Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

warb, faßten mich, da sie witterten, daß ich zurückbleiben wolle, scharf ins Ange,
und ließen mich, sozusagen, nicht ans dem Garne. Sie erreichten ihren Zweck,
ich mußte mit dem ansmarschirenden Militär diesen mir lieben Ort verlassen.
Die Geliebte begleitete mich beinahe bis ans Schiff, wir schieden wehmüthig
von einander, und nie sahen wir uns wieder.

Den Wechsel des Schicksals erfährt wohl niemand mehr und schneller, als
der Soldat auf dem Marsche. Auf Rügen ein Leben durch Geselligkeit, Ein¬
tracht und Liebe verschönt -- in Greifswalde, wohin wir von dort kamen und
wo wir zwei Tage verweilten, arge Streitigkeiten zwischen unserem Regimente
und den auch dort einauartirten Italienern, die dnrch ihre Nationalität und
ihren Charakter weit von uns abstanden und sich nicht zu einem friedlichen
Beisammensein mit uns eigneten. Es kam häufig zu Schlägereien auf der
Straße, bei denen Blut floß. Welch ein Widerspruch! Wir sollten für einen
Zweck kämpfen, und in unserer Mitte herrschte Entzweiung, ja tödtliche Er¬
bitterung. Die Trennung von Greifswalde that mir nicht weh. Der Gräuel,
die ich dort unter dem gegen einander wüthenden Militär sehen mußte, müde,
war ich heiter, als der Ruf: Vorwärts! mir in die Ohren tönte. Auf dem
Zuge uach Stettin und über Danzig und Elbing bis Königsberg") begegnete
mir nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Doch darf ich nicht vergessen
anzuführen, daß ich mit einem Geschäfte betraut war, welches mir zwar keine
Zeit zu Erholung übrig ließ, aber für meine Kasse eine heilsame Wirkung hatte.
Neben häufiger Schreiberei mußte ich auch die Löhnung auszahlen, daher oft
Geld umwechseln, für harte Münze nämlich Scheidemünze mir geben lassen, und
dieses Wechselgeschäft, bei welchem ich oft an einem Thaler vier Groschen
verdiente, bewirkte, daß meine Baarschaft von hundert Thalern, die ich aus der
Garnison mitgebracht hatte, ganz rechtmäßiger Weise nach und nach bis zu
zwölfhundert Thalern anwuchs. Bei der Wahrnehmung dieses meines Geld¬
vorrathes bekundete ein israelitischer Wechsler, mit welchem ich oft die soeben
erwähnten Geschäfte machte, einen gewissen prophetischen Geist, denn er that
die Aeußerung, die Franzosen würden geschlagen werden, und knüpfte daran
den Rath, ich solle ihm mein Geld anvertrauen, damit ich auf der unvermeid¬
lichen Flucht nicht darum käme. Dies that ich zwar aus Mangel an Glattben
an die Redlichkeit des Mannes nicht, aber ich wurde durch die von ihm gege¬
bene Andeutung vorsichtig gemacht, ließ mir zehn Louisd'or unter die Brand¬
sohlen meiner Fußbekleidung nähen, um im Falle der Ausplünderung doch einen
verborgenen Schatz zu behalten, und verlieh mein übriges Erspartes an Mili¬
tärs gegen schriftliche Schuldbekenntnisse und Anweisungen auf ihre Habe in



*) Anfang October 1812.

warb, faßten mich, da sie witterten, daß ich zurückbleiben wolle, scharf ins Ange,
und ließen mich, sozusagen, nicht ans dem Garne. Sie erreichten ihren Zweck,
ich mußte mit dem ansmarschirenden Militär diesen mir lieben Ort verlassen.
Die Geliebte begleitete mich beinahe bis ans Schiff, wir schieden wehmüthig
von einander, und nie sahen wir uns wieder.

Den Wechsel des Schicksals erfährt wohl niemand mehr und schneller, als
der Soldat auf dem Marsche. Auf Rügen ein Leben durch Geselligkeit, Ein¬
tracht und Liebe verschönt — in Greifswalde, wohin wir von dort kamen und
wo wir zwei Tage verweilten, arge Streitigkeiten zwischen unserem Regimente
und den auch dort einauartirten Italienern, die dnrch ihre Nationalität und
ihren Charakter weit von uns abstanden und sich nicht zu einem friedlichen
Beisammensein mit uns eigneten. Es kam häufig zu Schlägereien auf der
Straße, bei denen Blut floß. Welch ein Widerspruch! Wir sollten für einen
Zweck kämpfen, und in unserer Mitte herrschte Entzweiung, ja tödtliche Er¬
bitterung. Die Trennung von Greifswalde that mir nicht weh. Der Gräuel,
die ich dort unter dem gegen einander wüthenden Militär sehen mußte, müde,
war ich heiter, als der Ruf: Vorwärts! mir in die Ohren tönte. Auf dem
Zuge uach Stettin und über Danzig und Elbing bis Königsberg") begegnete
mir nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Doch darf ich nicht vergessen
anzuführen, daß ich mit einem Geschäfte betraut war, welches mir zwar keine
Zeit zu Erholung übrig ließ, aber für meine Kasse eine heilsame Wirkung hatte.
Neben häufiger Schreiberei mußte ich auch die Löhnung auszahlen, daher oft
Geld umwechseln, für harte Münze nämlich Scheidemünze mir geben lassen, und
dieses Wechselgeschäft, bei welchem ich oft an einem Thaler vier Groschen
verdiente, bewirkte, daß meine Baarschaft von hundert Thalern, die ich aus der
Garnison mitgebracht hatte, ganz rechtmäßiger Weise nach und nach bis zu
zwölfhundert Thalern anwuchs. Bei der Wahrnehmung dieses meines Geld¬
vorrathes bekundete ein israelitischer Wechsler, mit welchem ich oft die soeben
erwähnten Geschäfte machte, einen gewissen prophetischen Geist, denn er that
die Aeußerung, die Franzosen würden geschlagen werden, und knüpfte daran
den Rath, ich solle ihm mein Geld anvertrauen, damit ich auf der unvermeid¬
lichen Flucht nicht darum käme. Dies that ich zwar aus Mangel an Glattben
an die Redlichkeit des Mannes nicht, aber ich wurde durch die von ihm gege¬
bene Andeutung vorsichtig gemacht, ließ mir zehn Louisd'or unter die Brand¬
sohlen meiner Fußbekleidung nähen, um im Falle der Ausplünderung doch einen
verborgenen Schatz zu behalten, und verlieh mein übriges Erspartes an Mili¬
tärs gegen schriftliche Schuldbekenntnisse und Anweisungen auf ihre Habe in



*) Anfang October 1812.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0317" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147411"/>
            <p xml:id="ID_838" prev="#ID_837"> warb, faßten mich, da sie witterten, daß ich zurückbleiben wolle, scharf ins Ange,<lb/>
und ließen mich, sozusagen, nicht ans dem Garne. Sie erreichten ihren Zweck,<lb/>
ich mußte mit dem ansmarschirenden Militär diesen mir lieben Ort verlassen.<lb/>
Die Geliebte begleitete mich beinahe bis ans Schiff, wir schieden wehmüthig<lb/>
von einander, und nie sahen wir uns wieder.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_839" next="#ID_840"> Den Wechsel des Schicksals erfährt wohl niemand mehr und schneller, als<lb/>
der Soldat auf dem Marsche. Auf Rügen ein Leben durch Geselligkeit, Ein¬<lb/>
tracht und Liebe verschönt &#x2014; in Greifswalde, wohin wir von dort kamen und<lb/>
wo wir zwei Tage verweilten, arge Streitigkeiten zwischen unserem Regimente<lb/>
und den auch dort einauartirten Italienern, die dnrch ihre Nationalität und<lb/>
ihren Charakter weit von uns abstanden und sich nicht zu einem friedlichen<lb/>
Beisammensein mit uns eigneten. Es kam häufig zu Schlägereien auf der<lb/>
Straße, bei denen Blut floß. Welch ein Widerspruch! Wir sollten für einen<lb/>
Zweck kämpfen, und in unserer Mitte herrschte Entzweiung, ja tödtliche Er¬<lb/>
bitterung. Die Trennung von Greifswalde that mir nicht weh. Der Gräuel,<lb/>
die ich dort unter dem gegen einander wüthenden Militär sehen mußte, müde,<lb/>
war ich heiter, als der Ruf: Vorwärts! mir in die Ohren tönte. Auf dem<lb/>
Zuge uach Stettin und über Danzig und Elbing bis Königsberg") begegnete<lb/>
mir nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Doch darf ich nicht vergessen<lb/>
anzuführen, daß ich mit einem Geschäfte betraut war, welches mir zwar keine<lb/>
Zeit zu Erholung übrig ließ, aber für meine Kasse eine heilsame Wirkung hatte.<lb/>
Neben häufiger Schreiberei mußte ich auch die Löhnung auszahlen, daher oft<lb/>
Geld umwechseln, für harte Münze nämlich Scheidemünze mir geben lassen, und<lb/>
dieses Wechselgeschäft, bei welchem ich oft an einem Thaler vier Groschen<lb/>
verdiente, bewirkte, daß meine Baarschaft von hundert Thalern, die ich aus der<lb/>
Garnison mitgebracht hatte, ganz rechtmäßiger Weise nach und nach bis zu<lb/>
zwölfhundert Thalern anwuchs. Bei der Wahrnehmung dieses meines Geld¬<lb/>
vorrathes bekundete ein israelitischer Wechsler, mit welchem ich oft die soeben<lb/>
erwähnten Geschäfte machte, einen gewissen prophetischen Geist, denn er that<lb/>
die Aeußerung, die Franzosen würden geschlagen werden, und knüpfte daran<lb/>
den Rath, ich solle ihm mein Geld anvertrauen, damit ich auf der unvermeid¬<lb/>
lichen Flucht nicht darum käme. Dies that ich zwar aus Mangel an Glattben<lb/>
an die Redlichkeit des Mannes nicht, aber ich wurde durch die von ihm gege¬<lb/>
bene Andeutung vorsichtig gemacht, ließ mir zehn Louisd'or unter die Brand¬<lb/>
sohlen meiner Fußbekleidung nähen, um im Falle der Ausplünderung doch einen<lb/>
verborgenen Schatz zu behalten, und verlieh mein übriges Erspartes an Mili¬<lb/>
tärs gegen schriftliche Schuldbekenntnisse und Anweisungen auf ihre Habe in</p><lb/>
            <note xml:id="FID_71" place="foot"> *) Anfang October 1812.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0317] warb, faßten mich, da sie witterten, daß ich zurückbleiben wolle, scharf ins Ange, und ließen mich, sozusagen, nicht ans dem Garne. Sie erreichten ihren Zweck, ich mußte mit dem ansmarschirenden Militär diesen mir lieben Ort verlassen. Die Geliebte begleitete mich beinahe bis ans Schiff, wir schieden wehmüthig von einander, und nie sahen wir uns wieder. Den Wechsel des Schicksals erfährt wohl niemand mehr und schneller, als der Soldat auf dem Marsche. Auf Rügen ein Leben durch Geselligkeit, Ein¬ tracht und Liebe verschönt — in Greifswalde, wohin wir von dort kamen und wo wir zwei Tage verweilten, arge Streitigkeiten zwischen unserem Regimente und den auch dort einauartirten Italienern, die dnrch ihre Nationalität und ihren Charakter weit von uns abstanden und sich nicht zu einem friedlichen Beisammensein mit uns eigneten. Es kam häufig zu Schlägereien auf der Straße, bei denen Blut floß. Welch ein Widerspruch! Wir sollten für einen Zweck kämpfen, und in unserer Mitte herrschte Entzweiung, ja tödtliche Er¬ bitterung. Die Trennung von Greifswalde that mir nicht weh. Der Gräuel, die ich dort unter dem gegen einander wüthenden Militär sehen mußte, müde, war ich heiter, als der Ruf: Vorwärts! mir in die Ohren tönte. Auf dem Zuge uach Stettin und über Danzig und Elbing bis Königsberg") begegnete mir nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Doch darf ich nicht vergessen anzuführen, daß ich mit einem Geschäfte betraut war, welches mir zwar keine Zeit zu Erholung übrig ließ, aber für meine Kasse eine heilsame Wirkung hatte. Neben häufiger Schreiberei mußte ich auch die Löhnung auszahlen, daher oft Geld umwechseln, für harte Münze nämlich Scheidemünze mir geben lassen, und dieses Wechselgeschäft, bei welchem ich oft an einem Thaler vier Groschen verdiente, bewirkte, daß meine Baarschaft von hundert Thalern, die ich aus der Garnison mitgebracht hatte, ganz rechtmäßiger Weise nach und nach bis zu zwölfhundert Thalern anwuchs. Bei der Wahrnehmung dieses meines Geld¬ vorrathes bekundete ein israelitischer Wechsler, mit welchem ich oft die soeben erwähnten Geschäfte machte, einen gewissen prophetischen Geist, denn er that die Aeußerung, die Franzosen würden geschlagen werden, und knüpfte daran den Rath, ich solle ihm mein Geld anvertrauen, damit ich auf der unvermeid¬ lichen Flucht nicht darum käme. Dies that ich zwar aus Mangel an Glattben an die Redlichkeit des Mannes nicht, aber ich wurde durch die von ihm gege¬ bene Andeutung vorsichtig gemacht, ließ mir zehn Louisd'or unter die Brand¬ sohlen meiner Fußbekleidung nähen, um im Falle der Ausplünderung doch einen verborgenen Schatz zu behalten, und verlieh mein übriges Erspartes an Mili¬ tärs gegen schriftliche Schuldbekenntnisse und Anweisungen auf ihre Habe in *) Anfang October 1812.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/317
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/317>, abgerufen am 23.07.2024.