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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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habn unter die Sterne erster Größe am Himmel der neueren englischen Geschichte
gestellt hat. Der Urahn beider war Georg Canning, der zu Anfang des 17.
Jahrhunderts nach Irland ging und sich zu Garvagh in der Grafschaft Lon-
donderry niederließ. Dessen Urenkel heirathete eine Tochter Robert Stratfords.
Der älteste der drei Enkel desselben, Georg, war der Vater des Ministers, der
zweite, Paul, wurde 1818 unter dem Namen Lord Garvagh zum irischen Baron
erhoben, der dritte, Stratford, Kaufmann in der Londoner City, wurde der
Vater einer zahlreichen Familie, welcher auch unser Diplomat angehörte. Der
letztere wurde im Jahre 1788 zu London geboren. Die Stellung seines Ver¬
wandten bewirkte, daß er uicht für das Gewerbe seines Vaters bestimmt und
erzogen wurde. Man schickte ihn zunächst auf die bekannte Schule zu Eton,
dann bezog er 1806 die Universität Cambridge, wo er in das Xlil^s volles
eintrat, aber nur kurze Zeit verblieb, da man ihm einen Posten als Secretär
im Auswärtigen Amte anbot. Hier zeichnete er sich so aus, daß er nach Ver¬
lauf von zwei Jahren schon zum Secretär der Gesandtschaft in Konstantinopel
ernannt wurde, die damals in Adair ihren Chef hatte. Er hat somit zweiund¬
siebzig Jahre hindurch mit geringen Unterbrechungen den türkischen Verhältnissen
und ihrer Entwicklung mehr oder minder nahe gestanden, und so konnte zuletzt
keiner seiner Zeitgenossen sich einer solchen persönlichen Bekanntschaft mit den
Triebfedern, Schwierigkeiten und Eigenthümlichkeiten der Politik des ottomani¬
schen Reiches rühmen wie er.

Zunächst indeß folgte eine Unterbrechung seiner diplomatischen Beschäfti¬
gung, indem er drei Jahre nach Annahme jener Stellung den klugen Entschluß
faßte, uach England zurückzukehren und seine Studien in Cambridge zu voll-
enden. Er gehörte eben zu den englischen Staatsmännern, die neben ihren
Amtsgeschäften gelehrte und literarische Studien zu betreiben lieben und dabei
bisweilen Gutes leisten, häufiger aber -- man erinnere sich an das abgeschmackte
Opus Mr. Gladstones über Homer -- an das Sprichwort vom Schuster und
seinem Leisten erinnern. Sir Stratford machte zu rechter Zeit sein Examen für
den Bachelor-Grad und wurde dann, unter die Diplomaten zurückgekehrt, als
Geschäftsträger nach der Schweiz geschickt, wo er in Basel bei der Errichtung
der Helvetischen Eidgenossenschaft mitwirkte. In dieser Zeit galt er als ein
Geist, der sich nicht leicht vom Zauber des Genies blenden und gewinnen ließ,
dem aber Thatkraft und energisches Handeln und Menschen, die so handelten,
stark imponirten. Ein Beispiel für diese Denkart war eine damals von ihn:
veröffentlichte Ode mit dem Titel "Bonaparte", die Byron ein "nobles Gedicht"
genannt haben soll. 1820 ging er als Bevollmächtigter der Regierung nach
den Vereinigten Staaten, ein Auftrag, der damals nicht so bequem war wie
heutzutage, wo die Bitterkeit der internationalen Eifersucht, welche die beiden


habn unter die Sterne erster Größe am Himmel der neueren englischen Geschichte
gestellt hat. Der Urahn beider war Georg Canning, der zu Anfang des 17.
Jahrhunderts nach Irland ging und sich zu Garvagh in der Grafschaft Lon-
donderry niederließ. Dessen Urenkel heirathete eine Tochter Robert Stratfords.
Der älteste der drei Enkel desselben, Georg, war der Vater des Ministers, der
zweite, Paul, wurde 1818 unter dem Namen Lord Garvagh zum irischen Baron
erhoben, der dritte, Stratford, Kaufmann in der Londoner City, wurde der
Vater einer zahlreichen Familie, welcher auch unser Diplomat angehörte. Der
letztere wurde im Jahre 1788 zu London geboren. Die Stellung seines Ver¬
wandten bewirkte, daß er uicht für das Gewerbe seines Vaters bestimmt und
erzogen wurde. Man schickte ihn zunächst auf die bekannte Schule zu Eton,
dann bezog er 1806 die Universität Cambridge, wo er in das Xlil^s volles
eintrat, aber nur kurze Zeit verblieb, da man ihm einen Posten als Secretär
im Auswärtigen Amte anbot. Hier zeichnete er sich so aus, daß er nach Ver¬
lauf von zwei Jahren schon zum Secretär der Gesandtschaft in Konstantinopel
ernannt wurde, die damals in Adair ihren Chef hatte. Er hat somit zweiund¬
siebzig Jahre hindurch mit geringen Unterbrechungen den türkischen Verhältnissen
und ihrer Entwicklung mehr oder minder nahe gestanden, und so konnte zuletzt
keiner seiner Zeitgenossen sich einer solchen persönlichen Bekanntschaft mit den
Triebfedern, Schwierigkeiten und Eigenthümlichkeiten der Politik des ottomani¬
schen Reiches rühmen wie er.

Zunächst indeß folgte eine Unterbrechung seiner diplomatischen Beschäfti¬
gung, indem er drei Jahre nach Annahme jener Stellung den klugen Entschluß
faßte, uach England zurückzukehren und seine Studien in Cambridge zu voll-
enden. Er gehörte eben zu den englischen Staatsmännern, die neben ihren
Amtsgeschäften gelehrte und literarische Studien zu betreiben lieben und dabei
bisweilen Gutes leisten, häufiger aber — man erinnere sich an das abgeschmackte
Opus Mr. Gladstones über Homer — an das Sprichwort vom Schuster und
seinem Leisten erinnern. Sir Stratford machte zu rechter Zeit sein Examen für
den Bachelor-Grad und wurde dann, unter die Diplomaten zurückgekehrt, als
Geschäftsträger nach der Schweiz geschickt, wo er in Basel bei der Errichtung
der Helvetischen Eidgenossenschaft mitwirkte. In dieser Zeit galt er als ein
Geist, der sich nicht leicht vom Zauber des Genies blenden und gewinnen ließ,
dem aber Thatkraft und energisches Handeln und Menschen, die so handelten,
stark imponirten. Ein Beispiel für diese Denkart war eine damals von ihn:
veröffentlichte Ode mit dem Titel „Bonaparte", die Byron ein „nobles Gedicht"
genannt haben soll. 1820 ging er als Bevollmächtigter der Regierung nach
den Vereinigten Staaten, ein Auftrag, der damals nicht so bequem war wie
heutzutage, wo die Bitterkeit der internationalen Eifersucht, welche die beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/394>, abgerufen am 23.07.2024.