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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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schwankte in diesem Streite, bevor er seinen Säbel zog, bald nach dieser, bald
nach jener Seite, und bald schien der, bald jener Gesandte der beiden nebenbuhleri¬
schen Mächte oben zu schwimmen, aber schließlich beugte sich der Padischah doch
immer vor dem Vertreter Englands und seinem eisernen Willen, nach Kings-
lakes Ausdruck, "als ob dieser das Fatum selbst wäre". Der Viscount de Red-
cliffe war es, welcher England überredete, mit dem Sultan ein Defensivbündniß
gegen Nußland abzuschließen, und auf seinen Rath ist der feste Entschluß der
damaligen britischen Regierung zurückzuführen, die Russen selbst auf die Gefahr
eines Krieges mit ihnen von Konstantinopel fern zu halten. Während des ganzen
Krieges lebte und bewegte sich alles, was England that, nach seinem starken
Willen und seiner sicheren Erfahrung.

Er war inzwischen ein alter Herr geworden, der sich ohne Bedenken in
einen Zustand ehrenvoller Ruhe zurückziehen konnte. Aber seinem energischen
Wesen widerstrebte der Gedanke, seinen alten Wirkungskreis zu verlassen, und
erst sechs Jahre später gab er seinen Posten auf, um nach London zurückzu¬
kehren und die Pension zu genießen, zu der ihn seine lange und erfolgreiche
Dienstzeit berechtigte. 1869 verlieh ihm die Königin Victoria die vielbegehrte
und hochgehaltene Auszeichnung des Hosenbandordens. Jetzt zu einem Sitze
im Oberhause gelangt, nahm er nicht viel activen Antheil an den politischen
Angelegenheiten mehr, obwohl er gelegentlich noch seine Ansichten in einer Rede
vor jener Körperschaft vertrat, und wiederholt auch in den vornehmeren Zeit¬
schriften seine Ueberzeugung über die Fragen aussprach, die ihm geläufig waren.
Auch sonst ist er in den letzten Jahren seines Lebens bisweilen schriftstellerisch
thätig gewesen. 1873 veröffentlichte er eine theologische Schrift apologetischen
Charakters unter dem Titel: ^Vb^ I g,ra a olrristiim, und 1876 schrieb er
ein Schauspiel, dessen Held Alfred der Große war. Indeß war es ihm nur
beschieden, als Diplomat der alten classischen Schule eine Wirksamkeit zu üben,
welche ihm eine dankbare Erinnerung in den Herzen seiner Landsleute sicherte,
und in der That, so lange die Geschichte der orientalischen Frage für Engländer
ein Interesse hat, so lange die Kunde von den Kämpfen der Hauptnationen
Europas gegen den russischen Eroberungsgeist und seiue Richtung ans den Be¬
sitz der Stadt am Goldenen Horne Anziehungskraft auf denkende Menschen
ausüben wird, wird auch das Andenken an den "großen Eltschi" fortleben und
in Ehren bleiben.

Die orientalische Frage ist nicht vom Horizonte verschwunden. Sie hat
seit dem Krimkriege von neuem den politischen Himmel wie ein großes schweres
Gewitter überzogen und unter Blitz und Donner die Wahrheit enthüllt, daß
Rußland seine alten Pläne auf Konstantinopel zwar vertagen kann, niemals
aber aufgeben wird. Auch der Berliner Friede hat diese Thatsache nicht zu


Grenzboten III. 18L0. 61

schwankte in diesem Streite, bevor er seinen Säbel zog, bald nach dieser, bald
nach jener Seite, und bald schien der, bald jener Gesandte der beiden nebenbuhleri¬
schen Mächte oben zu schwimmen, aber schließlich beugte sich der Padischah doch
immer vor dem Vertreter Englands und seinem eisernen Willen, nach Kings-
lakes Ausdruck, „als ob dieser das Fatum selbst wäre". Der Viscount de Red-
cliffe war es, welcher England überredete, mit dem Sultan ein Defensivbündniß
gegen Nußland abzuschließen, und auf seinen Rath ist der feste Entschluß der
damaligen britischen Regierung zurückzuführen, die Russen selbst auf die Gefahr
eines Krieges mit ihnen von Konstantinopel fern zu halten. Während des ganzen
Krieges lebte und bewegte sich alles, was England that, nach seinem starken
Willen und seiner sicheren Erfahrung.

Er war inzwischen ein alter Herr geworden, der sich ohne Bedenken in
einen Zustand ehrenvoller Ruhe zurückziehen konnte. Aber seinem energischen
Wesen widerstrebte der Gedanke, seinen alten Wirkungskreis zu verlassen, und
erst sechs Jahre später gab er seinen Posten auf, um nach London zurückzu¬
kehren und die Pension zu genießen, zu der ihn seine lange und erfolgreiche
Dienstzeit berechtigte. 1869 verlieh ihm die Königin Victoria die vielbegehrte
und hochgehaltene Auszeichnung des Hosenbandordens. Jetzt zu einem Sitze
im Oberhause gelangt, nahm er nicht viel activen Antheil an den politischen
Angelegenheiten mehr, obwohl er gelegentlich noch seine Ansichten in einer Rede
vor jener Körperschaft vertrat, und wiederholt auch in den vornehmeren Zeit¬
schriften seine Ueberzeugung über die Fragen aussprach, die ihm geläufig waren.
Auch sonst ist er in den letzten Jahren seines Lebens bisweilen schriftstellerisch
thätig gewesen. 1873 veröffentlichte er eine theologische Schrift apologetischen
Charakters unter dem Titel: ^Vb^ I g,ra a olrristiim, und 1876 schrieb er
ein Schauspiel, dessen Held Alfred der Große war. Indeß war es ihm nur
beschieden, als Diplomat der alten classischen Schule eine Wirksamkeit zu üben,
welche ihm eine dankbare Erinnerung in den Herzen seiner Landsleute sicherte,
und in der That, so lange die Geschichte der orientalischen Frage für Engländer
ein Interesse hat, so lange die Kunde von den Kämpfen der Hauptnationen
Europas gegen den russischen Eroberungsgeist und seiue Richtung ans den Be¬
sitz der Stadt am Goldenen Horne Anziehungskraft auf denkende Menschen
ausüben wird, wird auch das Andenken an den „großen Eltschi" fortleben und
in Ehren bleiben.

Die orientalische Frage ist nicht vom Horizonte verschwunden. Sie hat
seit dem Krimkriege von neuem den politischen Himmel wie ein großes schweres
Gewitter überzogen und unter Blitz und Donner die Wahrheit enthüllt, daß
Rußland seine alten Pläne auf Konstantinopel zwar vertagen kann, niemals
aber aufgeben wird. Auch der Berliner Friede hat diese Thatsache nicht zu


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[0398] schwankte in diesem Streite, bevor er seinen Säbel zog, bald nach dieser, bald nach jener Seite, und bald schien der, bald jener Gesandte der beiden nebenbuhleri¬ schen Mächte oben zu schwimmen, aber schließlich beugte sich der Padischah doch immer vor dem Vertreter Englands und seinem eisernen Willen, nach Kings- lakes Ausdruck, „als ob dieser das Fatum selbst wäre". Der Viscount de Red- cliffe war es, welcher England überredete, mit dem Sultan ein Defensivbündniß gegen Nußland abzuschließen, und auf seinen Rath ist der feste Entschluß der damaligen britischen Regierung zurückzuführen, die Russen selbst auf die Gefahr eines Krieges mit ihnen von Konstantinopel fern zu halten. Während des ganzen Krieges lebte und bewegte sich alles, was England that, nach seinem starken Willen und seiner sicheren Erfahrung. Er war inzwischen ein alter Herr geworden, der sich ohne Bedenken in einen Zustand ehrenvoller Ruhe zurückziehen konnte. Aber seinem energischen Wesen widerstrebte der Gedanke, seinen alten Wirkungskreis zu verlassen, und erst sechs Jahre später gab er seinen Posten auf, um nach London zurückzu¬ kehren und die Pension zu genießen, zu der ihn seine lange und erfolgreiche Dienstzeit berechtigte. 1869 verlieh ihm die Königin Victoria die vielbegehrte und hochgehaltene Auszeichnung des Hosenbandordens. Jetzt zu einem Sitze im Oberhause gelangt, nahm er nicht viel activen Antheil an den politischen Angelegenheiten mehr, obwohl er gelegentlich noch seine Ansichten in einer Rede vor jener Körperschaft vertrat, und wiederholt auch in den vornehmeren Zeit¬ schriften seine Ueberzeugung über die Fragen aussprach, die ihm geläufig waren. Auch sonst ist er in den letzten Jahren seines Lebens bisweilen schriftstellerisch thätig gewesen. 1873 veröffentlichte er eine theologische Schrift apologetischen Charakters unter dem Titel: ^Vb^ I g,ra a olrristiim, und 1876 schrieb er ein Schauspiel, dessen Held Alfred der Große war. Indeß war es ihm nur beschieden, als Diplomat der alten classischen Schule eine Wirksamkeit zu üben, welche ihm eine dankbare Erinnerung in den Herzen seiner Landsleute sicherte, und in der That, so lange die Geschichte der orientalischen Frage für Engländer ein Interesse hat, so lange die Kunde von den Kämpfen der Hauptnationen Europas gegen den russischen Eroberungsgeist und seiue Richtung ans den Be¬ sitz der Stadt am Goldenen Horne Anziehungskraft auf denkende Menschen ausüben wird, wird auch das Andenken an den „großen Eltschi" fortleben und in Ehren bleiben. Die orientalische Frage ist nicht vom Horizonte verschwunden. Sie hat seit dem Krimkriege von neuem den politischen Himmel wie ein großes schweres Gewitter überzogen und unter Blitz und Donner die Wahrheit enthüllt, daß Rußland seine alten Pläne auf Konstantinopel zwar vertagen kann, niemals aber aufgeben wird. Auch der Berliner Friede hat diese Thatsache nicht zu Grenzboten III. 18L0. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/398>, abgerufen am 23.07.2024.