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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Unsrigen in der Nähe des französischen Generals getödtet wurde". Wir prallten
zurück, und in demsellieu Augenblicke hörten wir auch Kartätschen auf deu Dächern
rollen. Es wurde Allarm geschlagen, das auf die Dächer gerichtete Kartätschen¬
feuer minderte sich.*) Theils stehend, theils sitzend schliefen wir, ganz abge¬
mattet, ein wenig. Alles war mit Militär angefüllt. Mau suchte sich, wie es
nnr ging, Lebensmittel zu verschaffen, denn der Hunger war groß. Es ging
alles drunter und drüber. In dieser allgemeine" Verwirrung und Bestürzung
dachte, wie so mancher andere, auch ein Gothaer Fourier, mein Freund, der
die Wagen zu beaufsichtigen hatte, an Rückkehr, er stellte an mich die Frage:
"Willst du nicht auch zurück?" und fügte die Versicherung hinzu: "Die Russe"
stehe" schon draußen vor der Stadt, jetzt ist das Entkommen noch möglich." Ich
erwiederte ihm kurz: "Ohne Befehl nicht, ich will anfrage"." Ich that dies
auch, aber der Adjutant, den ich fragte, ob unsere Wagen, die meiner Obhut
anvertraut waren, auch mit fortgeschafft werden sollten, gab mir einen Stoß,
indem er sagte: ich hätte doch das Kanonenfieber. Das war deutlich genug,
ich hielt aus. Der erwähnte Adjutant aber mochte bald darauf selbst das
Kauouenfieber bekommen und sich entfernt haben, denn ich sah ihn nicht mehr.
Es riß Hunger ein, nur die Franzosen hatten noch etwas zu beißen. Von ihrer
Habe war uns ein Ochse in die Hände gekommen. Wir schlachteten ihn am
Thore in einem Hofraume, er wurde getheilt und im Freien gekocht. Ein großes
Stück davon trug ich unserem Generale zu, der eben mit einem Adjutanten in
einem Hause uoch die letzte Berathung hielt, indem er Landkarten vor sich liegen
hatte. Als ich ihm das Fleisch brachte, sagte er freundlich: "Schön, daß Sie
mir etwas davon bringen," befahl dem Koche, ihm "Klopps" davon zu machen
und sie einzupacken, und entließ mich mit den Worten: "Morgen sprechen wir
uns wieder, leben Sie wohl."

Ich ging zurück auf meinen Posten am Thore. Gegen 2 Uhr Morgens
kam eine Eseadrvn Reiterei mit wenigen Wagen. Es hieß, Marschall Ney sei
mit derselben angekommen. Da einen Augenblick angehalten wurde, bemerkte
ich, daß es nicht Ney, sondern Napoleon war. Er hatte die leicht gekleidete
italienische Nobelgarde bei sich, welche fein gearbeitete Stiefelchen von Saffian
trug. Am folgenden Tage fah ich auf unserem Rückzüge viele von diesen Leuten
auf der Straße erfroren, ohne ein Zeichen des Lebens, liegen. Auch Pferde
waren auf dein glatten Wege, von der Kälte getödtet, umgestürzt. Bald darauf
erscholl die Nachricht, Napoleon käme, es war aber Marschall Reh -- jener
war vorausgeeilt, unsere Carabiniers hatten ihn, da wieder Russen in der Nähe
waren, einen Berg hinauf begleiten müssen, auf dessen beiden Seiten sich Ge-



*) Bgl> Theuß a, a. O, S. 21.

Unsrigen in der Nähe des französischen Generals getödtet wurde«. Wir prallten
zurück, und in demsellieu Augenblicke hörten wir auch Kartätschen auf deu Dächern
rollen. Es wurde Allarm geschlagen, das auf die Dächer gerichtete Kartätschen¬
feuer minderte sich.*) Theils stehend, theils sitzend schliefen wir, ganz abge¬
mattet, ein wenig. Alles war mit Militär angefüllt. Mau suchte sich, wie es
nnr ging, Lebensmittel zu verschaffen, denn der Hunger war groß. Es ging
alles drunter und drüber. In dieser allgemeine» Verwirrung und Bestürzung
dachte, wie so mancher andere, auch ein Gothaer Fourier, mein Freund, der
die Wagen zu beaufsichtigen hatte, an Rückkehr, er stellte an mich die Frage:
„Willst du nicht auch zurück?" und fügte die Versicherung hinzu: „Die Russe»
stehe« schon draußen vor der Stadt, jetzt ist das Entkommen noch möglich." Ich
erwiederte ihm kurz: „Ohne Befehl nicht, ich will anfrage»." Ich that dies
auch, aber der Adjutant, den ich fragte, ob unsere Wagen, die meiner Obhut
anvertraut waren, auch mit fortgeschafft werden sollten, gab mir einen Stoß,
indem er sagte: ich hätte doch das Kanonenfieber. Das war deutlich genug,
ich hielt aus. Der erwähnte Adjutant aber mochte bald darauf selbst das
Kauouenfieber bekommen und sich entfernt haben, denn ich sah ihn nicht mehr.
Es riß Hunger ein, nur die Franzosen hatten noch etwas zu beißen. Von ihrer
Habe war uns ein Ochse in die Hände gekommen. Wir schlachteten ihn am
Thore in einem Hofraume, er wurde getheilt und im Freien gekocht. Ein großes
Stück davon trug ich unserem Generale zu, der eben mit einem Adjutanten in
einem Hause uoch die letzte Berathung hielt, indem er Landkarten vor sich liegen
hatte. Als ich ihm das Fleisch brachte, sagte er freundlich: „Schön, daß Sie
mir etwas davon bringen," befahl dem Koche, ihm „Klopps" davon zu machen
und sie einzupacken, und entließ mich mit den Worten: „Morgen sprechen wir
uns wieder, leben Sie wohl."

Ich ging zurück auf meinen Posten am Thore. Gegen 2 Uhr Morgens
kam eine Eseadrvn Reiterei mit wenigen Wagen. Es hieß, Marschall Ney sei
mit derselben angekommen. Da einen Augenblick angehalten wurde, bemerkte
ich, daß es nicht Ney, sondern Napoleon war. Er hatte die leicht gekleidete
italienische Nobelgarde bei sich, welche fein gearbeitete Stiefelchen von Saffian
trug. Am folgenden Tage fah ich auf unserem Rückzüge viele von diesen Leuten
auf der Straße erfroren, ohne ein Zeichen des Lebens, liegen. Auch Pferde
waren auf dein glatten Wege, von der Kälte getödtet, umgestürzt. Bald darauf
erscholl die Nachricht, Napoleon käme, es war aber Marschall Reh — jener
war vorausgeeilt, unsere Carabiniers hatten ihn, da wieder Russen in der Nähe
waren, einen Berg hinauf begleiten müssen, auf dessen beiden Seiten sich Ge-



*) Bgl> Theuß a, a. O, S. 21.
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[0323] Unsrigen in der Nähe des französischen Generals getödtet wurde«. Wir prallten zurück, und in demsellieu Augenblicke hörten wir auch Kartätschen auf deu Dächern rollen. Es wurde Allarm geschlagen, das auf die Dächer gerichtete Kartätschen¬ feuer minderte sich.*) Theils stehend, theils sitzend schliefen wir, ganz abge¬ mattet, ein wenig. Alles war mit Militär angefüllt. Mau suchte sich, wie es nnr ging, Lebensmittel zu verschaffen, denn der Hunger war groß. Es ging alles drunter und drüber. In dieser allgemeine» Verwirrung und Bestürzung dachte, wie so mancher andere, auch ein Gothaer Fourier, mein Freund, der die Wagen zu beaufsichtigen hatte, an Rückkehr, er stellte an mich die Frage: „Willst du nicht auch zurück?" und fügte die Versicherung hinzu: „Die Russe» stehe« schon draußen vor der Stadt, jetzt ist das Entkommen noch möglich." Ich erwiederte ihm kurz: „Ohne Befehl nicht, ich will anfrage»." Ich that dies auch, aber der Adjutant, den ich fragte, ob unsere Wagen, die meiner Obhut anvertraut waren, auch mit fortgeschafft werden sollten, gab mir einen Stoß, indem er sagte: ich hätte doch das Kanonenfieber. Das war deutlich genug, ich hielt aus. Der erwähnte Adjutant aber mochte bald darauf selbst das Kauouenfieber bekommen und sich entfernt haben, denn ich sah ihn nicht mehr. Es riß Hunger ein, nur die Franzosen hatten noch etwas zu beißen. Von ihrer Habe war uns ein Ochse in die Hände gekommen. Wir schlachteten ihn am Thore in einem Hofraume, er wurde getheilt und im Freien gekocht. Ein großes Stück davon trug ich unserem Generale zu, der eben mit einem Adjutanten in einem Hause uoch die letzte Berathung hielt, indem er Landkarten vor sich liegen hatte. Als ich ihm das Fleisch brachte, sagte er freundlich: „Schön, daß Sie mir etwas davon bringen," befahl dem Koche, ihm „Klopps" davon zu machen und sie einzupacken, und entließ mich mit den Worten: „Morgen sprechen wir uns wieder, leben Sie wohl." Ich ging zurück auf meinen Posten am Thore. Gegen 2 Uhr Morgens kam eine Eseadrvn Reiterei mit wenigen Wagen. Es hieß, Marschall Ney sei mit derselben angekommen. Da einen Augenblick angehalten wurde, bemerkte ich, daß es nicht Ney, sondern Napoleon war. Er hatte die leicht gekleidete italienische Nobelgarde bei sich, welche fein gearbeitete Stiefelchen von Saffian trug. Am folgenden Tage fah ich auf unserem Rückzüge viele von diesen Leuten auf der Straße erfroren, ohne ein Zeichen des Lebens, liegen. Auch Pferde waren auf dein glatten Wege, von der Kälte getödtet, umgestürzt. Bald darauf erscholl die Nachricht, Napoleon käme, es war aber Marschall Reh — jener war vorausgeeilt, unsere Carabiniers hatten ihn, da wieder Russen in der Nähe waren, einen Berg hinauf begleiten müssen, auf dessen beiden Seiten sich Ge- *) Bgl> Theuß a, a. O, S. 21.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/323>, abgerufen am 23.07.2024.