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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Sehr begreiflich. Die Schule bedarf eines bestimmten Schreibgebrauches.
Wie soll ein Lehrer orthographischen Unterricht erteilen, wenn er nicht weiß,
was er lehren soll? Wie sollen die Schüler Sicherheit im Rechtschreiben er¬
langen, wenn sie auf die Frage: Wie wird das Wort geschrieben? die Antwort
erhalten: Es wird auf diese und auf jene und eines noch auf eine dritte und
vierte Weise geschrieben? Wenn ein Redner im Reichstage gesagt hat, es sei
einerlei, ob man gescheid oder gescheidt oder gescheit schreibe, wenn wir
nur erst alle wirklich gescheit wären, so fürchte ich, daß unsere Jugend weder
von dieser Antwort noch aus dieser Antwort gescheit wird. Die Schüler
können nicht untersuchen, welche von den verschiedenen Schreibweisen die bessere
ist, sie verlangen von ihrem Lehrer einfach die bestimmte Erklärung: so und
nicht anders sollt ihr schreiben. Wenn freilich der Lehrer in Quarta das als
Fehler anstreicht, was sein Vorgänger in Quinta mit saurem Schweiße eingeübt
hat, dann ist es kein Wunder, wenn das lebhafte Gerechtigkeitsgefühl der Jugend
sich dagegen empört, wenn die Schüler irre werden an ihren Lehrern, wenn sie
unsicher werden in ihrem Wissen. Damit hängt aber noch etwas Schlimmeres
zusammen. Wenn ein Schüler bei dem Lehrer einer höheren Klasse eine andere
Schreibweise lernt, als er bisher befolgt hat, so verbindet sich bei ihm un¬
willkürlich mit dem Vollgefühl der neuen Weisheit eine Empfindung der Gering¬
schätzung gegen den Lehrer der niedrigeren Klasse, welcher noch nicht bis zu
jener Höhe der Wissenschaft emporgeklommen ist, wie er. Das ist eine nicht
zu unterschätzende Schädigung der Schulzucht.

Daß die Buchdrucker und Buchhändler ebenso dringend eine end¬
liche Ordnung des orthographischen Wirrwarrs ersehnen, ist eben so wenig zu
verwundern. Es ist für den Drucker wie für deu Druckberichtiger außerordent¬
lich erschwerend, wenn dasselbe Wort bald in dieser bald in jener Gestalt er¬
scheint. Wie weit das gehen kann, mag man daraus ersehen, daß nach der
Mitteilung des Leiters der hallischen Waisenhaus-Buchhandlung das Wort
maßvoll in der dortigen Druckerei in nicht weniger als fünf verschiedenen
Gestalten gedruckt wird. Daher stehen Buchdrucker und Buchhändler, wie viel¬
fache Petitionen beweisen, in der vordersten Reihe der Vorkämpfer für Her¬
stellung einer einheitlichen Schreibung; daher auch jene Erscheinung, welche in¬
direkt wohl eine Hauptveranlassung zu der endlichen Veröffentlichung des seit
langem vorbereiteten Entwurfs geworden ist: die Einigung einer großen Anzahl
deutscher Buchdruckereien und Buchhandlungen zur Herstellung einer gemein¬
samen Schreibweise unter der Ägide von Daniel Sanders. Bekanntlich rich¬
tete im vorigen Jahre die Buchhandlung von Breitkopf & Härtel an diesen
Gelehrten die Aufforderung, zunächst für ihren eigenen Bedarf ein orthographi¬
sches Hilfsbuch als Norm für Setzer und Druckberichtiger zu verfassen. Sanders


Sehr begreiflich. Die Schule bedarf eines bestimmten Schreibgebrauches.
Wie soll ein Lehrer orthographischen Unterricht erteilen, wenn er nicht weiß,
was er lehren soll? Wie sollen die Schüler Sicherheit im Rechtschreiben er¬
langen, wenn sie auf die Frage: Wie wird das Wort geschrieben? die Antwort
erhalten: Es wird auf diese und auf jene und eines noch auf eine dritte und
vierte Weise geschrieben? Wenn ein Redner im Reichstage gesagt hat, es sei
einerlei, ob man gescheid oder gescheidt oder gescheit schreibe, wenn wir
nur erst alle wirklich gescheit wären, so fürchte ich, daß unsere Jugend weder
von dieser Antwort noch aus dieser Antwort gescheit wird. Die Schüler
können nicht untersuchen, welche von den verschiedenen Schreibweisen die bessere
ist, sie verlangen von ihrem Lehrer einfach die bestimmte Erklärung: so und
nicht anders sollt ihr schreiben. Wenn freilich der Lehrer in Quarta das als
Fehler anstreicht, was sein Vorgänger in Quinta mit saurem Schweiße eingeübt
hat, dann ist es kein Wunder, wenn das lebhafte Gerechtigkeitsgefühl der Jugend
sich dagegen empört, wenn die Schüler irre werden an ihren Lehrern, wenn sie
unsicher werden in ihrem Wissen. Damit hängt aber noch etwas Schlimmeres
zusammen. Wenn ein Schüler bei dem Lehrer einer höheren Klasse eine andere
Schreibweise lernt, als er bisher befolgt hat, so verbindet sich bei ihm un¬
willkürlich mit dem Vollgefühl der neuen Weisheit eine Empfindung der Gering¬
schätzung gegen den Lehrer der niedrigeren Klasse, welcher noch nicht bis zu
jener Höhe der Wissenschaft emporgeklommen ist, wie er. Das ist eine nicht
zu unterschätzende Schädigung der Schulzucht.

Daß die Buchdrucker und Buchhändler ebenso dringend eine end¬
liche Ordnung des orthographischen Wirrwarrs ersehnen, ist eben so wenig zu
verwundern. Es ist für den Drucker wie für deu Druckberichtiger außerordent¬
lich erschwerend, wenn dasselbe Wort bald in dieser bald in jener Gestalt er¬
scheint. Wie weit das gehen kann, mag man daraus ersehen, daß nach der
Mitteilung des Leiters der hallischen Waisenhaus-Buchhandlung das Wort
maßvoll in der dortigen Druckerei in nicht weniger als fünf verschiedenen
Gestalten gedruckt wird. Daher stehen Buchdrucker und Buchhändler, wie viel¬
fache Petitionen beweisen, in der vordersten Reihe der Vorkämpfer für Her¬
stellung einer einheitlichen Schreibung; daher auch jene Erscheinung, welche in¬
direkt wohl eine Hauptveranlassung zu der endlichen Veröffentlichung des seit
langem vorbereiteten Entwurfs geworden ist: die Einigung einer großen Anzahl
deutscher Buchdruckereien und Buchhandlungen zur Herstellung einer gemein¬
samen Schreibweise unter der Ägide von Daniel Sanders. Bekanntlich rich¬
tete im vorigen Jahre die Buchhandlung von Breitkopf & Härtel an diesen
Gelehrten die Aufforderung, zunächst für ihren eigenen Bedarf ein orthographi¬
sches Hilfsbuch als Norm für Setzer und Druckberichtiger zu verfassen. Sanders


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[0367] Sehr begreiflich. Die Schule bedarf eines bestimmten Schreibgebrauches. Wie soll ein Lehrer orthographischen Unterricht erteilen, wenn er nicht weiß, was er lehren soll? Wie sollen die Schüler Sicherheit im Rechtschreiben er¬ langen, wenn sie auf die Frage: Wie wird das Wort geschrieben? die Antwort erhalten: Es wird auf diese und auf jene und eines noch auf eine dritte und vierte Weise geschrieben? Wenn ein Redner im Reichstage gesagt hat, es sei einerlei, ob man gescheid oder gescheidt oder gescheit schreibe, wenn wir nur erst alle wirklich gescheit wären, so fürchte ich, daß unsere Jugend weder von dieser Antwort noch aus dieser Antwort gescheit wird. Die Schüler können nicht untersuchen, welche von den verschiedenen Schreibweisen die bessere ist, sie verlangen von ihrem Lehrer einfach die bestimmte Erklärung: so und nicht anders sollt ihr schreiben. Wenn freilich der Lehrer in Quarta das als Fehler anstreicht, was sein Vorgänger in Quinta mit saurem Schweiße eingeübt hat, dann ist es kein Wunder, wenn das lebhafte Gerechtigkeitsgefühl der Jugend sich dagegen empört, wenn die Schüler irre werden an ihren Lehrern, wenn sie unsicher werden in ihrem Wissen. Damit hängt aber noch etwas Schlimmeres zusammen. Wenn ein Schüler bei dem Lehrer einer höheren Klasse eine andere Schreibweise lernt, als er bisher befolgt hat, so verbindet sich bei ihm un¬ willkürlich mit dem Vollgefühl der neuen Weisheit eine Empfindung der Gering¬ schätzung gegen den Lehrer der niedrigeren Klasse, welcher noch nicht bis zu jener Höhe der Wissenschaft emporgeklommen ist, wie er. Das ist eine nicht zu unterschätzende Schädigung der Schulzucht. Daß die Buchdrucker und Buchhändler ebenso dringend eine end¬ liche Ordnung des orthographischen Wirrwarrs ersehnen, ist eben so wenig zu verwundern. Es ist für den Drucker wie für deu Druckberichtiger außerordent¬ lich erschwerend, wenn dasselbe Wort bald in dieser bald in jener Gestalt er¬ scheint. Wie weit das gehen kann, mag man daraus ersehen, daß nach der Mitteilung des Leiters der hallischen Waisenhaus-Buchhandlung das Wort maßvoll in der dortigen Druckerei in nicht weniger als fünf verschiedenen Gestalten gedruckt wird. Daher stehen Buchdrucker und Buchhändler, wie viel¬ fache Petitionen beweisen, in der vordersten Reihe der Vorkämpfer für Her¬ stellung einer einheitlichen Schreibung; daher auch jene Erscheinung, welche in¬ direkt wohl eine Hauptveranlassung zu der endlichen Veröffentlichung des seit langem vorbereiteten Entwurfs geworden ist: die Einigung einer großen Anzahl deutscher Buchdruckereien und Buchhandlungen zur Herstellung einer gemein¬ samen Schreibweise unter der Ägide von Daniel Sanders. Bekanntlich rich¬ tete im vorigen Jahre die Buchhandlung von Breitkopf & Härtel an diesen Gelehrten die Aufforderung, zunächst für ihren eigenen Bedarf ein orthographi¬ sches Hilfsbuch als Norm für Setzer und Druckberichtiger zu verfassen. Sanders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/367>, abgerufen am 23.07.2024.