt. Eine ungleich stärkere Farbenrealität zeigt Eduard von Hagens „Barm¬ herziger Samariter", der in die Wunden des von Räubern Geschlagenen hei¬ lendes Oel träufelt. Ein gewisser felsiger Ton in dem halbnackten Körper des Beraubten deutet auf den nicht sehr wohlthätigen Einfluß des Weimaraner Pro¬ fessors Struys hin, der sich die Leichenmalerei so angewöhnt hat, daß er auch die noch Lebenden schon derartig malt, als hätten sie bereits einige Zeit im Grabe gelegen. In diesem Jahre hat uus Struys, ein Descendent der belgi¬ schen Schule, ein Bild geschickt, welches einem durch seinen grauenhaften Inhalt schier den Athem versetzt. Auf einem dürftigen Lager liegt eine Frau todt aus¬ gestreckt. Ihre tief eingefallenen Wangen und Angen, ihr entfleischter Hals, ihre knochigen Arme beweisen, daß die Aermste an der Schwindsucht gestorben ist. Von grenzenloser Verzweiflung ergriffen, wirft sich der Gatte über die Ent¬ seelte, welche einen Blumenstrauß, das letzte Zeichen der Liebe, in den Händen hält. Das ist gewiß eine traurige Geschichte, die unsere vollste Theilnahme herausfordert. Aber damit ist doch noch nicht gesagt, daß man dergleichen malen darf, und wenn sich die Lust am Grauenhaften und Entsetzlichen wirklich so weit versteigt, so darf man solche Vorgänge nimmermehr in Lebensgröße malen. Diese Leichenmalerei, die jetzt leider in Deutschland ziemlich arg gras- sirt, ist ein ursprünglich französischer Artikel, auf dessen Import man sich nicht wenig zu Gute zu thun scheint. Um die abgestumpften Nerven der blasirten Pariser Bevölkerung zu kitzeln, mag man wohl solcher Reizmittel bedürfen. In Deutschland ist die Demoralisation glücklicherweise noch nicht so weit gediehen, daß auch die Kunst schon zu solchen Ungeheuerlichkeit greifen müßte, um Ein¬ druck zu machen. Es ist tief zu bedauern, daß Leute wie Struys, welche sich gegen die einfachsten ästhetischen Gesetze aufs gröblichste versündigen, nach Deutsch¬ land berufen werden, um ein unseren Kunstschulen die Jugend zu lehren. Im Uebrigen hat das Hagensche Gemälde ganz respectable Qualitäten auf¬ zuweisen, die von gewissenhaftem Studium zeugen. Abgesehen von jenem felsigen Ton im Fleische ist die Farbe gesund und kräftig, und man merkt überall das Streben nach einer edlen und stilvollen Formenbildung. Selbst diese oder jene UnVollkommenheit berührt uus hier angenehmer als die fertige, bis auf das letzte Tüpfelchen vollendete Nüchternheit Albert Baurs, der die „Tochter der Herodias" gemalt hat, wie sie zwei Henkersknechten den Blutbesehl ihres Vaters

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/506>, abgerufen am 23.07.2024.