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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Dieser Glaube war, um dies beiläufig zu erwähnen, auch durch das Be¬
nehme" des obengenannten Weimaraners Müller gegen mich erschüttert worden.
Da nach unserer Ankunft in Pleskow mehrere Tage vergingen, ehe das Spital
eingerichtet war, wurden wir einstweilen in ein elendes Haus gelegt, Gesunde,
Reconvalescenten und Kranke beisammen. Hier war es, wo Müller, der völlig
genesen und im Begriff war, in Folge eines eben damals ergangenen Ausrufs
unter die russisch-deutsche Legion zu gehen, mir alle meine Habseligkeiten raubte.
Umsonst bot ich meine schwachen Kräfte gegen seine Gewaltthätigkeiten auf, um¬
sonst bat ich ihn um Gotteswillen, daß er mir meine wenigen Habseligkeiten
lassen möchte. Er nahm mir selbst das ab, was fast werthlos war. Rein
ausgeplündert von diesem hartherzigen, schlechten Menschen, wurde ich in das
große Hospital gebracht, und hier, wo seit der Ankunft des von der Peters¬
burger Regierung hierher gesendeten gewissenhaften und theilnehmenden Jnspec-
tions-Generals die Lage sich von Tag zu Tag günstiger gestaltete, gewährte mir
die Barmherzigkeit fremder Krieger, was mir die Gefühllosigkeit des Lands¬
manns geraubt hatte. Als ich meinen Landsmann Müller später in Weimar
wiedersah, schlug er bei meinem Anblick erschrocken und schamroth die Augen
nieder und suchte sein unverantwortliches Benehmen gegen mich damit zu ent¬
schuldigen, daß er mich damals bereits in den Händen des Todes geglaubt
habe. Kurze Zeit darauf wurde er als Invalid nach Jena gebracht und starb
daselbst.

Von den freundlichen Wünschen der Franzosen für mein Wohl begleitet
und in der erwähnten seltsamen, aber unter den damaligen Umständen mir sehr
schätzbaren Kleidung verließ ich, mit heiteren Blicken der Zukunft entgegensehend
und Gott aus tiefster Seele für meine Rettung dankend, die Stadt Pleskow.
Ich wurde in ein in ihrer Nähe liegendes Dorf, das ich nicht mehr zu nennen
weiß, verlegt, wo ich anch den durch den unerschütterlichen Glauben an die
Kraft der Messe hergestellten Spanier antraf, der mir gesund und munter mit
den Worten entgegenkam: "Gesund, die Meß." Es lagen außer mir auch
Baiern, Franzosen, Soldaten aus der französischen Schweiz, Italiener und Hol¬
länder in diesem Dorfe. Hier trug die freundliche Unterhaltung, durch welche
wir uns gegenseitig zu erheitern suchten, ebenso viel zu meiner völligen Gene¬
sung bei, als die von den Bauern, denen wir uns durch thätige Theilnahme
an ihren ländlichen Beschäftigungen gefällig zu machen suchten, uns zuweilen
gereichten stärkenden Nahrungsmittel, besonders die empfangene nahrhafte Milch.
Auch mein Geld mußte in dieser meiner Genesungsperiode eine bedeutende Rolle
übernehmen. Ich kaufte mir, nachdem ich mein buntscheckiges Gewand, welches
mich zum beständigen Gegenstande eines wenn auch uicht boshaften, mir aber
doch widerwärtigen Gelächters machte, weggeworfen hatte, nicht nur andere


Dieser Glaube war, um dies beiläufig zu erwähnen, auch durch das Be¬
nehme» des obengenannten Weimaraners Müller gegen mich erschüttert worden.
Da nach unserer Ankunft in Pleskow mehrere Tage vergingen, ehe das Spital
eingerichtet war, wurden wir einstweilen in ein elendes Haus gelegt, Gesunde,
Reconvalescenten und Kranke beisammen. Hier war es, wo Müller, der völlig
genesen und im Begriff war, in Folge eines eben damals ergangenen Ausrufs
unter die russisch-deutsche Legion zu gehen, mir alle meine Habseligkeiten raubte.
Umsonst bot ich meine schwachen Kräfte gegen seine Gewaltthätigkeiten auf, um¬
sonst bat ich ihn um Gotteswillen, daß er mir meine wenigen Habseligkeiten
lassen möchte. Er nahm mir selbst das ab, was fast werthlos war. Rein
ausgeplündert von diesem hartherzigen, schlechten Menschen, wurde ich in das
große Hospital gebracht, und hier, wo seit der Ankunft des von der Peters¬
burger Regierung hierher gesendeten gewissenhaften und theilnehmenden Jnspec-
tions-Generals die Lage sich von Tag zu Tag günstiger gestaltete, gewährte mir
die Barmherzigkeit fremder Krieger, was mir die Gefühllosigkeit des Lands¬
manns geraubt hatte. Als ich meinen Landsmann Müller später in Weimar
wiedersah, schlug er bei meinem Anblick erschrocken und schamroth die Augen
nieder und suchte sein unverantwortliches Benehmen gegen mich damit zu ent¬
schuldigen, daß er mich damals bereits in den Händen des Todes geglaubt
habe. Kurze Zeit darauf wurde er als Invalid nach Jena gebracht und starb
daselbst.

Von den freundlichen Wünschen der Franzosen für mein Wohl begleitet
und in der erwähnten seltsamen, aber unter den damaligen Umständen mir sehr
schätzbaren Kleidung verließ ich, mit heiteren Blicken der Zukunft entgegensehend
und Gott aus tiefster Seele für meine Rettung dankend, die Stadt Pleskow.
Ich wurde in ein in ihrer Nähe liegendes Dorf, das ich nicht mehr zu nennen
weiß, verlegt, wo ich anch den durch den unerschütterlichen Glauben an die
Kraft der Messe hergestellten Spanier antraf, der mir gesund und munter mit
den Worten entgegenkam: „Gesund, die Meß." Es lagen außer mir auch
Baiern, Franzosen, Soldaten aus der französischen Schweiz, Italiener und Hol¬
länder in diesem Dorfe. Hier trug die freundliche Unterhaltung, durch welche
wir uns gegenseitig zu erheitern suchten, ebenso viel zu meiner völligen Gene¬
sung bei, als die von den Bauern, denen wir uns durch thätige Theilnahme
an ihren ländlichen Beschäftigungen gefällig zu machen suchten, uns zuweilen
gereichten stärkenden Nahrungsmittel, besonders die empfangene nahrhafte Milch.
Auch mein Geld mußte in dieser meiner Genesungsperiode eine bedeutende Rolle
übernehmen. Ich kaufte mir, nachdem ich mein buntscheckiges Gewand, welches
mich zum beständigen Gegenstande eines wenn auch uicht boshaften, mir aber
doch widerwärtigen Gelächters machte, weggeworfen hatte, nicht nur andere


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[0484] Dieser Glaube war, um dies beiläufig zu erwähnen, auch durch das Be¬ nehme» des obengenannten Weimaraners Müller gegen mich erschüttert worden. Da nach unserer Ankunft in Pleskow mehrere Tage vergingen, ehe das Spital eingerichtet war, wurden wir einstweilen in ein elendes Haus gelegt, Gesunde, Reconvalescenten und Kranke beisammen. Hier war es, wo Müller, der völlig genesen und im Begriff war, in Folge eines eben damals ergangenen Ausrufs unter die russisch-deutsche Legion zu gehen, mir alle meine Habseligkeiten raubte. Umsonst bot ich meine schwachen Kräfte gegen seine Gewaltthätigkeiten auf, um¬ sonst bat ich ihn um Gotteswillen, daß er mir meine wenigen Habseligkeiten lassen möchte. Er nahm mir selbst das ab, was fast werthlos war. Rein ausgeplündert von diesem hartherzigen, schlechten Menschen, wurde ich in das große Hospital gebracht, und hier, wo seit der Ankunft des von der Peters¬ burger Regierung hierher gesendeten gewissenhaften und theilnehmenden Jnspec- tions-Generals die Lage sich von Tag zu Tag günstiger gestaltete, gewährte mir die Barmherzigkeit fremder Krieger, was mir die Gefühllosigkeit des Lands¬ manns geraubt hatte. Als ich meinen Landsmann Müller später in Weimar wiedersah, schlug er bei meinem Anblick erschrocken und schamroth die Augen nieder und suchte sein unverantwortliches Benehmen gegen mich damit zu ent¬ schuldigen, daß er mich damals bereits in den Händen des Todes geglaubt habe. Kurze Zeit darauf wurde er als Invalid nach Jena gebracht und starb daselbst. Von den freundlichen Wünschen der Franzosen für mein Wohl begleitet und in der erwähnten seltsamen, aber unter den damaligen Umständen mir sehr schätzbaren Kleidung verließ ich, mit heiteren Blicken der Zukunft entgegensehend und Gott aus tiefster Seele für meine Rettung dankend, die Stadt Pleskow. Ich wurde in ein in ihrer Nähe liegendes Dorf, das ich nicht mehr zu nennen weiß, verlegt, wo ich anch den durch den unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Messe hergestellten Spanier antraf, der mir gesund und munter mit den Worten entgegenkam: „Gesund, die Meß." Es lagen außer mir auch Baiern, Franzosen, Soldaten aus der französischen Schweiz, Italiener und Hol¬ länder in diesem Dorfe. Hier trug die freundliche Unterhaltung, durch welche wir uns gegenseitig zu erheitern suchten, ebenso viel zu meiner völligen Gene¬ sung bei, als die von den Bauern, denen wir uns durch thätige Theilnahme an ihren ländlichen Beschäftigungen gefällig zu machen suchten, uns zuweilen gereichten stärkenden Nahrungsmittel, besonders die empfangene nahrhafte Milch. Auch mein Geld mußte in dieser meiner Genesungsperiode eine bedeutende Rolle übernehmen. Ich kaufte mir, nachdem ich mein buntscheckiges Gewand, welches mich zum beständigen Gegenstande eines wenn auch uicht boshaften, mir aber doch widerwärtigen Gelächters machte, weggeworfen hatte, nicht nur andere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/484>, abgerufen am 23.07.2024.