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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Schmerzen durch ein Mittel zu lindern, von welchem ich früher gehört hatte,
daß es dem Unterleibe Oeffnung verschaffe, den Genuß von Tabaksaft. Einem
Rasenden gleich, lief ich alle Tage, ein Glas in der Hand, unter der Mann¬
schaft umher, allenthalben, besonders von den Offizieren, den scharfen, widrigen
Saft aus ihren Pfeifen bettelnd. Es war bei diesem meinem Benehmen, zu¬
mal da ich heißhungrig den Essenden, wer sie auch sein mochten, Offizieren
und Gemeinen, das, was sie aßen, mit wilder Gier aus den Händen und
Schüsseln riß, kein Wunder, daß ich für wahnsinnig gehalten wurde. Aber die
gebettelte und mir mitleidig gereichte Tabaksjauche, welche ich mit Branntwein
gemischt verschluckte, versagte mir den gehofften Dienst; unaufhörlich folterten
mich die schneidendsten Schmerzen. Der Strick, dachte ich, der Strick muß
helfen, wenn nichts anderes helfen will, und der Zufall, der ein Vergnügen
daran zu haben schien, Hoffnungen in mir zu erwecken, um sie bald wieder zu
zerstören, war auch diesmal geschäftig. Er spielte mir einen Strick in die
Hände, bestellte mir aber anch an einem meiner Kriegsgeführten einen zwar
wohlmeinenden, aber mir fehr lästigen Beobachter aller meiner Tritte und
Schritte. Es war ein Soldat Namens Bauer, aus Ottmcmnshausen gebürtig,
ein Mensch von gutem Herzen, der, ganz richtig bemerkend, daß ich die ent¬
schiedensten Anschläge auf mein Leben in meiner Seele trug, mich immer be¬
gleitete, sich des Nachts stets neben mich legte und sich alle Mühe gab, durch
Zureden mich ans andere Gedanken zu bringen. Mein Herz dankte zwar im
Stillen diesem um mich freundlich besorgten, mich streng beaufsichtigenden Men¬
schen, doch wurde der einmal gefaßte Vorsatz dadurch nicht erschüttert. Nur
vor dem Gedanken hatte ich ein Grauen, wieder einen Pflock oder Nagel zur
Ausführung benutzen zu müssen, da ich, beim ersten Male in meinem Vertrauen
auf die Festigkeit eines solchen getäuscht, zu der fixen Idee gekommen war, daß
jeder Nagel und jeder Pflock, mit dem Gewichte eines menschlichen Körpers be¬
schwert, brechen müsse.

Nach langem Sinnen auf einen sicheren Anhaltepunkt für eine erlösende
Schlinge kam mir der Einfall, daß ich wohl, an einen Stubenträger geknüpft,
sicher und schnell ans Ziel meiner Wünsche gelangen würde. Ich hatte in
mehreren russischen Bauernstuben bemerkt, daß die Träger der Stubendecken
nicht unmittelbar mit den letzteren verbunden waren, sondern soweit davon ab--
standen, daß recht bequem ein Strick zwischen Balken und Decke eingeschoben
werden konnte. Kaum hatte ich eines Abends nach dem Eintritts in eine elende
Hütte in der dortigen Stube einen solchen Träger bemerkt, als ich sogleich auf
ein dastehendes, mit saurem Kraute gefülltes Faß stieg (indem ich die wirkliche
Absicht des Manövers vor meinen Kameraden verbarg und demselben den Ar-
nheim bloßen Faselns gab), mich mit den Händen um den Balken schlang und


Schmerzen durch ein Mittel zu lindern, von welchem ich früher gehört hatte,
daß es dem Unterleibe Oeffnung verschaffe, den Genuß von Tabaksaft. Einem
Rasenden gleich, lief ich alle Tage, ein Glas in der Hand, unter der Mann¬
schaft umher, allenthalben, besonders von den Offizieren, den scharfen, widrigen
Saft aus ihren Pfeifen bettelnd. Es war bei diesem meinem Benehmen, zu¬
mal da ich heißhungrig den Essenden, wer sie auch sein mochten, Offizieren
und Gemeinen, das, was sie aßen, mit wilder Gier aus den Händen und
Schüsseln riß, kein Wunder, daß ich für wahnsinnig gehalten wurde. Aber die
gebettelte und mir mitleidig gereichte Tabaksjauche, welche ich mit Branntwein
gemischt verschluckte, versagte mir den gehofften Dienst; unaufhörlich folterten
mich die schneidendsten Schmerzen. Der Strick, dachte ich, der Strick muß
helfen, wenn nichts anderes helfen will, und der Zufall, der ein Vergnügen
daran zu haben schien, Hoffnungen in mir zu erwecken, um sie bald wieder zu
zerstören, war auch diesmal geschäftig. Er spielte mir einen Strick in die
Hände, bestellte mir aber anch an einem meiner Kriegsgeführten einen zwar
wohlmeinenden, aber mir fehr lästigen Beobachter aller meiner Tritte und
Schritte. Es war ein Soldat Namens Bauer, aus Ottmcmnshausen gebürtig,
ein Mensch von gutem Herzen, der, ganz richtig bemerkend, daß ich die ent¬
schiedensten Anschläge auf mein Leben in meiner Seele trug, mich immer be¬
gleitete, sich des Nachts stets neben mich legte und sich alle Mühe gab, durch
Zureden mich ans andere Gedanken zu bringen. Mein Herz dankte zwar im
Stillen diesem um mich freundlich besorgten, mich streng beaufsichtigenden Men¬
schen, doch wurde der einmal gefaßte Vorsatz dadurch nicht erschüttert. Nur
vor dem Gedanken hatte ich ein Grauen, wieder einen Pflock oder Nagel zur
Ausführung benutzen zu müssen, da ich, beim ersten Male in meinem Vertrauen
auf die Festigkeit eines solchen getäuscht, zu der fixen Idee gekommen war, daß
jeder Nagel und jeder Pflock, mit dem Gewichte eines menschlichen Körpers be¬
schwert, brechen müsse.

Nach langem Sinnen auf einen sicheren Anhaltepunkt für eine erlösende
Schlinge kam mir der Einfall, daß ich wohl, an einen Stubenträger geknüpft,
sicher und schnell ans Ziel meiner Wünsche gelangen würde. Ich hatte in
mehreren russischen Bauernstuben bemerkt, daß die Träger der Stubendecken
nicht unmittelbar mit den letzteren verbunden waren, sondern soweit davon ab--
standen, daß recht bequem ein Strick zwischen Balken und Decke eingeschoben
werden konnte. Kaum hatte ich eines Abends nach dem Eintritts in eine elende
Hütte in der dortigen Stube einen solchen Träger bemerkt, als ich sogleich auf
ein dastehendes, mit saurem Kraute gefülltes Faß stieg (indem ich die wirkliche
Absicht des Manövers vor meinen Kameraden verbarg und demselben den Ar-
nheim bloßen Faselns gab), mich mit den Händen um den Balken schlang und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/412>, abgerufen am 23.07.2024.