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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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des Unglücks und laßt euch da Lebensweisheit beibringen, damit ihr zum Frieden
mit euch selbst und mit der Welt gelanget; vor allem aber lernt entbehren!
Dann geht der Mensch gestählt auch deu härtesten Unfällen entgegen, gegen
welche Niemand einen Freibrief hat, und Neid, Befeindungen, Chikane, Hem¬
mungen, Störungen guter Zwecke, und wie die Plackereien alle heißen mögen,
erscheinen ihm als possierliche Schattirungen im Gemälde des Lebens, welches
ohne diese Wespenstiche nicht gelebt werden zu köunen scheint. Durch keine
noch so unglückliche Lage darf er aber das Vertrauen zu den Menschen verlieren
oder einen Haß gegen dieselben in sich aufnehmen. Die mannichfachen herrlichen
Züge von Herzensgüte, durch welche in deu entsetzlichen Tagen russischer Ge¬
fangenschaft meinem Herzen Trost, meinem Jammer Linderung zu Theil wurde,
die eifrige und freundliche Bereitwilligkeit, womit die Franzosen im Hospitale
zu Pleskow meinem Mangel all Kleidungsstücken abzuhelfen suchten und wirklich
abhalfen, die herzlichen Glückwünsche, die sie mir bei meinem Abgänge nach¬
riefen, meine Erfahrungen von Edelsinn und Wohlwollen haben in meiner
Seele den Glauben, daß es allenthalben gute Menschen giebt, unerschütterlich
befestigt; und dieser hochbeglückende Glaube hält mich aufrecht und giebt
mir Stärkung, wenn es mir scheinen will, als ob der Sinn der Menschlichkeit
hier luit da sich mindere und als ob Gleichgiltigkeit gegen Menschenwohl immer
mehr Platz gewinnen wolle. Der Sinn für Brüderwohl und Menschenglück
wird in menschlichen Gemüthern nie aussterben."

Als das Alter hercmuahte, zog sich Krauße nach dem Dörfchen Gaberudorf
bei Weimar zurück, wo er eine Ziegelei erworben hatte und sich später, bei dem
Wiederverkaufe, die Wohnung vorbehielt. Hier, an AbHange der Ettersbergs, anf
einem der schönsten Aussichtspunkte in Weimars Umgebung, verlebte er die Jahre
des Alters, geehrt und viel besucht voll seinen Freunden. Ich sehe ihn noch
vor mir, den guten Alten, wenn ich, zur Bergeshöhe hinausgewandert, bei ihm
in die einfache Stube trat, deren Fenster eine weite Aussicht über das Thal
bis hin nach den Bergen des Thüringer Waldes boten. Dort am Fenster
saß er im Anblick der frischen Frühlingsnatur und ließ die laue, milde
Luft durch das geöffnete Fenster hereinziehen, oder er durchmaß, hoher, statt¬
licher Statur (welche der des Altmeisters Goethe dermaßen glich, daß mehrmals
Maler des letzteren ihre Bilder nach seiner Gestalt vollendeten), und Papiere
aus längst Vergangellen Tagen in der Hand, mit kräftigen Schritten das Zimmer,
wenn er nicht draußen den Rasellrain entlang zwischen den freundlich nickenden
Blumen des Feldes wandelte. Welche Freude war ihm jeder Besuch in seiner
Einsiedelei! Wie theilnehmend folgte er mit klarem, scharfem Verstände und
dem ihm eigenthümlichen treffenden Urtheile den Erscheinungen und Bewegungen
der Gegenwart! So genoß er in stiller Beschaiilichkeit den in voller, reicher


des Unglücks und laßt euch da Lebensweisheit beibringen, damit ihr zum Frieden
mit euch selbst und mit der Welt gelanget; vor allem aber lernt entbehren!
Dann geht der Mensch gestählt auch deu härtesten Unfällen entgegen, gegen
welche Niemand einen Freibrief hat, und Neid, Befeindungen, Chikane, Hem¬
mungen, Störungen guter Zwecke, und wie die Plackereien alle heißen mögen,
erscheinen ihm als possierliche Schattirungen im Gemälde des Lebens, welches
ohne diese Wespenstiche nicht gelebt werden zu köunen scheint. Durch keine
noch so unglückliche Lage darf er aber das Vertrauen zu den Menschen verlieren
oder einen Haß gegen dieselben in sich aufnehmen. Die mannichfachen herrlichen
Züge von Herzensgüte, durch welche in deu entsetzlichen Tagen russischer Ge¬
fangenschaft meinem Herzen Trost, meinem Jammer Linderung zu Theil wurde,
die eifrige und freundliche Bereitwilligkeit, womit die Franzosen im Hospitale
zu Pleskow meinem Mangel all Kleidungsstücken abzuhelfen suchten und wirklich
abhalfen, die herzlichen Glückwünsche, die sie mir bei meinem Abgänge nach¬
riefen, meine Erfahrungen von Edelsinn und Wohlwollen haben in meiner
Seele den Glauben, daß es allenthalben gute Menschen giebt, unerschütterlich
befestigt; und dieser hochbeglückende Glaube hält mich aufrecht und giebt
mir Stärkung, wenn es mir scheinen will, als ob der Sinn der Menschlichkeit
hier luit da sich mindere und als ob Gleichgiltigkeit gegen Menschenwohl immer
mehr Platz gewinnen wolle. Der Sinn für Brüderwohl und Menschenglück
wird in menschlichen Gemüthern nie aussterben."

Als das Alter hercmuahte, zog sich Krauße nach dem Dörfchen Gaberudorf
bei Weimar zurück, wo er eine Ziegelei erworben hatte und sich später, bei dem
Wiederverkaufe, die Wohnung vorbehielt. Hier, an AbHange der Ettersbergs, anf
einem der schönsten Aussichtspunkte in Weimars Umgebung, verlebte er die Jahre
des Alters, geehrt und viel besucht voll seinen Freunden. Ich sehe ihn noch
vor mir, den guten Alten, wenn ich, zur Bergeshöhe hinausgewandert, bei ihm
in die einfache Stube trat, deren Fenster eine weite Aussicht über das Thal
bis hin nach den Bergen des Thüringer Waldes boten. Dort am Fenster
saß er im Anblick der frischen Frühlingsnatur und ließ die laue, milde
Luft durch das geöffnete Fenster hereinziehen, oder er durchmaß, hoher, statt¬
licher Statur (welche der des Altmeisters Goethe dermaßen glich, daß mehrmals
Maler des letzteren ihre Bilder nach seiner Gestalt vollendeten), und Papiere
aus längst Vergangellen Tagen in der Hand, mit kräftigen Schritten das Zimmer,
wenn er nicht draußen den Rasellrain entlang zwischen den freundlich nickenden
Blumen des Feldes wandelte. Welche Freude war ihm jeder Besuch in seiner
Einsiedelei! Wie theilnehmend folgte er mit klarem, scharfem Verstände und
dem ihm eigenthümlichen treffenden Urtheile den Erscheinungen und Bewegungen
der Gegenwart! So genoß er in stiller Beschaiilichkeit den in voller, reicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/282>, abgerufen am 23.07.2024.