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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Von jetzt an begann er mit den früheren Erfahrungen den Grund zu
dem außerordentlichen Ansehen und der mächtigen Wirksamkeit zu legen, mittels
deren er später die Pforte geradezu beherrschte. Mit größtem Geschick und nicht
geringerer Energie vertrat er die Wünsche nud Interessen derer, welche den
Frieden Europas mit der Reform des türkischen Reiches und dem Aufschlüsse
des russischen Einflusses vom Rathe des Sultans identificirten. Ueber das
Gemüth dieses schwachen Herrschers (Abd ni Medjio) übte er eine fast magi¬
sche Gewalt aus, so daß man erzählt, wenn er den Beherrscher der Gläubigen
besucht, habe dieser stets gefragt, ob Seine Excellenz im Trabe oder im Galopp
nach dem Palaste geritten, und im letzteren Falle nach seinen gescheidtesten Rath¬
gebern gesandt, um sich Mittel zur Beschwichtigung des Gesandten vorschlagen
zu lassen, dessen Laune an der Gangart des Pferdes gemessen worden, auf dem
er sich zu Audienz begeben.

Nach dem Amtsantritt Lord John Rüssels begab sich Sir Stratfvrd im
Juli 1846 uach England, von wo er 1847 nach Paris geschickt wurde, um mit
Guizot und den Bevollmächtigten der drei nordischen Mächte über die damals
durch den Sonderbund bedrohte Lage der Schweiz zu verhandeln. Von dort
kehrte er nach Konstantinopel zurück, wo ihn unterdessen Lord Cooley vertreten
hatte. Als Kossuth nud andere Führer der ungarischen Jnsurrection 1849 nach
der Türkei flüchteten und Rußland und Oesterreich deren Auslieferung verlang¬
ten, veranlaßte Sir Stratford die Pforte zu einer abschlägigen Antwort und
rief, um seiner Vermittlung Nachdruck zu geben, die englische Mittelmeer-Flotte
nach den Dardanellen. Indeß rieth er zugleich der türkischen Regierung, die
Flüchtlinge auf ein Jahr zu interniren. Nach Ablauf dieser Frist betrieb er
mit großem Eifer die Entlassung derselben, konnte aber nicht verhindern, daß
die Pforte im März 1851 einwilligte, die Haft der bedeutenderen unter ihnen
noch auf sechs Monate zu verlängern. Durch die im September 1851 erfolgte
Einschiffung Kossuths und seiner Gefährten wurde diese Angelegenheit zu seiner
Zufriedenheit erledigt.

1852, unter dem Ministerium Derby, wurde Sir Stratford zum Viscount
erhoben, als welcher er fortan Lord Stratford de Redclisfe hieß. In demselben
Jahre erfolgte der lange vertagte Zusammenstoß Rußlands mit England in
dem Ringen beider Mächte um die Vorherrschaft im Südosten Europas, der
zum Krimkriege führte, und es war zu bedauern, daß der "große Eltschi", als
die Krisis begann, gerade nicht in Konstantinopel war und Fürst Mentschikvff
so das Feld frei für seine Action sah. Aber bald nachher, im April 1853 war
der eifrige und geschickte Vertreter des englischen Interesses wieder auf seinem
Posten, um von jetzt an einen grimmigen diplomatischen Krieg gegen den dieses
Interesse bedrohenden Moskowiter zu führen- Der Großtttrke zauderte und


Von jetzt an begann er mit den früheren Erfahrungen den Grund zu
dem außerordentlichen Ansehen und der mächtigen Wirksamkeit zu legen, mittels
deren er später die Pforte geradezu beherrschte. Mit größtem Geschick und nicht
geringerer Energie vertrat er die Wünsche nud Interessen derer, welche den
Frieden Europas mit der Reform des türkischen Reiches und dem Aufschlüsse
des russischen Einflusses vom Rathe des Sultans identificirten. Ueber das
Gemüth dieses schwachen Herrschers (Abd ni Medjio) übte er eine fast magi¬
sche Gewalt aus, so daß man erzählt, wenn er den Beherrscher der Gläubigen
besucht, habe dieser stets gefragt, ob Seine Excellenz im Trabe oder im Galopp
nach dem Palaste geritten, und im letzteren Falle nach seinen gescheidtesten Rath¬
gebern gesandt, um sich Mittel zur Beschwichtigung des Gesandten vorschlagen
zu lassen, dessen Laune an der Gangart des Pferdes gemessen worden, auf dem
er sich zu Audienz begeben.

Nach dem Amtsantritt Lord John Rüssels begab sich Sir Stratfvrd im
Juli 1846 uach England, von wo er 1847 nach Paris geschickt wurde, um mit
Guizot und den Bevollmächtigten der drei nordischen Mächte über die damals
durch den Sonderbund bedrohte Lage der Schweiz zu verhandeln. Von dort
kehrte er nach Konstantinopel zurück, wo ihn unterdessen Lord Cooley vertreten
hatte. Als Kossuth nud andere Führer der ungarischen Jnsurrection 1849 nach
der Türkei flüchteten und Rußland und Oesterreich deren Auslieferung verlang¬
ten, veranlaßte Sir Stratford die Pforte zu einer abschlägigen Antwort und
rief, um seiner Vermittlung Nachdruck zu geben, die englische Mittelmeer-Flotte
nach den Dardanellen. Indeß rieth er zugleich der türkischen Regierung, die
Flüchtlinge auf ein Jahr zu interniren. Nach Ablauf dieser Frist betrieb er
mit großem Eifer die Entlassung derselben, konnte aber nicht verhindern, daß
die Pforte im März 1851 einwilligte, die Haft der bedeutenderen unter ihnen
noch auf sechs Monate zu verlängern. Durch die im September 1851 erfolgte
Einschiffung Kossuths und seiner Gefährten wurde diese Angelegenheit zu seiner
Zufriedenheit erledigt.

1852, unter dem Ministerium Derby, wurde Sir Stratford zum Viscount
erhoben, als welcher er fortan Lord Stratford de Redclisfe hieß. In demselben
Jahre erfolgte der lange vertagte Zusammenstoß Rußlands mit England in
dem Ringen beider Mächte um die Vorherrschaft im Südosten Europas, der
zum Krimkriege führte, und es war zu bedauern, daß der „große Eltschi", als
die Krisis begann, gerade nicht in Konstantinopel war und Fürst Mentschikvff
so das Feld frei für seine Action sah. Aber bald nachher, im April 1853 war
der eifrige und geschickte Vertreter des englischen Interesses wieder auf seinem
Posten, um von jetzt an einen grimmigen diplomatischen Krieg gegen den dieses
Interesse bedrohenden Moskowiter zu führen- Der Großtttrke zauderte und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/397>, abgerufen am 23.07.2024.