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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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entsprach diesem Verlangen, und in kurzer Zeit hatten sich über 400 Drucke¬
reien und Verlagsbuchhandlungen in Deutschland, Oesterreich, in der Schweiz
und den Ostseeprovinzen seinem Entwürfe angeschlossen -- der beste Beweis,
wie groß das Bedürfnis nach Regelung der Orthographie in diesen Kreisen ist.

Aber eben dieses Vorgehen der Druckereien unter der Führung von San¬
ders ist lehrreich für die Beurteilung des gerade jetzt so oft ausgesprochenen
und "erfochtenen Satzes, eine Orthographie-Reform dürfe nicht vom grünen
Tische aus verordnet werden, sie müsse sich organisch aus sich selbst heraus ent¬
wickeln. Das ist eine irrtümliche Ansicht von der Geschichte unserer Recht¬
schreibung. Alle die verschiedenen Entwicklungs-Phasen der deutschen Ortho¬
graphie siud nicht von selbst eingetreten, sondern sie lassen sich im wesentlichen
mif den beherrschenden Einfluß einzelner Sprachmeister zurückführen, die vermöge
ihrer tonangebenden Stellung gewisse Neuerungen zu allgemeiner Anerkennung
brachten. Die jetzt übliche Schreibweise heißt die Ad elungsche oder Hey fi¬
sche, Adelung selbst spricht von einer Go ttschedischen Orthographie, und
vor Gottsched war die hallische oder Frey ersehe Orthographie die herr¬
schende. Die jetzt viel gebrauchte sogenannte historische Schreibweise knüpft sich
Mi den Namen Jakob Grimms, und die allerneueste phonetische Recht- oder
nichtiger gesagt Unrechtschreibung heißt nach ihrem Hauptvertreter die Frikki-
sche. Was bei einer spontanen Entwickelung herauskommt, sehen wir am besten '
an dem jetzigen orthographischen Wirrwarr in unseren wissenschaftlichen Zeit¬
schriften, wo der eine dem historischen, der andere dem phonetischen, der dritte
dem Verdeutlichungs-Prinzip folgt, während der vierte ohne alles Prinzip bald
>o bald anders schreibt. Von selbst kommt keine Ordnung in dieses Chaos.
Dazu bedarf es einer gewissen Autorität, einer so einflußreichen Stellung, wie sie
Gottsched, Adelung u. a. hatten. Ob wohl Daniel Sanders der rechte Mann
dazu ist? Daß er selbst es sich zutraut, unterliegt keinem Zweifel; hat er doch
bereits vor dem Zusammentritt der Berliner Konferenz "Vorschläge zur Fest¬
stellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland" verfaßt,
^b aber wirklich Altdeutsch land Lust hat, seine Orthographie anzunehmen,
^ eine andere Frage. Sanders hat sich auf der orthographischen Konferenz
als entschiedener Gegner selbst maßvoller Neuerungen gezeigt, er hängt mit
ganzer Leidenschaft an dem Dehnungs-H, selbst da, wo es völlig widersinnig in
^zer Silbe steht, wie bei Wirt, Turm; er ist ein warmer Verehrer der
ürvßen Anfangsbuchstaben mich in solchen Fällen, wo der gewöhnliche Schreib-
äebrauch sich davon entfernt hat, wie in den adverbiellen Redensarten bei
Weitem, von neuem; besonders bekannt ist seine Vorliebe für den Binde-
^es, den er als starrer Anhänger des Verdeutlichungsprinzipes in übertriebener
^else angewendet wissen will.


entsprach diesem Verlangen, und in kurzer Zeit hatten sich über 400 Drucke¬
reien und Verlagsbuchhandlungen in Deutschland, Oesterreich, in der Schweiz
und den Ostseeprovinzen seinem Entwürfe angeschlossen — der beste Beweis,
wie groß das Bedürfnis nach Regelung der Orthographie in diesen Kreisen ist.

Aber eben dieses Vorgehen der Druckereien unter der Führung von San¬
ders ist lehrreich für die Beurteilung des gerade jetzt so oft ausgesprochenen
und «erfochtenen Satzes, eine Orthographie-Reform dürfe nicht vom grünen
Tische aus verordnet werden, sie müsse sich organisch aus sich selbst heraus ent¬
wickeln. Das ist eine irrtümliche Ansicht von der Geschichte unserer Recht¬
schreibung. Alle die verschiedenen Entwicklungs-Phasen der deutschen Ortho¬
graphie siud nicht von selbst eingetreten, sondern sie lassen sich im wesentlichen
mif den beherrschenden Einfluß einzelner Sprachmeister zurückführen, die vermöge
ihrer tonangebenden Stellung gewisse Neuerungen zu allgemeiner Anerkennung
brachten. Die jetzt übliche Schreibweise heißt die Ad elungsche oder Hey fi¬
sche, Adelung selbst spricht von einer Go ttschedischen Orthographie, und
vor Gottsched war die hallische oder Frey ersehe Orthographie die herr¬
schende. Die jetzt viel gebrauchte sogenannte historische Schreibweise knüpft sich
Mi den Namen Jakob Grimms, und die allerneueste phonetische Recht- oder
nichtiger gesagt Unrechtschreibung heißt nach ihrem Hauptvertreter die Frikki-
sche. Was bei einer spontanen Entwickelung herauskommt, sehen wir am besten '
an dem jetzigen orthographischen Wirrwarr in unseren wissenschaftlichen Zeit¬
schriften, wo der eine dem historischen, der andere dem phonetischen, der dritte
dem Verdeutlichungs-Prinzip folgt, während der vierte ohne alles Prinzip bald
>o bald anders schreibt. Von selbst kommt keine Ordnung in dieses Chaos.
Dazu bedarf es einer gewissen Autorität, einer so einflußreichen Stellung, wie sie
Gottsched, Adelung u. a. hatten. Ob wohl Daniel Sanders der rechte Mann
dazu ist? Daß er selbst es sich zutraut, unterliegt keinem Zweifel; hat er doch
bereits vor dem Zusammentritt der Berliner Konferenz „Vorschläge zur Fest¬
stellung einer einheitlichen Rechtschreibung für Alldeutschland" verfaßt,
^b aber wirklich Altdeutsch land Lust hat, seine Orthographie anzunehmen,
^ eine andere Frage. Sanders hat sich auf der orthographischen Konferenz
als entschiedener Gegner selbst maßvoller Neuerungen gezeigt, er hängt mit
ganzer Leidenschaft an dem Dehnungs-H, selbst da, wo es völlig widersinnig in
^zer Silbe steht, wie bei Wirt, Turm; er ist ein warmer Verehrer der
ürvßen Anfangsbuchstaben mich in solchen Fällen, wo der gewöhnliche Schreib-
äebrauch sich davon entfernt hat, wie in den adverbiellen Redensarten bei
Weitem, von neuem; besonders bekannt ist seine Vorliebe für den Binde-
^es, den er als starrer Anhänger des Verdeutlichungsprinzipes in übertriebener
^else angewendet wissen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/368>, abgerufen am 01.10.2024.