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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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recht eigentlich aus der tiefsten Brust des Dichters geflossen? Was er vor
Jahren in der "Penthesilea" versucht, das wollte er im "Prinzen von Homburg" mit
reinerer Fassung, mit Heiterkeit vollenden. Dort hatte er sein Schicksal tragisch
gefaßt, die fürchterliche Erschütterung seines Sturzes noch wie die Nachwirkung
eines Erdbebens krankhaft empfunden; nun sah er die Dinge um sich her, die
der Eroberer Napoleon zu zerstören drohte, mit liebevolleren Augen an und be¬
griff fo vorahnend die Große und die Herrlichkeit des Kriegerstaates, den er als
junger Romantiker mit heißem Widerwillen geflohen hatte, und er bewies ihm
seine Ehrfurcht, indem er ihn so wahr und schon idealisirte, wie nur je ein
Dichter die staatengrnndende Kraft seines Volkes verherrlicht hat.

Außer der Todesfurchtscene sind dem Stücke noch eine Reihe anderer Ver¬
stoße vorgeworfen worden, besonders die Schlußscene, in welcher der Kurfürst
unnöthig grausam erscheint. In der That ist das Stück bereits vor dieser Scene
zu Ende; es scheint, als ob der Dichter es nicht habe über sich gewinnen können,
ein ihm lieb gewordenes Bild durch das Urtheil seines Kunstverstandes zu unter¬
drücken. Doch ist dies nicht über alle Maßen störend, besonders wenn der
Darsteller des Kurfürsten in der vorletzten Scene mildert, wie dies bei den
Meinungen: geschieht, da beim Zuschauer durch das Stück selbst bis dahin doch
die Ueberzeugung von der Begnadigung genährt worden ist, und nur die Form
derselben noch Spannung hervorruft. Auch hierbei sollte an die Kunst des
schonen Scheines nicht allzu ängstlich der Maßstab der Wirklichkeit gelegt werden.
Es ist ferner getadelt worden, daß die wirkliche Herzensmeinung des Kurfürsten zu
wenig zu Tage komme, daß man darüber im Unklaren bleibe, ob es ihm mit
dem Todesurtheil überhaupt Ernst gewesen sei. Diese Unbestimmtheit existirt
allerdings, aber gerade darin scheint bei einer so heiklen Frage das höchste Lob
für den Dichter zu liegen, denn so drängt sich dem Zuschauer durch den Fort¬
gang des Stückes die Ueberzeugung auf, der Kurfürst habe durch seine Strenge
nichts weiter erreichen wollen, als was er im Geiste voraus sah, die freiwillige
Unterwerfung des Schuldigen unter das Gesetz, dasselbe Gesetz, unter welchem
auch der Kurfürst sich selber denkt, und es wird damit überflüssig, die leidige
Frage zu erörtern, ob er, falls seine Voraussetzung nicht eingetroffen wäre, die
ganze Strenge des Kriegsgesetzes unweigerlich hätte walten lassen. In dem Momente,
wo er aus dem Munde Nataliens hört, daß der Prinz, den er noch trotzig und
vermessen glaubt, sich reuig unterworfen habe, da zeigt er seine wahre Endabsicht
und sagt: "Nun denn, so fasse Muth, mein Kind, so ist er frei."

Auch sonst hat man nach Gründen gesucht, um die geringe Wirkung, welche
das Stück in der Regel auf das Publikum ausübt, zu erklären. Man hat es
ein Soldatensiück genannt, und Soldaten gelten auf der Bühne, wenn sie die¬
selbe so ausschließlich wie hier beherrschen, im allgemeinen als ein etwas sprödes


recht eigentlich aus der tiefsten Brust des Dichters geflossen? Was er vor
Jahren in der „Penthesilea" versucht, das wollte er im „Prinzen von Homburg" mit
reinerer Fassung, mit Heiterkeit vollenden. Dort hatte er sein Schicksal tragisch
gefaßt, die fürchterliche Erschütterung seines Sturzes noch wie die Nachwirkung
eines Erdbebens krankhaft empfunden; nun sah er die Dinge um sich her, die
der Eroberer Napoleon zu zerstören drohte, mit liebevolleren Augen an und be¬
griff fo vorahnend die Große und die Herrlichkeit des Kriegerstaates, den er als
junger Romantiker mit heißem Widerwillen geflohen hatte, und er bewies ihm
seine Ehrfurcht, indem er ihn so wahr und schon idealisirte, wie nur je ein
Dichter die staatengrnndende Kraft seines Volkes verherrlicht hat.

Außer der Todesfurchtscene sind dem Stücke noch eine Reihe anderer Ver¬
stoße vorgeworfen worden, besonders die Schlußscene, in welcher der Kurfürst
unnöthig grausam erscheint. In der That ist das Stück bereits vor dieser Scene
zu Ende; es scheint, als ob der Dichter es nicht habe über sich gewinnen können,
ein ihm lieb gewordenes Bild durch das Urtheil seines Kunstverstandes zu unter¬
drücken. Doch ist dies nicht über alle Maßen störend, besonders wenn der
Darsteller des Kurfürsten in der vorletzten Scene mildert, wie dies bei den
Meinungen: geschieht, da beim Zuschauer durch das Stück selbst bis dahin doch
die Ueberzeugung von der Begnadigung genährt worden ist, und nur die Form
derselben noch Spannung hervorruft. Auch hierbei sollte an die Kunst des
schonen Scheines nicht allzu ängstlich der Maßstab der Wirklichkeit gelegt werden.
Es ist ferner getadelt worden, daß die wirkliche Herzensmeinung des Kurfürsten zu
wenig zu Tage komme, daß man darüber im Unklaren bleibe, ob es ihm mit
dem Todesurtheil überhaupt Ernst gewesen sei. Diese Unbestimmtheit existirt
allerdings, aber gerade darin scheint bei einer so heiklen Frage das höchste Lob
für den Dichter zu liegen, denn so drängt sich dem Zuschauer durch den Fort¬
gang des Stückes die Ueberzeugung auf, der Kurfürst habe durch seine Strenge
nichts weiter erreichen wollen, als was er im Geiste voraus sah, die freiwillige
Unterwerfung des Schuldigen unter das Gesetz, dasselbe Gesetz, unter welchem
auch der Kurfürst sich selber denkt, und es wird damit überflüssig, die leidige
Frage zu erörtern, ob er, falls seine Voraussetzung nicht eingetroffen wäre, die
ganze Strenge des Kriegsgesetzes unweigerlich hätte walten lassen. In dem Momente,
wo er aus dem Munde Nataliens hört, daß der Prinz, den er noch trotzig und
vermessen glaubt, sich reuig unterworfen habe, da zeigt er seine wahre Endabsicht
und sagt: „Nun denn, so fasse Muth, mein Kind, so ist er frei."

Auch sonst hat man nach Gründen gesucht, um die geringe Wirkung, welche
das Stück in der Regel auf das Publikum ausübt, zu erklären. Man hat es
ein Soldatensiück genannt, und Soldaten gelten auf der Bühne, wenn sie die¬
selbe so ausschließlich wie hier beherrschen, im allgemeinen als ein etwas sprödes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/293>, abgerufen am 23.07.2024.