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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Antheil, am Militärdienste nur in den Reihen der halbbarbarischen Hilfstruppen.
Der Verkehr führte sie allerdings vorübergehend in die römisch geordnete Stadt
und brachte sie in Verbindung mit Römischgebildeteu, nöthigte sie also auch das
Lateinische zu reden. Aber um die Einzelheiten der Verwaltung pflegte die
römische Regierung sich überhaupt nicht zu kümmern, und eines gewaltigen
Mittels nationaler Propaganda hat sie sich niemals bedient: der Schule und
des schulmäßigen Sprachunterrichts. Unter solche" Umstünden konnte sich das
morisch-keltische Wesen sehr wohl bis zu einem gewissen Grade behaupten. Und
es hat dies auch gethan, nicht nur in solchen Strichen, wo niemals eine römi¬
sche Stadtgemeinde bestanden hat, wie z. B. im nördlichen Steiermark, sondern
auch in und neben römischen Städten und gerade in Virnnum. Zeugniß dafür
legen zunächst die hier in Menge auftretenden keltischen Personennamen ab; es
giebt nicht wenige Familien, in denen kein einziger Name römischen Ursprungs
vorkommt. Da heißt etwa die Mutter Coena, ihr Vater Lotto, die Tochter
Adula, oder Conconuus, der Sohn des Senogus, vermählt sich mit Boniata.
Andere Familien zeigen sich in der Romanisirung begriffen, die zunächst in der
Annahme römischer Namen sich äußerte und später vielleicht zur Gewinnung
des Bürgerrechtes führte. Da heißt eiuer aus Virunum Adncunato, den Sohn
nennt er bereits Sextus. Er heirathet wiederum eine einheimische Frau, Namens
Bouis, die Tochter des Anbusulus, giebt aber seiner Tochter den römischen
Namen Spora und vermählt sie mit einem Stadtrömer, S. Antonius Verus.
Hier ist die oiviws noch nicht erworben worden. Dagegen ist dies sichtlich der
Fall bei Tiberius Julius Buecio, dessen Vater noch rein keltisch Adgeleius heißt,
der aber selbst seinen einheimischen Namen als vo^noinon (Beinamen) neben
dem stolzen römischen Julius führt. Ja auf zehn kurzen Grabschriften, welche
1877 und 1878 zu Tage kamen, und zwar meist am Helenenberge, sind unter
19 mit Namen aufgeführten Personen nicht weniger als 13, die entweder ganz
oder halb keltisch sich nennen.

Wer so verfuhr, bei dem kann gewiß von einer völligen Romanisirung nicht
wohl die Rede sein; im Festhalten der einheimischen Namen liegt auch ein Fest¬
halten einheimischer Ueberlieferung. Und zu dieser gehörte vor allem auch die
Sprache. Zwar haben wir nicht eine einzige Inschrift in keltischem Idiom aus
Noricum, aber solche sind auch in Gallien verhältnißmäßig sehr selten; und wer
den Göttern oder verstorbenen Angehörigen Steine setzte, der bediente sich des
officiellen Lateins. Doch die Fortdauer der keltischen Sprache geht positiv aus
den völlig unrvmischen Flexionsendungen nicht weniger Personennamen hervor,
während ihnen im allgemeinen eine lateinische Form gegeben wird; von den 27
überhaupt nachweisbaren Beispielen stammen 11 aus Virunum. Freilich wurde
das norische Keltisch vom Latein zurückgedrängt auf die Stufe eines bloßen


Antheil, am Militärdienste nur in den Reihen der halbbarbarischen Hilfstruppen.
Der Verkehr führte sie allerdings vorübergehend in die römisch geordnete Stadt
und brachte sie in Verbindung mit Römischgebildeteu, nöthigte sie also auch das
Lateinische zu reden. Aber um die Einzelheiten der Verwaltung pflegte die
römische Regierung sich überhaupt nicht zu kümmern, und eines gewaltigen
Mittels nationaler Propaganda hat sie sich niemals bedient: der Schule und
des schulmäßigen Sprachunterrichts. Unter solche» Umstünden konnte sich das
morisch-keltische Wesen sehr wohl bis zu einem gewissen Grade behaupten. Und
es hat dies auch gethan, nicht nur in solchen Strichen, wo niemals eine römi¬
sche Stadtgemeinde bestanden hat, wie z. B. im nördlichen Steiermark, sondern
auch in und neben römischen Städten und gerade in Virnnum. Zeugniß dafür
legen zunächst die hier in Menge auftretenden keltischen Personennamen ab; es
giebt nicht wenige Familien, in denen kein einziger Name römischen Ursprungs
vorkommt. Da heißt etwa die Mutter Coena, ihr Vater Lotto, die Tochter
Adula, oder Conconuus, der Sohn des Senogus, vermählt sich mit Boniata.
Andere Familien zeigen sich in der Romanisirung begriffen, die zunächst in der
Annahme römischer Namen sich äußerte und später vielleicht zur Gewinnung
des Bürgerrechtes führte. Da heißt eiuer aus Virunum Adncunato, den Sohn
nennt er bereits Sextus. Er heirathet wiederum eine einheimische Frau, Namens
Bouis, die Tochter des Anbusulus, giebt aber seiner Tochter den römischen
Namen Spora und vermählt sie mit einem Stadtrömer, S. Antonius Verus.
Hier ist die oiviws noch nicht erworben worden. Dagegen ist dies sichtlich der
Fall bei Tiberius Julius Buecio, dessen Vater noch rein keltisch Adgeleius heißt,
der aber selbst seinen einheimischen Namen als vo^noinon (Beinamen) neben
dem stolzen römischen Julius führt. Ja auf zehn kurzen Grabschriften, welche
1877 und 1878 zu Tage kamen, und zwar meist am Helenenberge, sind unter
19 mit Namen aufgeführten Personen nicht weniger als 13, die entweder ganz
oder halb keltisch sich nennen.

Wer so verfuhr, bei dem kann gewiß von einer völligen Romanisirung nicht
wohl die Rede sein; im Festhalten der einheimischen Namen liegt auch ein Fest¬
halten einheimischer Ueberlieferung. Und zu dieser gehörte vor allem auch die
Sprache. Zwar haben wir nicht eine einzige Inschrift in keltischem Idiom aus
Noricum, aber solche sind auch in Gallien verhältnißmäßig sehr selten; und wer
den Göttern oder verstorbenen Angehörigen Steine setzte, der bediente sich des
officiellen Lateins. Doch die Fortdauer der keltischen Sprache geht positiv aus
den völlig unrvmischen Flexionsendungen nicht weniger Personennamen hervor,
während ihnen im allgemeinen eine lateinische Form gegeben wird; von den 27
überhaupt nachweisbaren Beispielen stammen 11 aus Virunum. Freilich wurde
das norische Keltisch vom Latein zurückgedrängt auf die Stufe eines bloßen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/440>, abgerufen am 23.07.2024.