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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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die vollsten Sympathien des Malers zu suchen sind. Mit großem Fleiße und
mit vollkommener Naturwahrheit hat er die Staatskleider der magyarischen und
czechischen Edeln bis auf ihre derben, dicksohligen Stiefeln abgeschildert, und
man kann dieser entsagungsvollen Geduld, die sich nur durch einen glühenden
Patriotismus erklären läßt, wirklich seine Bewunderung nicht vorenthalten. Daß
die Costttme dieser braven Männer meist interessanter sind als ihre Physiogno¬
mien, ist wohl keine Verschuldung des Malers. Er wird auch darin bestrebt
gewesen sein, nur der Natur zu folgen. Auf dem zweiten Bilde, welches uns
Brozik geschickt, hat er uns glücklicherweise die unfruchtbare Aufgabe erspart,
uns noch weiter in das Studium dieser geistreichen Czechengesichter zu vertiefen.
Er schildert uns mit dem ganzen Aufgebot seiner leuchtenden Farben einen pro-
vemMschen Liebeshof dem Petrarca und Laura Präsidiren. Durch die Einfüh¬
rung Kaiser Karls IV., der zum ersten Male die Bekanntschaft des berühmten
Paares macht, ist der Scene ein historisches Mäntelchen umgehängt. Aber die
Hauptsache ist auch hier die Pracht der Costüme, in welche die zahlreichen Cava-
liere und Damen gekleidet sind, die theils das Gefolge des Kaisers, theils die
Gesellschaft der Donna Laura bilden. Dazu gesellt sich eine Fülle von Prunk-
geräthen und Möbeln -- die Scene spielt im päpstlichen Schlosse zu Avignon --
und ein kostbarer Schmuck der Wände, die mit Teppichen und schillernden
Stoffen bekleidet find. Das Ganze ist eine Farbendithyrambe im kräftigsten
Fortissimo, ein sinnverwirrendes Spiel von coloristischen Effecten, welches nur
durch die Strenge der Zeichnung etwas gemäßigt ist. Aus den Gesichtern ist
auch hier nicht viel herauszulesen, da der Hauptaccent auf der Decoration liegt.
Man wird der Virtuosität des Pinsels seine Anerkennung nicht versagen, aber
zugleich bemängeln dürfen, daß die Figuren nicht genug körperhafte Selbstän¬
digkeit besitzen, um sich von der glänzenden Folie loszumachen. Fast alle kleben
fest am Hintergrunde, und wo sich wirklich eine ablöst, macht sie den Eindruck
einer in den Raum senkrecht hineingesetzten Fläche. Die Farbenrealität ist hier
offenbar ans halbem Wege stehen geblieben. Noch in höherem Grade als diesem
Gemälde fehlt es der neuen Schöpfung Munkacsys an Harmonie und Ruhe,
obwohl dieselbe eine weitere Entwicklungsstufe des Malers bezeichnet. Sah
man auf dem Miltonbilde der Pariser Weltausstellung schon das deutliche Be¬
streben des Künstlers, mit jener seltsamen Idiosynkrasie zu brechen, die ihn alles
pechschwarz sehen ließ, und war dieses Bestreben auf jenem Interieur, welches
Munkacsy und seine Gattin als strenge Richterin im Atelier vor der Staffelei
zeigte, noch weiter ausgebildet, so repräsentiren "Die beiden Familien", das neueste
Bild, welches wir mit dem "Atelier" zum ersten Male zu sehen bekommen, die
vollständige Ueberwindung einer coloristischen Anschauungsweise, welche unter
dem Banne eines pessimistisch oder doch melancholisch gestimmten Temperamentes


die vollsten Sympathien des Malers zu suchen sind. Mit großem Fleiße und
mit vollkommener Naturwahrheit hat er die Staatskleider der magyarischen und
czechischen Edeln bis auf ihre derben, dicksohligen Stiefeln abgeschildert, und
man kann dieser entsagungsvollen Geduld, die sich nur durch einen glühenden
Patriotismus erklären läßt, wirklich seine Bewunderung nicht vorenthalten. Daß
die Costttme dieser braven Männer meist interessanter sind als ihre Physiogno¬
mien, ist wohl keine Verschuldung des Malers. Er wird auch darin bestrebt
gewesen sein, nur der Natur zu folgen. Auf dem zweiten Bilde, welches uns
Brozik geschickt, hat er uns glücklicherweise die unfruchtbare Aufgabe erspart,
uns noch weiter in das Studium dieser geistreichen Czechengesichter zu vertiefen.
Er schildert uns mit dem ganzen Aufgebot seiner leuchtenden Farben einen pro-
vemMschen Liebeshof dem Petrarca und Laura Präsidiren. Durch die Einfüh¬
rung Kaiser Karls IV., der zum ersten Male die Bekanntschaft des berühmten
Paares macht, ist der Scene ein historisches Mäntelchen umgehängt. Aber die
Hauptsache ist auch hier die Pracht der Costüme, in welche die zahlreichen Cava-
liere und Damen gekleidet sind, die theils das Gefolge des Kaisers, theils die
Gesellschaft der Donna Laura bilden. Dazu gesellt sich eine Fülle von Prunk-
geräthen und Möbeln — die Scene spielt im päpstlichen Schlosse zu Avignon —
und ein kostbarer Schmuck der Wände, die mit Teppichen und schillernden
Stoffen bekleidet find. Das Ganze ist eine Farbendithyrambe im kräftigsten
Fortissimo, ein sinnverwirrendes Spiel von coloristischen Effecten, welches nur
durch die Strenge der Zeichnung etwas gemäßigt ist. Aus den Gesichtern ist
auch hier nicht viel herauszulesen, da der Hauptaccent auf der Decoration liegt.
Man wird der Virtuosität des Pinsels seine Anerkennung nicht versagen, aber
zugleich bemängeln dürfen, daß die Figuren nicht genug körperhafte Selbstän¬
digkeit besitzen, um sich von der glänzenden Folie loszumachen. Fast alle kleben
fest am Hintergrunde, und wo sich wirklich eine ablöst, macht sie den Eindruck
einer in den Raum senkrecht hineingesetzten Fläche. Die Farbenrealität ist hier
offenbar ans halbem Wege stehen geblieben. Noch in höherem Grade als diesem
Gemälde fehlt es der neuen Schöpfung Munkacsys an Harmonie und Ruhe,
obwohl dieselbe eine weitere Entwicklungsstufe des Malers bezeichnet. Sah
man auf dem Miltonbilde der Pariser Weltausstellung schon das deutliche Be¬
streben des Künstlers, mit jener seltsamen Idiosynkrasie zu brechen, die ihn alles
pechschwarz sehen ließ, und war dieses Bestreben auf jenem Interieur, welches
Munkacsy und seine Gattin als strenge Richterin im Atelier vor der Staffelei
zeigte, noch weiter ausgebildet, so repräsentiren „Die beiden Familien", das neueste
Bild, welches wir mit dem „Atelier" zum ersten Male zu sehen bekommen, die
vollständige Ueberwindung einer coloristischen Anschauungsweise, welche unter
dem Banne eines pessimistisch oder doch melancholisch gestimmten Temperamentes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/503>, abgerufen am 23.07.2024.