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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ausgesprochenes Talent für eine großartige, volltönende Formensprache, so daß
seine Gestalten nach dieser Richtung hin der in dem Saale aufgehängten Ge¬
bilde von Cornelius keineswegs unwürdig waren, und, was in unserer Zeit
ebenso viel besagen will, einen reichen Farbensinn, welcher sich der modernen
Coloristik anschließt. Während die von Cornelius, Overbeck und den Gesin¬
nungsgenossen inspirirte Monumentalmalerei sich gegen die Farbe grundsätzlich
ablehnend verhielt, hat Peter Janssen, ein Schüler Bendemcmns, den großen
Zwiespalt, welcher sich allmählich zwischen dem idealen Stile unserer neu-
deutschen Formenelassiker und dem modernen Farbenrealismus gebildet hat,
wieder überbrückt und durch die Verschmelzung beider der monumentalen Malerei
eine neue, vielverheißende Zukunft eröffnet. Der Maler ist gegenwärtig mit
einem Cyklus geschichtlicher Wandbilder für das Rathhaus in Erfurt beschäf¬
tigt. Drei Cartons für dieselben und die dazu gehörigen Studienköpfe in Oel
hat er ausgestellt. Auf dem ersten derselben sehen wir den Heidenapostel Boni-
facius auf einer Anhöhe vor der eben von ihm gefällten Götterreiche stehen
und den Erfurtern das Christenthum predigen. Der zweite Carton zeigt uns
Rudolf von Habsburg, der mit den Erfurtern von der Zerstörung einer Raub¬
burg mit den gefangenen Insassen derselben zurückkehrt. Der dritte führt uns
in eine stürmische Sitzung des Erfurter Raths, welche durch das eindringende
Volk gestört wird, dessen Wuth sich vornehmlich gegen den Vierherrn Keiner
richtet. Auf allen drei Cartons spielt also eine hervorragende Persönlichkeit
eine bedeutsame Rolle, wodurch für die Composition ein fester geistiger Mittel-
Punkt geschaffen ist, um den sich die übrigen Figuren wirkungsvoll gruppiren.
Da auf allen drei Cartons der Mitwirkung des Volkes ein großer Spielraum
gelassen ist, hat der Maler sich diese Gelegenheit zur Formirung mannigfaltiger
Gruppen nicht entgehen lassen. Ueberall tauchen charakteristische Köpfe ans,
welche mit sprühendem Leben erfüllt sind und von der Begabung des Künstlers
für das Porträt ein beredtes Zeugniß ablegen. Auf dem dritten Bilde bringt
der dramatisch erregte Vorgang noch ein erhöhtes Leben in die Composition,
die sich trotzdem trefflich zu einem in sich geschlossenen und concentrirten Ganzen
abrundet. In der Schärfe der Charakteristik und in der dramatischen Wucht
der Schilderung ist Janssen am nächsten mit Rethel verwandt. In der Indi-
vidualisirung der Gestalten steht er aber durchaus auf dem Boden der moder¬
nen Kunst, für die er ein Gebiet wiedererobert hat, das man bereits verloren
glaubte.

Auch Janssens Lehrer, der ehemalige Akademiedirector Bendemann, hat
die Ausstellung mit einem Cyklus von Aquarellen beschickt, die bei dem hohen
Alter des Meisters noch wunderbar kräftig in der Farbe sind. Die Stoffe sind
dem orientalischen Leben entlehnt, welchem Bendemann seine besten Motive


ausgesprochenes Talent für eine großartige, volltönende Formensprache, so daß
seine Gestalten nach dieser Richtung hin der in dem Saale aufgehängten Ge¬
bilde von Cornelius keineswegs unwürdig waren, und, was in unserer Zeit
ebenso viel besagen will, einen reichen Farbensinn, welcher sich der modernen
Coloristik anschließt. Während die von Cornelius, Overbeck und den Gesin¬
nungsgenossen inspirirte Monumentalmalerei sich gegen die Farbe grundsätzlich
ablehnend verhielt, hat Peter Janssen, ein Schüler Bendemcmns, den großen
Zwiespalt, welcher sich allmählich zwischen dem idealen Stile unserer neu-
deutschen Formenelassiker und dem modernen Farbenrealismus gebildet hat,
wieder überbrückt und durch die Verschmelzung beider der monumentalen Malerei
eine neue, vielverheißende Zukunft eröffnet. Der Maler ist gegenwärtig mit
einem Cyklus geschichtlicher Wandbilder für das Rathhaus in Erfurt beschäf¬
tigt. Drei Cartons für dieselben und die dazu gehörigen Studienköpfe in Oel
hat er ausgestellt. Auf dem ersten derselben sehen wir den Heidenapostel Boni-
facius auf einer Anhöhe vor der eben von ihm gefällten Götterreiche stehen
und den Erfurtern das Christenthum predigen. Der zweite Carton zeigt uns
Rudolf von Habsburg, der mit den Erfurtern von der Zerstörung einer Raub¬
burg mit den gefangenen Insassen derselben zurückkehrt. Der dritte führt uns
in eine stürmische Sitzung des Erfurter Raths, welche durch das eindringende
Volk gestört wird, dessen Wuth sich vornehmlich gegen den Vierherrn Keiner
richtet. Auf allen drei Cartons spielt also eine hervorragende Persönlichkeit
eine bedeutsame Rolle, wodurch für die Composition ein fester geistiger Mittel-
Punkt geschaffen ist, um den sich die übrigen Figuren wirkungsvoll gruppiren.
Da auf allen drei Cartons der Mitwirkung des Volkes ein großer Spielraum
gelassen ist, hat der Maler sich diese Gelegenheit zur Formirung mannigfaltiger
Gruppen nicht entgehen lassen. Ueberall tauchen charakteristische Köpfe ans,
welche mit sprühendem Leben erfüllt sind und von der Begabung des Künstlers
für das Porträt ein beredtes Zeugniß ablegen. Auf dem dritten Bilde bringt
der dramatisch erregte Vorgang noch ein erhöhtes Leben in die Composition,
die sich trotzdem trefflich zu einem in sich geschlossenen und concentrirten Ganzen
abrundet. In der Schärfe der Charakteristik und in der dramatischen Wucht
der Schilderung ist Janssen am nächsten mit Rethel verwandt. In der Indi-
vidualisirung der Gestalten steht er aber durchaus auf dem Boden der moder¬
nen Kunst, für die er ein Gebiet wiedererobert hat, das man bereits verloren
glaubte.

Auch Janssens Lehrer, der ehemalige Akademiedirector Bendemann, hat
die Ausstellung mit einem Cyklus von Aquarellen beschickt, die bei dem hohen
Alter des Meisters noch wunderbar kräftig in der Farbe sind. Die Stoffe sind
dem orientalischen Leben entlehnt, welchem Bendemann seine besten Motive


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/378>, abgerufen am 23.07.2024.