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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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er am stärksten und gewinnendsten auftrat, in und bei städtischen Mittelpunkten
wie Virunnm einer war. Daß trotzdem einheimisches Wesen in Glaube und
Sprache sich selbst hier vielfach behauptete, ist ein zwingender Beweis für seine
viel stärkere Fortdauer in solchen Gegenden, wohin die antike Civilisation nur
in schwachen Bächen rieselte. Eine römisch-keltische Mischmltur war es doch im
wesentlichen überall, mit bald stärkerem, bald schwächerem Hervortreten des
römischen Elements, und als römische Sprachinseln lagen die Städte inmitten
einer im wesentlichen keltisch redenden Landbevölkerung, der das Latein nur
wenig geläufig war.

Gern möchten wir wissen, wie dieses Virunnm sein Ende gefunden, wie es
so völlig hat veröden können, daß nur zerfallende Trümmer hier und da noch
über den Boden ragen, wie die Tradition so vollständig unterbrochen werden
konnte, daß auch der Name verschwand und keine mittelalterliche Ansiedlung die
antike fortgesetzt hat. Alles dies deutet auf eine gewaltsame plötzliche Zer¬
störung, und der bemerkenswerthe Umstand, daß in den Ruinen am Fußboden
der Häuser häufig Lagen kohlschwarzer Erde sich finden, kleine Kohlentheile,
rothoxydirte Nägel und geschmolzenes Glas, läßt vermuthen, daß ein großer
Brand die Gebäude zerstört hat. Zu welcher Zeit Virunum in Feuer und
Rauch untergegangen sein mag und durch welche" Feind, darüber verweigert
jedoch die Geschichte jede sichere Auskunft. Die germanische Völkerwanderung
hat auch Noricum hart betroffen, und daß eine Stadt, die wie Virunum an der
großen Heerstraße zwischen Italien und der Donau lag, dabei schwer leiden
mußte, liegt auf der Hand. Eine völlige Verwüstung aber in dieser Zeit scheint
um deßwillen schwer glaublich, weil die Berichte aus derselben ihrer mit keiner
Silbe gedenken, während doch die ravennatische Chronik der Zerstörung des
ungleich ferneren Savaria (Steinamanger) durch ein Erdbeben im Jahre 455
ausdrücklich erwähnt. Auch haben sich die Städte des viel ausgesetzteren Donau-
ufers durch alle Stürme bis in die zweite Hülste des 5. Jahrhunderts, ja theil¬
weise viel länger behauptet. Nach 476 traten dann für das innere Noricum
auf mehrere Jahrzehnte leidlich geordnete Verhältnisse ein, bis mindestens zum
Tode Theodorichs (526). Der ostgothischen folgte hier erst die fränkische, später
die byzantinische Herrschaft bis zum Einbruche der Langobarden 568. War
Virunum vor 476 nicht zerstört, in den nächsten 80--90 Jahren hat es dies
Schicksal schwerlich erlitten. Dann aber wird kaum eine andere Annahme übrig
bleiben, als daß der gewiß schon hart mitgenommenen und entvölkerten Stadt
die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts einbrechenden Slovenen das
Ende in den Flammen bereitet haben, wie es von Teurnia, dessen Bischof noch
im Jahre 591 erwähnt wird, fast unzweifelhaft ist. Seitdem bedeckte die zer¬
fallenden Ruinen Gebüsch und Wald, und auch der Name verscholl.


er am stärksten und gewinnendsten auftrat, in und bei städtischen Mittelpunkten
wie Virunnm einer war. Daß trotzdem einheimisches Wesen in Glaube und
Sprache sich selbst hier vielfach behauptete, ist ein zwingender Beweis für seine
viel stärkere Fortdauer in solchen Gegenden, wohin die antike Civilisation nur
in schwachen Bächen rieselte. Eine römisch-keltische Mischmltur war es doch im
wesentlichen überall, mit bald stärkerem, bald schwächerem Hervortreten des
römischen Elements, und als römische Sprachinseln lagen die Städte inmitten
einer im wesentlichen keltisch redenden Landbevölkerung, der das Latein nur
wenig geläufig war.

Gern möchten wir wissen, wie dieses Virunnm sein Ende gefunden, wie es
so völlig hat veröden können, daß nur zerfallende Trümmer hier und da noch
über den Boden ragen, wie die Tradition so vollständig unterbrochen werden
konnte, daß auch der Name verschwand und keine mittelalterliche Ansiedlung die
antike fortgesetzt hat. Alles dies deutet auf eine gewaltsame plötzliche Zer¬
störung, und der bemerkenswerthe Umstand, daß in den Ruinen am Fußboden
der Häuser häufig Lagen kohlschwarzer Erde sich finden, kleine Kohlentheile,
rothoxydirte Nägel und geschmolzenes Glas, läßt vermuthen, daß ein großer
Brand die Gebäude zerstört hat. Zu welcher Zeit Virunum in Feuer und
Rauch untergegangen sein mag und durch welche» Feind, darüber verweigert
jedoch die Geschichte jede sichere Auskunft. Die germanische Völkerwanderung
hat auch Noricum hart betroffen, und daß eine Stadt, die wie Virunum an der
großen Heerstraße zwischen Italien und der Donau lag, dabei schwer leiden
mußte, liegt auf der Hand. Eine völlige Verwüstung aber in dieser Zeit scheint
um deßwillen schwer glaublich, weil die Berichte aus derselben ihrer mit keiner
Silbe gedenken, während doch die ravennatische Chronik der Zerstörung des
ungleich ferneren Savaria (Steinamanger) durch ein Erdbeben im Jahre 455
ausdrücklich erwähnt. Auch haben sich die Städte des viel ausgesetzteren Donau-
ufers durch alle Stürme bis in die zweite Hülste des 5. Jahrhunderts, ja theil¬
weise viel länger behauptet. Nach 476 traten dann für das innere Noricum
auf mehrere Jahrzehnte leidlich geordnete Verhältnisse ein, bis mindestens zum
Tode Theodorichs (526). Der ostgothischen folgte hier erst die fränkische, später
die byzantinische Herrschaft bis zum Einbruche der Langobarden 568. War
Virunum vor 476 nicht zerstört, in den nächsten 80—90 Jahren hat es dies
Schicksal schwerlich erlitten. Dann aber wird kaum eine andere Annahme übrig
bleiben, als daß der gewiß schon hart mitgenommenen und entvölkerten Stadt
die in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts einbrechenden Slovenen das
Ende in den Flammen bereitet haben, wie es von Teurnia, dessen Bischof noch
im Jahre 591 erwähnt wird, fast unzweifelhaft ist. Seitdem bedeckte die zer¬
fallenden Ruinen Gebüsch und Wald, und auch der Name verscholl.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/444>, abgerufen am 23.07.2024.