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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ung ungefähr mit demselben Genusse scheidet wie von den Verkaufsstünden der
Stollwerckschen Choeoladenfabrik.

Die betrübendste Erscheinung, welche uns die Kunstausstellung geboten hat,
ist aber unstreitig die traurige Vertretung der Düsseldorfer Künstlerschaft, welche
das Privileg, an der Quelle zu sitzen, mit noch viel geringerem Verständniß
ausgenützt hat, als im vorigen Jahre die Münchener. Wohl erhebt sich am
Ufer des Rheins das neue stattliche Gebäude der Düsseldorfer Akademie mit
seinen geräumigen Lehrsälen und seinen durch Nordlicht trefflich erhellten Mei¬
sterateliers. Aber -- so darf man billig fragen -- wird in diesen stolzen
Hallen von Lehrern und Schülern nichts besseres geleistet, als uns die Düssel¬
dorfer Ausstellung bietet? Die Antwort giebt uns erst ein Vergleich des Ver¬
zeichnisses der Lehrer mit dem Kataloge der Ausstellung.

Die Vertreter der älteren, Schadow-Cornelianischen Richtung, E. Deger,
Andreas und Karl Müller, der Vermittler zwischen ihr und der farbenfröhlichen
neueren Strömung, Wislicenus, der eine Zeit lang die Directionsgeschäfte führte,
haben sich gänzlich von der Ausstellung ferngehalten. Die religiöse Kunst stren¬
geren Stils wäre demnach unvertreten geblieben, wenn nicht Julius Roetings
"Grablegung Christi" in überlebensgroßen Figuren zur Ausstellung gelangt wäre.
Mit welcher Berechtigung, ist freilich zweifelhaft. Denn das Gemälde, dessen
hohe malerische und zeichnerische Verdienste ich freudig anerkenne, trägt die
Jahreszahl 1866, gehört also nicht mehr in den Zeitraum, dessen Kunstthätig¬
keit die Düsseldorfer Ausstellung charakterisiren soll. Da das Gemälde jedoch
durch den Brand des Akademiegebäudes im März 1872 gelitten hat und seit¬
dem von dem Künstler fast vollständig neu gemalt worden ist, darf es wenig¬
stens in colvristischer Hinsicht als ein Repräsentant der modernen Epoche gelten.
Es ist ein Beispiel dafür, daß sich Ernst und Würde der Auffassung und ein
monumentaler Stil sehr wohl mit einem kräftigen, tiefen und satten Colorit
vereinigen lassen. Alle Köpfe erfüllt ein reiches Seelenleben, dessen Aeußerun¬
gen sich mit vollster Energie auf den todten Heiland concentriren, dessen rührende
Gestalt den Mittelpunkt der ergreifenden Komposition bildet. Neuerdings hat
sich Roeting ausschließlich der Bildnißmalerei gewidmet, wie mir scheint, nicht
mit demselben Glück. Auch die Düsseldorfer Ausstellung bestätigt für mich von
neuem den Satz, daß die Porträtmalerei nur in großen Städten, welche das
Centrum des politischen, literarischen und künstlerischen Lebens einer Nation
repräsentiren, sich zur höchsten Blüthe entfalten kann. War für Preußen von
Anbeginn Berlin ein solcher Mittelpunkt, so ist er es in noch höherem Grade
geworden, nachdem auch die oberste Regierungsgewalt des Deutschen Reiches
dorthin verlegt worden ist. Dieser Umstand trägt auch sicherlich dazu bei, daß
sich die alljährlich von der Berliner Kunstakademie veranstalteten Ausstellungen


ung ungefähr mit demselben Genusse scheidet wie von den Verkaufsstünden der
Stollwerckschen Choeoladenfabrik.

Die betrübendste Erscheinung, welche uns die Kunstausstellung geboten hat,
ist aber unstreitig die traurige Vertretung der Düsseldorfer Künstlerschaft, welche
das Privileg, an der Quelle zu sitzen, mit noch viel geringerem Verständniß
ausgenützt hat, als im vorigen Jahre die Münchener. Wohl erhebt sich am
Ufer des Rheins das neue stattliche Gebäude der Düsseldorfer Akademie mit
seinen geräumigen Lehrsälen und seinen durch Nordlicht trefflich erhellten Mei¬
sterateliers. Aber — so darf man billig fragen — wird in diesen stolzen
Hallen von Lehrern und Schülern nichts besseres geleistet, als uns die Düssel¬
dorfer Ausstellung bietet? Die Antwort giebt uns erst ein Vergleich des Ver¬
zeichnisses der Lehrer mit dem Kataloge der Ausstellung.

Die Vertreter der älteren, Schadow-Cornelianischen Richtung, E. Deger,
Andreas und Karl Müller, der Vermittler zwischen ihr und der farbenfröhlichen
neueren Strömung, Wislicenus, der eine Zeit lang die Directionsgeschäfte führte,
haben sich gänzlich von der Ausstellung ferngehalten. Die religiöse Kunst stren¬
geren Stils wäre demnach unvertreten geblieben, wenn nicht Julius Roetings
»Grablegung Christi" in überlebensgroßen Figuren zur Ausstellung gelangt wäre.
Mit welcher Berechtigung, ist freilich zweifelhaft. Denn das Gemälde, dessen
hohe malerische und zeichnerische Verdienste ich freudig anerkenne, trägt die
Jahreszahl 1866, gehört also nicht mehr in den Zeitraum, dessen Kunstthätig¬
keit die Düsseldorfer Ausstellung charakterisiren soll. Da das Gemälde jedoch
durch den Brand des Akademiegebäudes im März 1872 gelitten hat und seit¬
dem von dem Künstler fast vollständig neu gemalt worden ist, darf es wenig¬
stens in colvristischer Hinsicht als ein Repräsentant der modernen Epoche gelten.
Es ist ein Beispiel dafür, daß sich Ernst und Würde der Auffassung und ein
monumentaler Stil sehr wohl mit einem kräftigen, tiefen und satten Colorit
vereinigen lassen. Alle Köpfe erfüllt ein reiches Seelenleben, dessen Aeußerun¬
gen sich mit vollster Energie auf den todten Heiland concentriren, dessen rührende
Gestalt den Mittelpunkt der ergreifenden Komposition bildet. Neuerdings hat
sich Roeting ausschließlich der Bildnißmalerei gewidmet, wie mir scheint, nicht
mit demselben Glück. Auch die Düsseldorfer Ausstellung bestätigt für mich von
neuem den Satz, daß die Porträtmalerei nur in großen Städten, welche das
Centrum des politischen, literarischen und künstlerischen Lebens einer Nation
repräsentiren, sich zur höchsten Blüthe entfalten kann. War für Preußen von
Anbeginn Berlin ein solcher Mittelpunkt, so ist er es in noch höherem Grade
geworden, nachdem auch die oberste Regierungsgewalt des Deutschen Reiches
dorthin verlegt worden ist. Dieser Umstand trägt auch sicherlich dazu bei, daß
sich die alljährlich von der Berliner Kunstakademie veranstalteten Ausstellungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/376>, abgerufen am 23.07.2024.