Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

im Charakter, auch hier bildet sich dieser vor unsern Augen, in den Situationen
und durch sie, aber die Wechselwirkung, die Gleichung zwischen beiden Seiten
(Fall und Erhebung) die zu den höchsten dramatischen Aufgaben gehört, ist voll¬
kommen erreicht. Es schwebt über dem ganzen Sein und Werden des Menschen
der ruhige, großartige dramatische Blick. Der Prinz, dessen Heidenthum uns
zuerst nur als eine Träumerei erscheint, wiewohl als eine hoffnungs- und ahn¬
dungsvolle, wird durch die Begebenheiten niedergeworfen und erhoben, er wird
erst durch das Leben, was er ist: ein Mensch in jeder Bedeutung. Ein herr¬
licher ächt dramatischer Gedanke, und höchst befriedigend ausgeführt. Am meisten
ist die Heiterkeit zu bewundern, die in dem ganzen Stücke vorherrscht. Sie
rührt besonders daher, daß alles in seinem wirklichen, gegenwärtigen Leben
aufgefaßt, nichts idealisirt oder mit leeren Redensarten aufstolzirt ist. Daher
auch das liebe heimatliche Gefühl, das uns hindurch begleitet." Welche Wirkung
müßten auf ein einigermaßen fühlendes Publikum Stellen machen, wie die:


Seltsam! -- Wenn ich der Dey von Tunis wäre)
Schlug' ich bei so zweideut'gen Vorfall Lärm;
Die seidne Schnur legt' ich auf meine" Tisch,
Und vor das Thor, verrannt mit Pallisaden,
Führt' ich Kanonen und Haubitzen auf.
Doch weils Hans Kvttwitz ans der Priegnitz ist,
Der sich mir naht, willkürlich, eigenmächtig,
So will ich mich auf mart'sche Weise fassen:
Von den drei Locken, die man silberglänzig
Auf seinem Schädel sieht, sass' ich die eine.
Und führ' ihn still mit seinen zwölf Schwadronen
Nach Arnstein in sein Hauptquartier zurück.
Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe wecken?

"Das ist etwas anderes, als die hohle Großsprecherei und alberne Treuherzig¬
keit, die uns sonst für Patriotismus verkauft wird." Auch Tieck, der 15 Jahre
nach dem Tode des Dichters, als Freund und Bewunderer desselben, seine
Werke herausgab, erkannte Kleists bahnbrechenden Genius und sah im "Prinzen-
von Homburg" eine Zierde der dramatischen Literatur. "Der Charakter des
Kurfürsten," sagt er, "ist ein Meisterwerk und bekundet schon sür sich allein
den gereiften Dichter. Nur wenigen ist es gelungen, so überzeugend Majestät
hinzustellen, in der sich Ernst, Kraft und Milde vereinigt, in jedem Momente
groß und edel, und immer menschlich, ohne je in die leeren Reden und Bilder
zu verfallen, mit denen schwächere Dichter so oft die Charaktere ihrer Fürsten
ausmalen wollen. Für dieses treffliche Portrait allein muß das Vaterland dem
Dichter dankbar sein. In diesem großen Sinne ist aber das Werk selbst durch¬
aus ein ächt vaterländisches Gedicht, nicht bloß ein deutsches, so sehr es auch
allen Deutschen angehört, sondern vorzüglich noch ein brandenburgisches, ohne


im Charakter, auch hier bildet sich dieser vor unsern Augen, in den Situationen
und durch sie, aber die Wechselwirkung, die Gleichung zwischen beiden Seiten
(Fall und Erhebung) die zu den höchsten dramatischen Aufgaben gehört, ist voll¬
kommen erreicht. Es schwebt über dem ganzen Sein und Werden des Menschen
der ruhige, großartige dramatische Blick. Der Prinz, dessen Heidenthum uns
zuerst nur als eine Träumerei erscheint, wiewohl als eine hoffnungs- und ahn¬
dungsvolle, wird durch die Begebenheiten niedergeworfen und erhoben, er wird
erst durch das Leben, was er ist: ein Mensch in jeder Bedeutung. Ein herr¬
licher ächt dramatischer Gedanke, und höchst befriedigend ausgeführt. Am meisten
ist die Heiterkeit zu bewundern, die in dem ganzen Stücke vorherrscht. Sie
rührt besonders daher, daß alles in seinem wirklichen, gegenwärtigen Leben
aufgefaßt, nichts idealisirt oder mit leeren Redensarten aufstolzirt ist. Daher
auch das liebe heimatliche Gefühl, das uns hindurch begleitet." Welche Wirkung
müßten auf ein einigermaßen fühlendes Publikum Stellen machen, wie die:


Seltsam! — Wenn ich der Dey von Tunis wäre)
Schlug' ich bei so zweideut'gen Vorfall Lärm;
Die seidne Schnur legt' ich auf meine» Tisch,
Und vor das Thor, verrannt mit Pallisaden,
Führt' ich Kanonen und Haubitzen auf.
Doch weils Hans Kvttwitz ans der Priegnitz ist,
Der sich mir naht, willkürlich, eigenmächtig,
So will ich mich auf mart'sche Weise fassen:
Von den drei Locken, die man silberglänzig
Auf seinem Schädel sieht, sass' ich die eine.
Und führ' ihn still mit seinen zwölf Schwadronen
Nach Arnstein in sein Hauptquartier zurück.
Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe wecken?

„Das ist etwas anderes, als die hohle Großsprecherei und alberne Treuherzig¬
keit, die uns sonst für Patriotismus verkauft wird." Auch Tieck, der 15 Jahre
nach dem Tode des Dichters, als Freund und Bewunderer desselben, seine
Werke herausgab, erkannte Kleists bahnbrechenden Genius und sah im „Prinzen-
von Homburg" eine Zierde der dramatischen Literatur. „Der Charakter des
Kurfürsten," sagt er, „ist ein Meisterwerk und bekundet schon sür sich allein
den gereiften Dichter. Nur wenigen ist es gelungen, so überzeugend Majestät
hinzustellen, in der sich Ernst, Kraft und Milde vereinigt, in jedem Momente
groß und edel, und immer menschlich, ohne je in die leeren Reden und Bilder
zu verfallen, mit denen schwächere Dichter so oft die Charaktere ihrer Fürsten
ausmalen wollen. Für dieses treffliche Portrait allein muß das Vaterland dem
Dichter dankbar sein. In diesem großen Sinne ist aber das Werk selbst durch¬
aus ein ächt vaterländisches Gedicht, nicht bloß ein deutsches, so sehr es auch
allen Deutschen angehört, sondern vorzüglich noch ein brandenburgisches, ohne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147379"/>
          <p xml:id="ID_752" prev="#ID_751" next="#ID_753"> im Charakter, auch hier bildet sich dieser vor unsern Augen, in den Situationen<lb/>
und durch sie, aber die Wechselwirkung, die Gleichung zwischen beiden Seiten<lb/>
(Fall und Erhebung) die zu den höchsten dramatischen Aufgaben gehört, ist voll¬<lb/>
kommen erreicht. Es schwebt über dem ganzen Sein und Werden des Menschen<lb/>
der ruhige, großartige dramatische Blick. Der Prinz, dessen Heidenthum uns<lb/>
zuerst nur als eine Träumerei erscheint, wiewohl als eine hoffnungs- und ahn¬<lb/>
dungsvolle, wird durch die Begebenheiten niedergeworfen und erhoben, er wird<lb/>
erst durch das Leben, was er ist: ein Mensch in jeder Bedeutung. Ein herr¬<lb/>
licher ächt dramatischer Gedanke, und höchst befriedigend ausgeführt. Am meisten<lb/>
ist die Heiterkeit zu bewundern, die in dem ganzen Stücke vorherrscht. Sie<lb/>
rührt besonders daher, daß alles in seinem wirklichen, gegenwärtigen Leben<lb/>
aufgefaßt, nichts idealisirt oder mit leeren Redensarten aufstolzirt ist. Daher<lb/>
auch das liebe heimatliche Gefühl, das uns hindurch begleitet." Welche Wirkung<lb/>
müßten auf ein einigermaßen fühlendes Publikum Stellen machen, wie die:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_7" type="poem">
              <l> Seltsam! &#x2014; Wenn ich der Dey von Tunis wäre)<lb/>
Schlug' ich bei so zweideut'gen Vorfall Lärm;<lb/>
Die seidne Schnur legt' ich auf meine» Tisch,<lb/>
Und vor das Thor, verrannt mit Pallisaden,<lb/>
Führt' ich Kanonen und Haubitzen auf.<lb/>
Doch weils Hans Kvttwitz ans der Priegnitz ist,<lb/>
Der sich mir naht, willkürlich, eigenmächtig,<lb/>
So will ich mich auf mart'sche Weise fassen:<lb/>
Von den drei Locken, die man silberglänzig<lb/>
Auf seinem Schädel sieht, sass' ich die eine.<lb/>
Und führ' ihn still mit seinen zwölf Schwadronen<lb/>
Nach Arnstein in sein Hauptquartier zurück.<lb/>
Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe wecken?</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_753" prev="#ID_752" next="#ID_754"> &#x201E;Das ist etwas anderes, als die hohle Großsprecherei und alberne Treuherzig¬<lb/>
keit, die uns sonst für Patriotismus verkauft wird." Auch Tieck, der 15 Jahre<lb/>
nach dem Tode des Dichters, als Freund und Bewunderer desselben, seine<lb/>
Werke herausgab, erkannte Kleists bahnbrechenden Genius und sah im &#x201E;Prinzen-<lb/>
von Homburg" eine Zierde der dramatischen Literatur. &#x201E;Der Charakter des<lb/>
Kurfürsten," sagt er, &#x201E;ist ein Meisterwerk und bekundet schon sür sich allein<lb/>
den gereiften Dichter. Nur wenigen ist es gelungen, so überzeugend Majestät<lb/>
hinzustellen, in der sich Ernst, Kraft und Milde vereinigt, in jedem Momente<lb/>
groß und edel, und immer menschlich, ohne je in die leeren Reden und Bilder<lb/>
zu verfallen, mit denen schwächere Dichter so oft die Charaktere ihrer Fürsten<lb/>
ausmalen wollen. Für dieses treffliche Portrait allein muß das Vaterland dem<lb/>
Dichter dankbar sein. In diesem großen Sinne ist aber das Werk selbst durch¬<lb/>
aus ein ächt vaterländisches Gedicht, nicht bloß ein deutsches, so sehr es auch<lb/>
allen Deutschen angehört, sondern vorzüglich noch ein brandenburgisches, ohne</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0285] im Charakter, auch hier bildet sich dieser vor unsern Augen, in den Situationen und durch sie, aber die Wechselwirkung, die Gleichung zwischen beiden Seiten (Fall und Erhebung) die zu den höchsten dramatischen Aufgaben gehört, ist voll¬ kommen erreicht. Es schwebt über dem ganzen Sein und Werden des Menschen der ruhige, großartige dramatische Blick. Der Prinz, dessen Heidenthum uns zuerst nur als eine Träumerei erscheint, wiewohl als eine hoffnungs- und ahn¬ dungsvolle, wird durch die Begebenheiten niedergeworfen und erhoben, er wird erst durch das Leben, was er ist: ein Mensch in jeder Bedeutung. Ein herr¬ licher ächt dramatischer Gedanke, und höchst befriedigend ausgeführt. Am meisten ist die Heiterkeit zu bewundern, die in dem ganzen Stücke vorherrscht. Sie rührt besonders daher, daß alles in seinem wirklichen, gegenwärtigen Leben aufgefaßt, nichts idealisirt oder mit leeren Redensarten aufstolzirt ist. Daher auch das liebe heimatliche Gefühl, das uns hindurch begleitet." Welche Wirkung müßten auf ein einigermaßen fühlendes Publikum Stellen machen, wie die: Seltsam! — Wenn ich der Dey von Tunis wäre) Schlug' ich bei so zweideut'gen Vorfall Lärm; Die seidne Schnur legt' ich auf meine» Tisch, Und vor das Thor, verrannt mit Pallisaden, Führt' ich Kanonen und Haubitzen auf. Doch weils Hans Kvttwitz ans der Priegnitz ist, Der sich mir naht, willkürlich, eigenmächtig, So will ich mich auf mart'sche Weise fassen: Von den drei Locken, die man silberglänzig Auf seinem Schädel sieht, sass' ich die eine. Und führ' ihn still mit seinen zwölf Schwadronen Nach Arnstein in sein Hauptquartier zurück. Wozu die Stadt aus ihrem Schlafe wecken? „Das ist etwas anderes, als die hohle Großsprecherei und alberne Treuherzig¬ keit, die uns sonst für Patriotismus verkauft wird." Auch Tieck, der 15 Jahre nach dem Tode des Dichters, als Freund und Bewunderer desselben, seine Werke herausgab, erkannte Kleists bahnbrechenden Genius und sah im „Prinzen- von Homburg" eine Zierde der dramatischen Literatur. „Der Charakter des Kurfürsten," sagt er, „ist ein Meisterwerk und bekundet schon sür sich allein den gereiften Dichter. Nur wenigen ist es gelungen, so überzeugend Majestät hinzustellen, in der sich Ernst, Kraft und Milde vereinigt, in jedem Momente groß und edel, und immer menschlich, ohne je in die leeren Reden und Bilder zu verfallen, mit denen schwächere Dichter so oft die Charaktere ihrer Fürsten ausmalen wollen. Für dieses treffliche Portrait allein muß das Vaterland dem Dichter dankbar sein. In diesem großen Sinne ist aber das Werk selbst durch¬ aus ein ächt vaterländisches Gedicht, nicht bloß ein deutsches, so sehr es auch allen Deutschen angehört, sondern vorzüglich noch ein brandenburgisches, ohne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/285
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/285>, abgerufen am 23.07.2024.