Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

möge, "ist der altherkömmliche Stoff seelenvoller und wirksamer geworden und
die Behandlung zeigt eine Nichtigkeit der Verhältnisse, die bisher noch nicht er¬
reicht war. Die Art, wie sich die verschiedenen Figuren je nach ihrem verschiedenen
Charakter in der feierlichen Trauerstunde verhalten -- die große Schwermuth
Marias, welche die Last des entseelten Sohnes trägt, die tiefe Selbstvergessenheit
Magdalenas, die völlig in den Anblick der Füße verloren scheint, das Zartgefühl
des Freundes, das aus Joseph von Arimathia spricht, zusammen mit der natür¬
lichen Herbigkeit in der sonst edlen Gestalt des Erlösers -- das alles giebt einen
hohen Begriff von Perugino's Künstlerschaft. Er offenbart sich als verständ-
nißvoller Beobachter der Florentiner, ohne doch sein eigenthümlich umbrisches
Wesen preiszugeben, wie die verkürzten Bewegungen zeigen, in denen er an
die Schule von Perugia erinnert (so z. B. in dein sehnsuchtsvoll nach oben
gewandten Gesicht des Johannes); auch den alten Kleiderschnitt behält er bei,
aber die klaren Formen, die Linienperspective und der breite Faltenwurf sind
Zeichen frischen Lebens und bewußten Gefühls."

Die letzte Darstellung der Pieta, die Perugino wenige Jahre vor seinein
Tode") etwa halblebensgroß al ire-hev in S. Maria maggiore zu Spello
an dein Pilaster links vom Hochaltar malte, zeigt die schmerzensreiche auf
eine": Throne sitzend, den mit dem Oberkörper ziemlich hoch aufgerichteten Christus¬
leichnam auf dem Schoße haltend, ihr Antlitz trauernd von ihm abgewandt,
als könne sie den jammervollen Anblick nicht mehr ertragen. Zu den Seiten
der Gruppe knieen Johannes und Magdalena mit gefalteten Händen. Der
innige Schmerzensausdruck der Madonna und das Haupt des Todten zeigen
den Meister noch völlig auf der Höhe seiner früheren Zeit, ebenso die sorgfältige
Zeichnung der Hände, während freilich die unschön emporgezogenem Schultern
und der falsch verkürzte linke Arm des Todten an die späte Entstehung des
Werkes erinnern.

Zwischen diese beiden Schöpfungen fällt die berühmteste Darstellung, die
der Gegenstand durch Perugin gefunden hat, das in: Palazzo Pitti (Ur. 164)
aufbewahrte Tafelgemälde aus dein Jahre 1495, also aus seiner reifsten Zeit.
Der im Profil erscheinende Leichnam Christi ruht, umgebe" von den Sei¬
nigen, in halbsitzender Stellung auf einem Steine, der vom Bahrtuche überdeckt
ist. Der links knieende Joseph von Arimathia stützt ihn unter der Schulter,
während ein anderer Freund zu Füßen des Todten mit dem Bahrtuche be¬
schäftigt ist; die hinter dem Sohne knieende Madonna umfaßt mit beiden Händen
seinen linken Arm, Magdalena sein Haupt; rechts von der Madonna kniet betend



*) Das Werk trägt das Datum 1520, wie wir auf Grund eigener Controlle bezeugen
können, nicht 1S21, wie Crowe und Ccwalcaselle (D. A. IV, 2S0) cmgeoen.

möge, „ist der altherkömmliche Stoff seelenvoller und wirksamer geworden und
die Behandlung zeigt eine Nichtigkeit der Verhältnisse, die bisher noch nicht er¬
reicht war. Die Art, wie sich die verschiedenen Figuren je nach ihrem verschiedenen
Charakter in der feierlichen Trauerstunde verhalten — die große Schwermuth
Marias, welche die Last des entseelten Sohnes trägt, die tiefe Selbstvergessenheit
Magdalenas, die völlig in den Anblick der Füße verloren scheint, das Zartgefühl
des Freundes, das aus Joseph von Arimathia spricht, zusammen mit der natür¬
lichen Herbigkeit in der sonst edlen Gestalt des Erlösers — das alles giebt einen
hohen Begriff von Perugino's Künstlerschaft. Er offenbart sich als verständ-
nißvoller Beobachter der Florentiner, ohne doch sein eigenthümlich umbrisches
Wesen preiszugeben, wie die verkürzten Bewegungen zeigen, in denen er an
die Schule von Perugia erinnert (so z. B. in dein sehnsuchtsvoll nach oben
gewandten Gesicht des Johannes); auch den alten Kleiderschnitt behält er bei,
aber die klaren Formen, die Linienperspective und der breite Faltenwurf sind
Zeichen frischen Lebens und bewußten Gefühls."

Die letzte Darstellung der Pieta, die Perugino wenige Jahre vor seinein
Tode") etwa halblebensgroß al ire-hev in S. Maria maggiore zu Spello
an dein Pilaster links vom Hochaltar malte, zeigt die schmerzensreiche auf
eine»: Throne sitzend, den mit dem Oberkörper ziemlich hoch aufgerichteten Christus¬
leichnam auf dem Schoße haltend, ihr Antlitz trauernd von ihm abgewandt,
als könne sie den jammervollen Anblick nicht mehr ertragen. Zu den Seiten
der Gruppe knieen Johannes und Magdalena mit gefalteten Händen. Der
innige Schmerzensausdruck der Madonna und das Haupt des Todten zeigen
den Meister noch völlig auf der Höhe seiner früheren Zeit, ebenso die sorgfältige
Zeichnung der Hände, während freilich die unschön emporgezogenem Schultern
und der falsch verkürzte linke Arm des Todten an die späte Entstehung des
Werkes erinnern.

Zwischen diese beiden Schöpfungen fällt die berühmteste Darstellung, die
der Gegenstand durch Perugin gefunden hat, das in: Palazzo Pitti (Ur. 164)
aufbewahrte Tafelgemälde aus dein Jahre 1495, also aus seiner reifsten Zeit.
Der im Profil erscheinende Leichnam Christi ruht, umgebe» von den Sei¬
nigen, in halbsitzender Stellung auf einem Steine, der vom Bahrtuche überdeckt
ist. Der links knieende Joseph von Arimathia stützt ihn unter der Schulter,
während ein anderer Freund zu Füßen des Todten mit dem Bahrtuche be¬
schäftigt ist; die hinter dem Sohne knieende Madonna umfaßt mit beiden Händen
seinen linken Arm, Magdalena sein Haupt; rechts von der Madonna kniet betend



*) Das Werk trägt das Datum 1520, wie wir auf Grund eigener Controlle bezeugen
können, nicht 1S21, wie Crowe und Ccwalcaselle (D. A. IV, 2S0) cmgeoen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147125"/>
          <p xml:id="ID_91" prev="#ID_90"> möge, &#x201E;ist der altherkömmliche Stoff seelenvoller und wirksamer geworden und<lb/>
die Behandlung zeigt eine Nichtigkeit der Verhältnisse, die bisher noch nicht er¬<lb/>
reicht war. Die Art, wie sich die verschiedenen Figuren je nach ihrem verschiedenen<lb/>
Charakter in der feierlichen Trauerstunde verhalten &#x2014; die große Schwermuth<lb/>
Marias, welche die Last des entseelten Sohnes trägt, die tiefe Selbstvergessenheit<lb/>
Magdalenas, die völlig in den Anblick der Füße verloren scheint, das Zartgefühl<lb/>
des Freundes, das aus Joseph von Arimathia spricht, zusammen mit der natür¬<lb/>
lichen Herbigkeit in der sonst edlen Gestalt des Erlösers &#x2014; das alles giebt einen<lb/>
hohen Begriff von Perugino's Künstlerschaft. Er offenbart sich als verständ-<lb/>
nißvoller Beobachter der Florentiner, ohne doch sein eigenthümlich umbrisches<lb/>
Wesen preiszugeben, wie die verkürzten Bewegungen zeigen, in denen er an<lb/>
die Schule von Perugia erinnert (so z. B. in dein sehnsuchtsvoll nach oben<lb/>
gewandten Gesicht des Johannes); auch den alten Kleiderschnitt behält er bei,<lb/>
aber die klaren Formen, die Linienperspective und der breite Faltenwurf sind<lb/>
Zeichen frischen Lebens und bewußten Gefühls."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_92"> Die letzte Darstellung der Pieta, die Perugino wenige Jahre vor seinein<lb/>
Tode") etwa halblebensgroß al ire-hev in S. Maria maggiore zu Spello<lb/>
an dein Pilaster links vom Hochaltar malte, zeigt die schmerzensreiche auf<lb/>
eine»: Throne sitzend, den mit dem Oberkörper ziemlich hoch aufgerichteten Christus¬<lb/>
leichnam auf dem Schoße haltend, ihr Antlitz trauernd von ihm abgewandt,<lb/>
als könne sie den jammervollen Anblick nicht mehr ertragen. Zu den Seiten<lb/>
der Gruppe knieen Johannes und Magdalena mit gefalteten Händen. Der<lb/>
innige Schmerzensausdruck der Madonna und das Haupt des Todten zeigen<lb/>
den Meister noch völlig auf der Höhe seiner früheren Zeit, ebenso die sorgfältige<lb/>
Zeichnung der Hände, während freilich die unschön emporgezogenem Schultern<lb/>
und der falsch verkürzte linke Arm des Todten an die späte Entstehung des<lb/>
Werkes erinnern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_93" next="#ID_94"> Zwischen diese beiden Schöpfungen fällt die berühmteste Darstellung, die<lb/>
der Gegenstand durch Perugin gefunden hat, das in: Palazzo Pitti (Ur. 164)<lb/>
aufbewahrte Tafelgemälde aus dein Jahre 1495, also aus seiner reifsten Zeit.<lb/>
Der im Profil erscheinende Leichnam Christi ruht, umgebe» von den Sei¬<lb/>
nigen, in halbsitzender Stellung auf einem Steine, der vom Bahrtuche überdeckt<lb/>
ist. Der links knieende Joseph von Arimathia stützt ihn unter der Schulter,<lb/>
während ein anderer Freund zu Füßen des Todten mit dem Bahrtuche be¬<lb/>
schäftigt ist; die hinter dem Sohne knieende Madonna umfaßt mit beiden Händen<lb/>
seinen linken Arm, Magdalena sein Haupt; rechts von der Madonna kniet betend</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> *) Das Werk trägt das Datum 1520, wie wir auf Grund eigener Controlle bezeugen<lb/>
können, nicht 1S21, wie Crowe und Ccwalcaselle (D. A. IV, 2S0) cmgeoen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] möge, „ist der altherkömmliche Stoff seelenvoller und wirksamer geworden und die Behandlung zeigt eine Nichtigkeit der Verhältnisse, die bisher noch nicht er¬ reicht war. Die Art, wie sich die verschiedenen Figuren je nach ihrem verschiedenen Charakter in der feierlichen Trauerstunde verhalten — die große Schwermuth Marias, welche die Last des entseelten Sohnes trägt, die tiefe Selbstvergessenheit Magdalenas, die völlig in den Anblick der Füße verloren scheint, das Zartgefühl des Freundes, das aus Joseph von Arimathia spricht, zusammen mit der natür¬ lichen Herbigkeit in der sonst edlen Gestalt des Erlösers — das alles giebt einen hohen Begriff von Perugino's Künstlerschaft. Er offenbart sich als verständ- nißvoller Beobachter der Florentiner, ohne doch sein eigenthümlich umbrisches Wesen preiszugeben, wie die verkürzten Bewegungen zeigen, in denen er an die Schule von Perugia erinnert (so z. B. in dein sehnsuchtsvoll nach oben gewandten Gesicht des Johannes); auch den alten Kleiderschnitt behält er bei, aber die klaren Formen, die Linienperspective und der breite Faltenwurf sind Zeichen frischen Lebens und bewußten Gefühls." Die letzte Darstellung der Pieta, die Perugino wenige Jahre vor seinein Tode") etwa halblebensgroß al ire-hev in S. Maria maggiore zu Spello an dein Pilaster links vom Hochaltar malte, zeigt die schmerzensreiche auf eine»: Throne sitzend, den mit dem Oberkörper ziemlich hoch aufgerichteten Christus¬ leichnam auf dem Schoße haltend, ihr Antlitz trauernd von ihm abgewandt, als könne sie den jammervollen Anblick nicht mehr ertragen. Zu den Seiten der Gruppe knieen Johannes und Magdalena mit gefalteten Händen. Der innige Schmerzensausdruck der Madonna und das Haupt des Todten zeigen den Meister noch völlig auf der Höhe seiner früheren Zeit, ebenso die sorgfältige Zeichnung der Hände, während freilich die unschön emporgezogenem Schultern und der falsch verkürzte linke Arm des Todten an die späte Entstehung des Werkes erinnern. Zwischen diese beiden Schöpfungen fällt die berühmteste Darstellung, die der Gegenstand durch Perugin gefunden hat, das in: Palazzo Pitti (Ur. 164) aufbewahrte Tafelgemälde aus dein Jahre 1495, also aus seiner reifsten Zeit. Der im Profil erscheinende Leichnam Christi ruht, umgebe» von den Sei¬ nigen, in halbsitzender Stellung auf einem Steine, der vom Bahrtuche überdeckt ist. Der links knieende Joseph von Arimathia stützt ihn unter der Schulter, während ein anderer Freund zu Füßen des Todten mit dem Bahrtuche be¬ schäftigt ist; die hinter dem Sohne knieende Madonna umfaßt mit beiden Händen seinen linken Arm, Magdalena sein Haupt; rechts von der Madonna kniet betend *) Das Werk trägt das Datum 1520, wie wir auf Grund eigener Controlle bezeugen können, nicht 1S21, wie Crowe und Ccwalcaselle (D. A. IV, 2S0) cmgeoen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/38>, abgerufen am 25.08.2024.