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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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zu thun hatte, deren Eltern höhere Ansprüche an seine Leistungen als Schul¬
mann stellten, fühlte er schmerzlich seine Armuth an positiven Kenntnissen. Aus
dem Seminar als einer der besten Schüler entlassen und mehrere Jahre in
zwei Dorfschulen angestellt, erkannte er jetzt, wie wenig er doch im Grunde
wußte, und sah sich gezwungen, sich Tag und Nacht selber,erst aufs eifrigste
und gründlichste mit alledem vertraut zu machen, was er zu lehren hatte. Am
Tage war er Schullehrer und des Abends, nicht selten bis in die Nacht hinein,
Abschreiber, Concipient, Rechner. Letzteres war er auch für das Militär, bei
welchem er als Vice-Fourier beschäftigt war. Anfeindungen betrübendster Art
ließen ihn aber auch in jenem pädagogischen Wirkungskreise nicht lange schaffen.
Er entließ seine Schüler unter vielen Thränen von ihrer und seiner Seite und
entschloß sich rasch, nun wirklicher Soldat zu werden.

Es war im Jahre 1812. Der russische Krieg stand bevor. Auch das
Contingent Herzog von Weimar mußte gegen Rußland mit zu Felde ziehen.
Krcmße, jetzt 32 Jahre alt, trat unter das Militär. Drei Tage darauf trat er
den verhängnisvollen Marsch nach Rußland an, den er selbst so anschaulich
und lebhaft geschildert hat. Nach unsäglichen Leiden kam er im Jahre 1813
aus der russischen Gefangenschaft in die Heimat zurück. Schon am dritten
Tage nach seiner Ankunft in Weimar marschirte er mit dem zweiten Landwehr-
bataillon nach Frankreich. Nachdem er auch aus diesem Feldzuge glücklich
zurückgekehrt, begann für ihn, den durch das Leben und die Erfahrungen ge¬
reiften und geläuterten, ein neuer Lebensabschnitt. Neben seinen Fourier-
geschäften hatte er die Beaufsichtigung eines Landgutes zu besorgen, und so
widmete er sich der Oeconomie. Späterhin fungirte er als Kasernenverwalter,
bis ihm das Amt des Jnspectors der ersten Strafanstalt des Landes über¬
tragen wurde. Auch in dieser wichtigen Stellung wußte er mit treuer Pflicht¬
erfüllung und unermüdlicher, unverdrossener Thätigkeit echte Humanität zu ver¬
binden. Das Leben hatte ihn gestählt, hatte die Kern-Natur, die ihm innewohnte,
zur vollen Ausbildung gebracht, und seine Erlebnisse, seine Erfahrungen hatten
ihn zu eiuer Lebensanschauung gelangen lassen, der er selbst in charakteristischer
Weise mit den Worten Ausdruck giebt: "Des Lebens Mühen, Lasten und
Leiden ertrage ich mit unerschütterlichem Gleichmuthe und kann mich eines
Lächelns nicht erwehren, wenn ich Menschen, die nicht an Entbehrungen und
Mühsal gewöhnt sind, über Beschwerden und Unglücksfälle seufzen höre, welche
mir blos als kleine Neckereien eines launenhaften Schicksals erscheinen. Wie
klein, wie bedauernswürdig und verächtlich erscheinen wir die Bequemlichkeits-
menschen, denen die Bersagung eines Wunsches, die Entziehung eines ge¬
wohnten Genusses die heitere Laune auf Tage und Wochen verdirbt! Ihr Un¬
glücklichen, denke ich bei dem Blicke auf solche Verzärtelte, geht in die Schule


zu thun hatte, deren Eltern höhere Ansprüche an seine Leistungen als Schul¬
mann stellten, fühlte er schmerzlich seine Armuth an positiven Kenntnissen. Aus
dem Seminar als einer der besten Schüler entlassen und mehrere Jahre in
zwei Dorfschulen angestellt, erkannte er jetzt, wie wenig er doch im Grunde
wußte, und sah sich gezwungen, sich Tag und Nacht selber,erst aufs eifrigste
und gründlichste mit alledem vertraut zu machen, was er zu lehren hatte. Am
Tage war er Schullehrer und des Abends, nicht selten bis in die Nacht hinein,
Abschreiber, Concipient, Rechner. Letzteres war er auch für das Militär, bei
welchem er als Vice-Fourier beschäftigt war. Anfeindungen betrübendster Art
ließen ihn aber auch in jenem pädagogischen Wirkungskreise nicht lange schaffen.
Er entließ seine Schüler unter vielen Thränen von ihrer und seiner Seite und
entschloß sich rasch, nun wirklicher Soldat zu werden.

Es war im Jahre 1812. Der russische Krieg stand bevor. Auch das
Contingent Herzog von Weimar mußte gegen Rußland mit zu Felde ziehen.
Krcmße, jetzt 32 Jahre alt, trat unter das Militär. Drei Tage darauf trat er
den verhängnisvollen Marsch nach Rußland an, den er selbst so anschaulich
und lebhaft geschildert hat. Nach unsäglichen Leiden kam er im Jahre 1813
aus der russischen Gefangenschaft in die Heimat zurück. Schon am dritten
Tage nach seiner Ankunft in Weimar marschirte er mit dem zweiten Landwehr-
bataillon nach Frankreich. Nachdem er auch aus diesem Feldzuge glücklich
zurückgekehrt, begann für ihn, den durch das Leben und die Erfahrungen ge¬
reiften und geläuterten, ein neuer Lebensabschnitt. Neben seinen Fourier-
geschäften hatte er die Beaufsichtigung eines Landgutes zu besorgen, und so
widmete er sich der Oeconomie. Späterhin fungirte er als Kasernenverwalter,
bis ihm das Amt des Jnspectors der ersten Strafanstalt des Landes über¬
tragen wurde. Auch in dieser wichtigen Stellung wußte er mit treuer Pflicht¬
erfüllung und unermüdlicher, unverdrossener Thätigkeit echte Humanität zu ver¬
binden. Das Leben hatte ihn gestählt, hatte die Kern-Natur, die ihm innewohnte,
zur vollen Ausbildung gebracht, und seine Erlebnisse, seine Erfahrungen hatten
ihn zu eiuer Lebensanschauung gelangen lassen, der er selbst in charakteristischer
Weise mit den Worten Ausdruck giebt: „Des Lebens Mühen, Lasten und
Leiden ertrage ich mit unerschütterlichem Gleichmuthe und kann mich eines
Lächelns nicht erwehren, wenn ich Menschen, die nicht an Entbehrungen und
Mühsal gewöhnt sind, über Beschwerden und Unglücksfälle seufzen höre, welche
mir blos als kleine Neckereien eines launenhaften Schicksals erscheinen. Wie
klein, wie bedauernswürdig und verächtlich erscheinen wir die Bequemlichkeits-
menschen, denen die Bersagung eines Wunsches, die Entziehung eines ge¬
wohnten Genusses die heitere Laune auf Tage und Wochen verdirbt! Ihr Un¬
glücklichen, denke ich bei dem Blicke auf solche Verzärtelte, geht in die Schule


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/281>, abgerufen am 23.07.2024.