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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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dem Kreideberge, sowie an einen in der Nähe derselben liegenden, weit über die
See emporragenden Felsen, von wo aus man die dänische Küste sehen kann.
Aber nicht allein diese Erinnerung erneuere ich so gern, sondern auch die an
einige Männer, mit denen ich dort bekannt wurde. Uuter diesen nenne ich den
edeln General Unding, der in Bergen stationirt war, und den trefflichen Greifs-
walder Professor Kosegarten, der sich im Sommer auf Rügen, wo er früher
in Altenkircheu Prediger gewesen war, seiner Gesundheit wegen aufzuhalten
Pflegte. Dieser ehrwürdige Dichter unterhielt sich -- wohl weil es ihm an
besserer, seinem Geiste mehr zusagender Gesellschaft fehlte -- öfter mit uns, und
auf Spaziergängen mit ihm, zu welchen ich oft veranlaßt wurde, genoß ich gar
manche nugenehme und lehrreiche Stunde. Unding, ein Gothaner, gleichfalls
ein Mann von trefflichem Charakter, liebevoll, freundlich und weit entfernt von
der so gewöhnlichen hochsoldatischen, zurückschreckenden Generalmanicr, den ich,
wenn ich zu ihm kam, um Bons von ihm unterschreiben zu lassen, im Bade
traf, theilte mir von da aus seine Fata mit, indem er erzählte: in Gotha, seiner
Heimat, habe er als niederer Militär trotz aller Anstrengungen und allem
Diensteifer nicht vorwärts kommen können, darum sei er in holländischen Dienst
getreten, dort zum Major aufgerückt und mit nach Batavia gegangen, von da
sei er als Major nach Europa zurückgekommen, als solchen habe ihn Napoleon
gefunden, und unter diesem, von dem er mit der größten Begeisterung sprach,
sei er zum Generallientencint avcmcirt. Seine Soldaten feuerte er in herzerhe¬
bender Weise gar oft durch die Rede an, daß es ein Mann von Verdienst bis
zum Marschall bringen könne, und auch zu mir sagte er gewöhnlich: "Nur
brav! nnr Kourage! uur unverzagt!" Wie ein Freund nahm er von mir, der
ich den Verdiensten, den Erfahrungen, den Kenntnissen, dem Range nach so tief
unter ihm stand, Abschied und flößte nur durch dieses humane, leutselige Be¬
nehmen als ein wahrhaft großer Mann eine Verehrung gegen sich ein, die noch
ungeschwächt in meiner Seele lebt.

Während meines einmonatlichen Aufenthaltes in dem Städtchen Garz ans
Rügen, in einem angenehmen Quartier bei recht artigen Wirthsleuten, wohl¬
habenden, von Oeconomie und Pferdehandel lebenden Eltern einer einzigen,
liebenswürdigen Tochter, knüpfte ich mit dieser ein so vertrauliches Verhältniß
an, daß zwischen uns ernstlich von Heirath die Rede war. Die Eltern, welche
um unser EinVerständniß wußten, waren uns nicht entgegen, und Mutter und
Tochter suchten mich zu bereden, daß ich beim Abmärsche des Militärs mich
verborgen halten und bei ihnen bleiben niöge. Ich kann es nicht leugnen, daß
ich auf den Vorschlag einging, der Aufenthalt bei diesen lieben Menschen war
M reizend für mich. Allein der Verräther schlief auch hier nicht. Ein Offizier
und ein Feldwebel, der sich um die Gunst meiner Verlobten ohne Erfolg be-


dem Kreideberge, sowie an einen in der Nähe derselben liegenden, weit über die
See emporragenden Felsen, von wo aus man die dänische Küste sehen kann.
Aber nicht allein diese Erinnerung erneuere ich so gern, sondern auch die an
einige Männer, mit denen ich dort bekannt wurde. Uuter diesen nenne ich den
edeln General Unding, der in Bergen stationirt war, und den trefflichen Greifs-
walder Professor Kosegarten, der sich im Sommer auf Rügen, wo er früher
in Altenkircheu Prediger gewesen war, seiner Gesundheit wegen aufzuhalten
Pflegte. Dieser ehrwürdige Dichter unterhielt sich — wohl weil es ihm an
besserer, seinem Geiste mehr zusagender Gesellschaft fehlte — öfter mit uns, und
auf Spaziergängen mit ihm, zu welchen ich oft veranlaßt wurde, genoß ich gar
manche nugenehme und lehrreiche Stunde. Unding, ein Gothaner, gleichfalls
ein Mann von trefflichem Charakter, liebevoll, freundlich und weit entfernt von
der so gewöhnlichen hochsoldatischen, zurückschreckenden Generalmanicr, den ich,
wenn ich zu ihm kam, um Bons von ihm unterschreiben zu lassen, im Bade
traf, theilte mir von da aus seine Fata mit, indem er erzählte: in Gotha, seiner
Heimat, habe er als niederer Militär trotz aller Anstrengungen und allem
Diensteifer nicht vorwärts kommen können, darum sei er in holländischen Dienst
getreten, dort zum Major aufgerückt und mit nach Batavia gegangen, von da
sei er als Major nach Europa zurückgekommen, als solchen habe ihn Napoleon
gefunden, und unter diesem, von dem er mit der größten Begeisterung sprach,
sei er zum Generallientencint avcmcirt. Seine Soldaten feuerte er in herzerhe¬
bender Weise gar oft durch die Rede an, daß es ein Mann von Verdienst bis
zum Marschall bringen könne, und auch zu mir sagte er gewöhnlich: „Nur
brav! nnr Kourage! uur unverzagt!" Wie ein Freund nahm er von mir, der
ich den Verdiensten, den Erfahrungen, den Kenntnissen, dem Range nach so tief
unter ihm stand, Abschied und flößte nur durch dieses humane, leutselige Be¬
nehmen als ein wahrhaft großer Mann eine Verehrung gegen sich ein, die noch
ungeschwächt in meiner Seele lebt.

Während meines einmonatlichen Aufenthaltes in dem Städtchen Garz ans
Rügen, in einem angenehmen Quartier bei recht artigen Wirthsleuten, wohl¬
habenden, von Oeconomie und Pferdehandel lebenden Eltern einer einzigen,
liebenswürdigen Tochter, knüpfte ich mit dieser ein so vertrauliches Verhältniß
an, daß zwischen uns ernstlich von Heirath die Rede war. Die Eltern, welche
um unser EinVerständniß wußten, waren uns nicht entgegen, und Mutter und
Tochter suchten mich zu bereden, daß ich beim Abmärsche des Militärs mich
verborgen halten und bei ihnen bleiben niöge. Ich kann es nicht leugnen, daß
ich auf den Vorschlag einging, der Aufenthalt bei diesen lieben Menschen war
M reizend für mich. Allein der Verräther schlief auch hier nicht. Ein Offizier
und ein Feldwebel, der sich um die Gunst meiner Verlobten ohne Erfolg be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/316>, abgerufen am 23.07.2024.