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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Volkslied im 15. und 16. Jahrhundert und das größte komische und satirische
Talent des 16. Jahrhunderts, Johann Fischart. Der letztere blieb der Mittel¬
punkt seiner literarischen Bestrebungen. Seine Bibliothek war vielleicht die aus¬
gesuchteste, beste und größte, welche je ein Privatmann besessen hat; gestand
er doch selbst im Jahre 1830, er wurde sich halb im Himmel geglaubt haben,
wenn er in jüngeren Jahren hätte Bibliothekar werden können. Nach seinem
Tode wurde seine Sammlung der Königlichen Bibliothek in Berlin einverleibt,
mit sämmtlichen im Manuscript unvollendet hinterlassenen Arbeiten, namentlich
den umfangreichen Vorarbeiten zu der seit langen Jahren beabsichtigten Aus¬
gabe Fischarts. In jüngeren Jahren veröffentlichte er ohne seinen Namen "Korn¬
blumen von Athem" (Marburg, 1804), "Geist aus meinen Schriften durch mich
selbst herausgegeben und an das Licht gestellt von Martin Hüpfinsholz (Frank¬
furt a. M., 1809) und "Zur Recension der deutsche" Grammatik. Unwiderlegt
herausgegeben von Jacob Grimm" (Kassel, 1829). Ueber den "Fonkschen Fall"
1816 verfaßte er eine aus dem vollständigen Actenmaterial geschöpfte Darstel¬
lung jener für alle Zeiten denkwürdigen Criminalgeschichte im dritten Bande
von Hitzigs "Zeitschrift für die deutsche und auswärtige Criminal-Rechtspflege"
(Berlin, 1833. S. 1--156). Ueber "Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"
(Berlin, 1835) schrieb er in der "Allgemeinen Literatur-Zeitung" (Juli 1835,
Ur. 115--120) eine durch Geist und Scharfsinn ausgezeichnete Anzeige.

Nachdem er im Jahre 1842 wegen zunehmender Schwerhörigkeit den Ab¬
schied aus dem Staatsdienste genommen hatte, starb er am 22. August 1847
im 67. Lebensjahre in Baum gartenbrück in landschaftlich reizender Gegend an
der Havel, eine Stunde hinter Potsdam, in der von ihm selbst erbauten Villa.

Von der gelehrten Seite des seltenen und seltsamen Mannes und seiner
Thätigkeit als Schriftsteller hat ein jüngerer Gelehrter, Dr. Camillus Wen¬
deler in Steglitz bei Berlin, eine eingehende und liebevolle Schilderung als
Einleitung zur Ausgabe der Meusebachschen "Fischartstudim" entworfen (Halle,
1879). Durch späterer Einsicht der auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin
aufbewahrten Correspondenz des berühmten Sammlers wurde aber die Mög¬
lichkeit gegeben, die dort gebotenen Mittheilungen über Meusebachs Beziehungen
M gelehrten Freunden zu vervollständigen. Darauf wurden durch die Grimm-
schen Erben die Meusebachschen Komplemente der Briefe von Jacob und Wil¬
helm Grimm ausgeliefert, und kürzlich hat nun Wendeler diesen für die Bio¬
graphie der betheiligten Personen wie für die Geschichte der Anfänge unserer
germanistischen Wissenschaft überaus werthvollen Briefwechsel veröffentlicht.*)



*) Briefwechsel des Freiherrn Carl Hartwig Gregor von Mcuscbach
'"it Jacob und Wilhelm Grimm. Nebst einleitenden Bemerkungen über den Verkehr
des Sammlers mit gelehrten Freunden, Anmerkungen und einem Anhang von der Berufung

Volkslied im 15. und 16. Jahrhundert und das größte komische und satirische
Talent des 16. Jahrhunderts, Johann Fischart. Der letztere blieb der Mittel¬
punkt seiner literarischen Bestrebungen. Seine Bibliothek war vielleicht die aus¬
gesuchteste, beste und größte, welche je ein Privatmann besessen hat; gestand
er doch selbst im Jahre 1830, er wurde sich halb im Himmel geglaubt haben,
wenn er in jüngeren Jahren hätte Bibliothekar werden können. Nach seinem
Tode wurde seine Sammlung der Königlichen Bibliothek in Berlin einverleibt,
mit sämmtlichen im Manuscript unvollendet hinterlassenen Arbeiten, namentlich
den umfangreichen Vorarbeiten zu der seit langen Jahren beabsichtigten Aus¬
gabe Fischarts. In jüngeren Jahren veröffentlichte er ohne seinen Namen „Korn¬
blumen von Athem" (Marburg, 1804), „Geist aus meinen Schriften durch mich
selbst herausgegeben und an das Licht gestellt von Martin Hüpfinsholz (Frank¬
furt a. M., 1809) und „Zur Recension der deutsche» Grammatik. Unwiderlegt
herausgegeben von Jacob Grimm" (Kassel, 1829). Ueber den „Fonkschen Fall"
1816 verfaßte er eine aus dem vollständigen Actenmaterial geschöpfte Darstel¬
lung jener für alle Zeiten denkwürdigen Criminalgeschichte im dritten Bande
von Hitzigs „Zeitschrift für die deutsche und auswärtige Criminal-Rechtspflege"
(Berlin, 1833. S. 1—156). Ueber „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde"
(Berlin, 1835) schrieb er in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung" (Juli 1835,
Ur. 115—120) eine durch Geist und Scharfsinn ausgezeichnete Anzeige.

Nachdem er im Jahre 1842 wegen zunehmender Schwerhörigkeit den Ab¬
schied aus dem Staatsdienste genommen hatte, starb er am 22. August 1847
im 67. Lebensjahre in Baum gartenbrück in landschaftlich reizender Gegend an
der Havel, eine Stunde hinter Potsdam, in der von ihm selbst erbauten Villa.

Von der gelehrten Seite des seltenen und seltsamen Mannes und seiner
Thätigkeit als Schriftsteller hat ein jüngerer Gelehrter, Dr. Camillus Wen¬
deler in Steglitz bei Berlin, eine eingehende und liebevolle Schilderung als
Einleitung zur Ausgabe der Meusebachschen „Fischartstudim" entworfen (Halle,
1879). Durch späterer Einsicht der auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin
aufbewahrten Correspondenz des berühmten Sammlers wurde aber die Mög¬
lichkeit gegeben, die dort gebotenen Mittheilungen über Meusebachs Beziehungen
M gelehrten Freunden zu vervollständigen. Darauf wurden durch die Grimm-
schen Erben die Meusebachschen Komplemente der Briefe von Jacob und Wil¬
helm Grimm ausgeliefert, und kürzlich hat nun Wendeler diesen für die Bio¬
graphie der betheiligten Personen wie für die Geschichte der Anfänge unserer
germanistischen Wissenschaft überaus werthvollen Briefwechsel veröffentlicht.*)



*) Briefwechsel des Freiherrn Carl Hartwig Gregor von Mcuscbach
'"it Jacob und Wilhelm Grimm. Nebst einleitenden Bemerkungen über den Verkehr
des Sammlers mit gelehrten Freunden, Anmerkungen und einem Anhang von der Berufung
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/340>, abgerufen am 03.07.2024.