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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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gnug gab ich ihm in festem, unerschrockenen Tone die Autwort: "Schlecht! Was
wir an Lebensmitteln hier bekommen, ist zum Sattlverden zu wenig und zum
Verhungern zu viel." Ich wurde dadurch den Leidenden der Urheber einer
besseren Pflege und Beköstigung. Dem Aufseher dieses Locals gab der gerechte
und mitleidige General mit eigener Hand ein Paar Ohrfeigen, und die Aufwärter
bekamen, auf Strohschütten gelegt, auf seinen Befehl dafür Prügel, daß sie uns
schlechtes Wasser zutrugen. Die Russen, welche von diesen sehr fühlbaren Wir¬
kungen meiner Rede auf die Idee geleitet werdeu mochten, daß ich ein Mann
von besonderer Bedeutung sein müsse, wetteiferten von Stund an unterein¬
ander, uns die reichlichste und beste Kost zu reichen und uns die freundlichste
Behandlung angedeihen zu lassen. Die über die plötzlich eingetretene wohlthä¬
tige Veränderung der bisherigen Verpflegnngsweise hocherfreuten Militärs aber,
welche mich, den einzigen dort befindlichen Deutschen, als ihren Wohlthäter an¬
sahen, beeiferten sich, mir ihre Dankbarkeit durch zuvorkommendste Dienstfertig¬
keit zu erkennen zu geben. Die Franzosen riefen mir einmal über das andere
den Glückwunsch zu: "Vivs l'^llsiKMcl! vivs 1s Laxon!" und trugen mich,
in eine Matte gehüllt, in allen Sälen, wo Kranke lagen, herum.

Während mir die Vorsehung meine Gesundheit und mein Leben aufs neue
schenkte, war es der fromme Glaube oder Aberglaube, welcher für den neben
mir liegenden Spanier das Mittel zur Wiederherstellung sein mußte. Aus dem
Munde dieses Mannes, der als ein uur noch athmendes Gerippe neben mir
lag, und zu dem ich mich besonders hingezogen fühlte, ging immer die Aeuße¬
rung: "Ich die Meß -- gesund!" Dem Drange seines Herzens folgend, raffte
er sich als ein Jammerbild von seinem Lager auf und verließ unter dem Vor¬
geben, er sei gesund, nur mit einem Hemde und einer vorgebundenen Schürze
bekleidet, das Hospital, um eine Messe hören zu können. Die fromme Ueber¬
zeugung gab ihm diese Kraft.

Die Franzosen, die mir Hoffnung gemacht hatten, daß ich durch sie mit
Kleidern versehen werden würde, hielten ehrlich Wort. Als ich, völlig herge¬
stellt, das Spital verlassen wollte, überbrachten sie mir ein feingearbeitetes,
wohl aus zwanzig verschiedenen Läppchen zusammengesetztes Jäckchen nebst einer
Hose von gleichen Bestandtheilen. Jeder von ihnen hatte zu meiner Uniformi-
rung seinen Beitrag geliefert, indem er aus seinen eigenen Kleidern, wo es nur
thunlich war, Stückchen herausgeschnitten hatte, und die unter ihnen befindlichen
Schneider hatten, auf ihren Betten sitzend, diese verschiedenfarbigen milden Bei¬
träge zu Kleidungsstücken zusammengenäht. In diesem buntscheckigen, mir das
Ansehen eines Zeisigs gebende" Habit (wieviel würde ich darum geben, wenn
ich heute seiner wieder habhaft werden könnte!) verließ ich die Stelle, an welcher
ich meine Gesundheit und den Glauben an die Menschheit wiedergefunden hatte.


gnug gab ich ihm in festem, unerschrockenen Tone die Autwort: „Schlecht! Was
wir an Lebensmitteln hier bekommen, ist zum Sattlverden zu wenig und zum
Verhungern zu viel." Ich wurde dadurch den Leidenden der Urheber einer
besseren Pflege und Beköstigung. Dem Aufseher dieses Locals gab der gerechte
und mitleidige General mit eigener Hand ein Paar Ohrfeigen, und die Aufwärter
bekamen, auf Strohschütten gelegt, auf seinen Befehl dafür Prügel, daß sie uns
schlechtes Wasser zutrugen. Die Russen, welche von diesen sehr fühlbaren Wir¬
kungen meiner Rede auf die Idee geleitet werdeu mochten, daß ich ein Mann
von besonderer Bedeutung sein müsse, wetteiferten von Stund an unterein¬
ander, uns die reichlichste und beste Kost zu reichen und uns die freundlichste
Behandlung angedeihen zu lassen. Die über die plötzlich eingetretene wohlthä¬
tige Veränderung der bisherigen Verpflegnngsweise hocherfreuten Militärs aber,
welche mich, den einzigen dort befindlichen Deutschen, als ihren Wohlthäter an¬
sahen, beeiferten sich, mir ihre Dankbarkeit durch zuvorkommendste Dienstfertig¬
keit zu erkennen zu geben. Die Franzosen riefen mir einmal über das andere
den Glückwunsch zu: „Vivs l'^llsiKMcl! vivs 1s Laxon!" und trugen mich,
in eine Matte gehüllt, in allen Sälen, wo Kranke lagen, herum.

Während mir die Vorsehung meine Gesundheit und mein Leben aufs neue
schenkte, war es der fromme Glaube oder Aberglaube, welcher für den neben
mir liegenden Spanier das Mittel zur Wiederherstellung sein mußte. Aus dem
Munde dieses Mannes, der als ein uur noch athmendes Gerippe neben mir
lag, und zu dem ich mich besonders hingezogen fühlte, ging immer die Aeuße¬
rung: „Ich die Meß — gesund!" Dem Drange seines Herzens folgend, raffte
er sich als ein Jammerbild von seinem Lager auf und verließ unter dem Vor¬
geben, er sei gesund, nur mit einem Hemde und einer vorgebundenen Schürze
bekleidet, das Hospital, um eine Messe hören zu können. Die fromme Ueber¬
zeugung gab ihm diese Kraft.

Die Franzosen, die mir Hoffnung gemacht hatten, daß ich durch sie mit
Kleidern versehen werden würde, hielten ehrlich Wort. Als ich, völlig herge¬
stellt, das Spital verlassen wollte, überbrachten sie mir ein feingearbeitetes,
wohl aus zwanzig verschiedenen Läppchen zusammengesetztes Jäckchen nebst einer
Hose von gleichen Bestandtheilen. Jeder von ihnen hatte zu meiner Uniformi-
rung seinen Beitrag geliefert, indem er aus seinen eigenen Kleidern, wo es nur
thunlich war, Stückchen herausgeschnitten hatte, und die unter ihnen befindlichen
Schneider hatten, auf ihren Betten sitzend, diese verschiedenfarbigen milden Bei¬
träge zu Kleidungsstücken zusammengenäht. In diesem buntscheckigen, mir das
Ansehen eines Zeisigs gebende» Habit (wieviel würde ich darum geben, wenn
ich heute seiner wieder habhaft werden könnte!) verließ ich die Stelle, an welcher
ich meine Gesundheit und den Glauben an die Menschheit wiedergefunden hatte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/483>, abgerufen am 23.07.2024.