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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Eintritt in das Zollgebiet für höchst gefährdet halten, im Gegentheil durch
diesen Eintritt und den Unterscheidungszoll neues Leben und rasches Wachsthum
gewinnt, was auch ganz natürlich ist, da der Zwischenhandel mit dem Eigen¬
handel oder Nationalhandel steigt und fällt."

England ist radikaler als irgend ein anderes Land gegen die indirecte
Einfuhr außereuropäischer Producte vorgegangen. Es begnügte sich nicht mit
einem Unterscheidnngszolle gegen dieselbe. In England war die Einfuhr solcher
Producte aus europäischen Plätzen fast zweihundert Jahre lang durch die Na¬
vigationsacte von 1660 bei Strafe der Confiscation von Schiff und Ladung
verboten. Dieses Gesetz richtete sich, als es erlassen wurde, besonders gegen
die Concurrenz der Hanseaten und der Niederländer, und ohne dasselbe hätte
Englands Handel sicherlich nicht so kolossal gestärkt und vermehrt worden sein
können, wie dies in der That der Fall war; denn anerkanntermaßen ist das
kaufmännische Element in Deutschland und den Niederlanden tüchtiger und
leistungsfähiger als in England. Es bedürfte daher so radical protectionisti-
scher Gesetze und einer so langen Dauer derselben, um den Handel Englands
vor Concurrenz zu schützen, und erst 1850, als die dadurch gebotenen Wege
altgewohnte geworden und der directe überseeische Handel zu überwältigender
Macht angewachsen war, so daß es keiner Nestrictionen mehr bedürfte, procla-
mirte man die Handelsfreiheit. "Erst als das crasseste Schutzzollsystem Eng¬
land groß gemacht hatte, ging es, nicht etwa der Theorie zu Liebe, sondern
weil es nunmehr vom Freihandel größere Vortheile erwarten durfte, zum Frei¬
handelssystem über und hob 1850 durch die neue Navigationsacte die vorer¬
wähnten Verbote auf. Erst jetzt konnten seine Freihandelsapostel auf England
als leuchtendes Vorbild hinweisen und anderen Völkern die den Engländern
nnn wünschenswerte Nachfolge predigen." Uebrigens führte England 1850 die
Freihandelstheorie keineswegs in allen ihren Conseauenzen ein. Noch jetzt ge¬
währt es, obwohl durch seine Lage, seine älteren Verbindungen, seinen großen
Kolonialbesitz und die Macht seines ungeheueren Capitals begünstigt, dem Welt¬
handel, um ihn an sich zu fesseln, eine sehr wesentliche Unterstützung in Gestalt
von Subventionen an die Dampferlinien, die es mit allen überseeischen Plätzen
verbinden und außerordentlich viel zur Förderung des Handels mit denselben,
zur Belebung der directen Einfuhr überseeischer Producte und zur Versorgung
der Productionsländer mit englischen Erzeugnissen beitragen. "Während es noch
bis vor kurzem reichlich 30 Millionen Mark jährlich zu solche" Subventionen
verwandte, predigen seine Freetrade-Apostel, daß es allein richtig ist, wenn solche
Dampferlinien aus eigener Kraft im natürlichen Laufe der Dinge entstehen, und
die deutschen Freihändler beten ihnen das nach. England braucht den Schutz
nicht mehr, hat ihn aber klugerweise nicht verschmäht, als >s seiner bedürfte."


Eintritt in das Zollgebiet für höchst gefährdet halten, im Gegentheil durch
diesen Eintritt und den Unterscheidungszoll neues Leben und rasches Wachsthum
gewinnt, was auch ganz natürlich ist, da der Zwischenhandel mit dem Eigen¬
handel oder Nationalhandel steigt und fällt."

England ist radikaler als irgend ein anderes Land gegen die indirecte
Einfuhr außereuropäischer Producte vorgegangen. Es begnügte sich nicht mit
einem Unterscheidnngszolle gegen dieselbe. In England war die Einfuhr solcher
Producte aus europäischen Plätzen fast zweihundert Jahre lang durch die Na¬
vigationsacte von 1660 bei Strafe der Confiscation von Schiff und Ladung
verboten. Dieses Gesetz richtete sich, als es erlassen wurde, besonders gegen
die Concurrenz der Hanseaten und der Niederländer, und ohne dasselbe hätte
Englands Handel sicherlich nicht so kolossal gestärkt und vermehrt worden sein
können, wie dies in der That der Fall war; denn anerkanntermaßen ist das
kaufmännische Element in Deutschland und den Niederlanden tüchtiger und
leistungsfähiger als in England. Es bedürfte daher so radical protectionisti-
scher Gesetze und einer so langen Dauer derselben, um den Handel Englands
vor Concurrenz zu schützen, und erst 1850, als die dadurch gebotenen Wege
altgewohnte geworden und der directe überseeische Handel zu überwältigender
Macht angewachsen war, so daß es keiner Nestrictionen mehr bedürfte, procla-
mirte man die Handelsfreiheit. „Erst als das crasseste Schutzzollsystem Eng¬
land groß gemacht hatte, ging es, nicht etwa der Theorie zu Liebe, sondern
weil es nunmehr vom Freihandel größere Vortheile erwarten durfte, zum Frei¬
handelssystem über und hob 1850 durch die neue Navigationsacte die vorer¬
wähnten Verbote auf. Erst jetzt konnten seine Freihandelsapostel auf England
als leuchtendes Vorbild hinweisen und anderen Völkern die den Engländern
nnn wünschenswerte Nachfolge predigen." Uebrigens führte England 1850 die
Freihandelstheorie keineswegs in allen ihren Conseauenzen ein. Noch jetzt ge¬
währt es, obwohl durch seine Lage, seine älteren Verbindungen, seinen großen
Kolonialbesitz und die Macht seines ungeheueren Capitals begünstigt, dem Welt¬
handel, um ihn an sich zu fesseln, eine sehr wesentliche Unterstützung in Gestalt
von Subventionen an die Dampferlinien, die es mit allen überseeischen Plätzen
verbinden und außerordentlich viel zur Förderung des Handels mit denselben,
zur Belebung der directen Einfuhr überseeischer Producte und zur Versorgung
der Productionsländer mit englischen Erzeugnissen beitragen. „Während es noch
bis vor kurzem reichlich 30 Millionen Mark jährlich zu solche» Subventionen
verwandte, predigen seine Freetrade-Apostel, daß es allein richtig ist, wenn solche
Dampferlinien aus eigener Kraft im natürlichen Laufe der Dinge entstehen, und
die deutschen Freihändler beten ihnen das nach. England braucht den Schutz
nicht mehr, hat ihn aber klugerweise nicht verschmäht, als >s seiner bedürfte."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/309>, abgerufen am 25.08.2024.