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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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der Heimat oder auf die ihnen zustehenden, uoch im Depositum befindlichen
Stellvertretergelder. Der Sicherheit wegen ließ ich dergleichen Contracte vom
Auditeur bestätigen. Diese Gelder wurden mir nach meiner Rückkehr aus der
Gefangenschaft unverkürzt ausgezahlt und waren ein Fonds, der sich mir in
der Folge recht heilsam erwies, und den ich als die Grundlage meines jetzigen
mäßigen Besitzthums ansehe.

Ominös für das, was dnrch diesen Feldzug erreicht werden sollte, war es,
daß schon während desselben Ordnung und Zucht aus der Mitte des Militärs
verschwunden war. In Königsberg hatte die Zügellosigkeit unter unseren Leuten
einen sehr hohen Grad erreicht. Es verging keine Nacht, wo nicht zwischen
Italienern, Franzosen und Deutschen Streitigkeiten entstanden und einer oder
einige von den in sie Verwickelten erschlagen wurden. Die Heftigkeit des süd¬
lichen Blutes sah ich einst zu meinem großen Schrecken in ihrer ganzen Grä߬
lichkeit hervorbrechen. Ich war in einem Local, wo getanzt wurde. Einer von
unserem Regiments, mein Freund Mannteufel, tanzte mit einem hübschen Mäd¬
chen, mit dem vorher ein italienischer Sergeantmajor getanzt hatte. Um einige
Zeit auszuruhen, setzte sich jener neben mich, zog seine Tänzerin auf den Schoß
und koste mit ihr. Das verdroß den Italiener, wüthend kam er auf den ruhig
sitzenden los, und als dieser spöttisch lachte, stieß der bis zur Tollheit eifer¬
süchtige ihm einen Dolch in die Brust. Mannteufel sprang schnell auf, zog
seinen Säbel, rief mir gräßlich zu: "Bruder, ich muß sterben!" und spaltete
seinem Mörder den Kopf. Nach etwa fünf Minuten gaben beide den Geist ans.
Auch in einem anderen Hause, wo ebenfalls Musik war, fand ich Tumult und
lebensgefährliche Auftritte. Die vielen anwesenden Italiener fingen auch an
dieser Stelle mit Nicht-Italienern Händel an; es kam zum Hauen nud Stechen.
Von der nahen Wache eilte ein Lieutenant herbei und gebot Ruhe, man hörte
aber uicht auf ihn, und er sah sich genöthigt, energisch einzuschreiten. Es wurde
auf seinen Befehl, um den Tobenden Einhalt zu thun, durch ein Fenster unter
sie geschossen, und viele Männer und Frauen, die sich an diesem Orte zum Ver¬
gnügen eingefunden hatten, wurden verwundet. Auch im Geheimen wurden
Gräuelthaten verübt, es verging kein Morgen, an dem man nicht unter Brücken
und in Gräben Ermordete gefunden hätte. So groß war bereits die Insub¬
ordination! Zu solch einer Auflösung war es unter dem Militär bereits in
Königsberg gekommen! Es war unter diesen Umständen nicht zu verwundern,
daß sich aller Bessergesinnten eine große Mißstimmung bemächtigte.

In solcher Stimmung verließen wir die alte Königsstadt.*) Was wir
aber auf unserem Marsche fanden, war nichts weniger als geeignet, unseren



In den ersten Taqm des November 181S.
Greiizboten III. 188". 41

der Heimat oder auf die ihnen zustehenden, uoch im Depositum befindlichen
Stellvertretergelder. Der Sicherheit wegen ließ ich dergleichen Contracte vom
Auditeur bestätigen. Diese Gelder wurden mir nach meiner Rückkehr aus der
Gefangenschaft unverkürzt ausgezahlt und waren ein Fonds, der sich mir in
der Folge recht heilsam erwies, und den ich als die Grundlage meines jetzigen
mäßigen Besitzthums ansehe.

Ominös für das, was dnrch diesen Feldzug erreicht werden sollte, war es,
daß schon während desselben Ordnung und Zucht aus der Mitte des Militärs
verschwunden war. In Königsberg hatte die Zügellosigkeit unter unseren Leuten
einen sehr hohen Grad erreicht. Es verging keine Nacht, wo nicht zwischen
Italienern, Franzosen und Deutschen Streitigkeiten entstanden und einer oder
einige von den in sie Verwickelten erschlagen wurden. Die Heftigkeit des süd¬
lichen Blutes sah ich einst zu meinem großen Schrecken in ihrer ganzen Grä߬
lichkeit hervorbrechen. Ich war in einem Local, wo getanzt wurde. Einer von
unserem Regiments, mein Freund Mannteufel, tanzte mit einem hübschen Mäd¬
chen, mit dem vorher ein italienischer Sergeantmajor getanzt hatte. Um einige
Zeit auszuruhen, setzte sich jener neben mich, zog seine Tänzerin auf den Schoß
und koste mit ihr. Das verdroß den Italiener, wüthend kam er auf den ruhig
sitzenden los, und als dieser spöttisch lachte, stieß der bis zur Tollheit eifer¬
süchtige ihm einen Dolch in die Brust. Mannteufel sprang schnell auf, zog
seinen Säbel, rief mir gräßlich zu: „Bruder, ich muß sterben!" und spaltete
seinem Mörder den Kopf. Nach etwa fünf Minuten gaben beide den Geist ans.
Auch in einem anderen Hause, wo ebenfalls Musik war, fand ich Tumult und
lebensgefährliche Auftritte. Die vielen anwesenden Italiener fingen auch an
dieser Stelle mit Nicht-Italienern Händel an; es kam zum Hauen nud Stechen.
Von der nahen Wache eilte ein Lieutenant herbei und gebot Ruhe, man hörte
aber uicht auf ihn, und er sah sich genöthigt, energisch einzuschreiten. Es wurde
auf seinen Befehl, um den Tobenden Einhalt zu thun, durch ein Fenster unter
sie geschossen, und viele Männer und Frauen, die sich an diesem Orte zum Ver¬
gnügen eingefunden hatten, wurden verwundet. Auch im Geheimen wurden
Gräuelthaten verübt, es verging kein Morgen, an dem man nicht unter Brücken
und in Gräben Ermordete gefunden hätte. So groß war bereits die Insub¬
ordination! Zu solch einer Auflösung war es unter dem Militär bereits in
Königsberg gekommen! Es war unter diesen Umständen nicht zu verwundern,
daß sich aller Bessergesinnten eine große Mißstimmung bemächtigte.

In solcher Stimmung verließen wir die alte Königsstadt.*) Was wir
aber auf unserem Marsche fanden, war nichts weniger als geeignet, unseren



In den ersten Taqm des November 181S.
Greiizboten III. 188«. 41
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/318>, abgerufen am 23.07.2024.