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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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herunter zu bemühen. Er kam erzürnt, und ohne mich anzuhören stieß er die
Worte aus: er habe mir seine Meinung gesagt, packte mich an der Brust und
warf mich an die Wand. Bei dieser uugrüflichen Behandlung rief ich laut, die
draußen postirten und instruirten sprangen herbei, schlugen mit den Flinten¬
kolben auf den Herrn Grafen los und entwaffneten dessen Jäger, die sich in
den Handel mischten. Da erschien, durch den Lärm aufgeschreckt, die liebens¬
würdige Gemahlin des Grafen. Erstaunt über das Geschehene, ließ sie den
übel zugerichtete" Herrn Gemahl zu Bett bringen und erfuhr von uns, wie die
Schuld an diesem unangenehmen Vorfalle nicht uns treffe, sondern er sich selbst
das Erlittene zuzuschreiben habe. Sie befahl, uns Victualien, auch Wein zu
reiche", und zeigte mir auch die Zimmer, welche den erwarteten hohen Mili¬
tärs eingeräumt werden sollten. Die Truppen rückten ein. Ich zeigte den
Chefs die für sie bestimmten Zimmer und entfernte mich. Mein General und
Gönner, von der Dame des Hauses auf sein Befragen, wo ihr Gemahl sei, an
dessen Bett geführt, fragte ihn nach der Ursache seines Uebelbefindens. Der
Graf gab ihm eine aufrichtige Erzählung des Geschehenen, so aufrichtig und
wahrheitsgetreu, daß sie dem Erzähler Ehre machte; doch obgleich er hierbei
auch den Umstand nicht verschwieg, daß er mich bei der Brust gefaßt und an
die Wand geworfen hatte, verlangte er Genugthuung. Es wurde ihm aber die
gewiß nicht angenehme Antwort zu Theil: dem Manne, der hier das Einquar¬
tierungswesen zu besorgen habe, könne man Pflichtwidrigkeit nicht zutrauen;
wenn er (der Graf) Genugthuung verlange, so solle es zu einer genauen Unter¬
suchung kommen, er aber "ach Befinden nach Warschau geschafft werden. Nach
diesem Bescheide war der Graf, der vor kurzem noch so herrisch sich benommen
und in mir wohl einen seiner Leibeigenen vor sich zu sehen geglaubt hatte, sehr
ruhig; er sprach nicht mehr von Untersuchung und Genugthuung. Was ich so¬
eben erzählt habe, theilte mir mein Vorgesetzter wohlwollend mit, ließ es jedoch
dabei nicht an der Ermahnung fehlen, daß ich mich in Acht nehmen solle, so
etwas dürfe nicht vorfallen. Es war der Herrschaft, bei welcher vielleicht noch
niemand in solcher Weise Unterkommen erlangt hatte, gewiß nicht unangenehm,
daß wir schon am folgenden Morgen wieder Abschied nahmen.

Da am Riemen entlang bis nach Kowno hin, welche Straße schon häusig
vom Militär passirt worden war, sich wenig Lebensmittel mehr zeigten und wir
^oth leiden mußten, sahen wir uns gedrungen, einen Abstecher nach einem
Walde zu machen, in dessen Nähe weniger Truppen gewesen waren, und wo
Kir noch Vorräthe zu finden hofften. Hier galt freilich das Wort: Noth kennt
kein Gebot. Da der Hunger quälte, wurde auf Mittel gegen diesen schlimmen
Teint gesonnen und jede Gelegenheit hierzu als hochwillkomner benutzt. Eine
s^ehe zeigte sich uns unter anderen auf einem Gute, das wir auf unserem


herunter zu bemühen. Er kam erzürnt, und ohne mich anzuhören stieß er die
Worte aus: er habe mir seine Meinung gesagt, packte mich an der Brust und
warf mich an die Wand. Bei dieser uugrüflichen Behandlung rief ich laut, die
draußen postirten und instruirten sprangen herbei, schlugen mit den Flinten¬
kolben auf den Herrn Grafen los und entwaffneten dessen Jäger, die sich in
den Handel mischten. Da erschien, durch den Lärm aufgeschreckt, die liebens¬
würdige Gemahlin des Grafen. Erstaunt über das Geschehene, ließ sie den
übel zugerichtete» Herrn Gemahl zu Bett bringen und erfuhr von uns, wie die
Schuld an diesem unangenehmen Vorfalle nicht uns treffe, sondern er sich selbst
das Erlittene zuzuschreiben habe. Sie befahl, uns Victualien, auch Wein zu
reiche«, und zeigte mir auch die Zimmer, welche den erwarteten hohen Mili¬
tärs eingeräumt werden sollten. Die Truppen rückten ein. Ich zeigte den
Chefs die für sie bestimmten Zimmer und entfernte mich. Mein General und
Gönner, von der Dame des Hauses auf sein Befragen, wo ihr Gemahl sei, an
dessen Bett geführt, fragte ihn nach der Ursache seines Uebelbefindens. Der
Graf gab ihm eine aufrichtige Erzählung des Geschehenen, so aufrichtig und
wahrheitsgetreu, daß sie dem Erzähler Ehre machte; doch obgleich er hierbei
auch den Umstand nicht verschwieg, daß er mich bei der Brust gefaßt und an
die Wand geworfen hatte, verlangte er Genugthuung. Es wurde ihm aber die
gewiß nicht angenehme Antwort zu Theil: dem Manne, der hier das Einquar¬
tierungswesen zu besorgen habe, könne man Pflichtwidrigkeit nicht zutrauen;
wenn er (der Graf) Genugthuung verlange, so solle es zu einer genauen Unter¬
suchung kommen, er aber «ach Befinden nach Warschau geschafft werden. Nach
diesem Bescheide war der Graf, der vor kurzem noch so herrisch sich benommen
und in mir wohl einen seiner Leibeigenen vor sich zu sehen geglaubt hatte, sehr
ruhig; er sprach nicht mehr von Untersuchung und Genugthuung. Was ich so¬
eben erzählt habe, theilte mir mein Vorgesetzter wohlwollend mit, ließ es jedoch
dabei nicht an der Ermahnung fehlen, daß ich mich in Acht nehmen solle, so
etwas dürfe nicht vorfallen. Es war der Herrschaft, bei welcher vielleicht noch
niemand in solcher Weise Unterkommen erlangt hatte, gewiß nicht unangenehm,
daß wir schon am folgenden Morgen wieder Abschied nahmen.

Da am Riemen entlang bis nach Kowno hin, welche Straße schon häusig
vom Militär passirt worden war, sich wenig Lebensmittel mehr zeigten und wir
^oth leiden mußten, sahen wir uns gedrungen, einen Abstecher nach einem
Walde zu machen, in dessen Nähe weniger Truppen gewesen waren, und wo
Kir noch Vorräthe zu finden hofften. Hier galt freilich das Wort: Noth kennt
kein Gebot. Da der Hunger quälte, wurde auf Mittel gegen diesen schlimmen
Teint gesonnen und jede Gelegenheit hierzu als hochwillkomner benutzt. Eine
s^ehe zeigte sich uns unter anderen auf einem Gute, das wir auf unserem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/320>, abgerufen am 23.07.2024.