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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Mal besucht hätten, folglich gar nicht über meine Lehrart urtheilen könnten,
sondern das, was sie vorgebracht hätten, nur durch Zuträgerei zu ihrer Kenntniß
gelangt sein müsse. Herder rieb sich die Stirn, die übrigen Anwesenden machten
bedenkliche Gesichter, ich wurde angewiesen abzutreten, und die beiden Prediger
wurden zum (Antritte aufgefordert. Ich hörte Herder drin mit lauter Stimme
von Nichtbesuch der Schule, von Pflichtvergessenheit, von Anhören des Gewäsches
alter Weiber und dergl. reden. Mit rothen Gesichtern, auf denen die Scham
nicht zu verkennen war, kamen die statt meiner gewaschenen wieder heraus,
und ich wurde abermals vorgerufen. In wahrem Vatertone sprach nun der
ehrwürdige Herder: "Es beruht die ganz? Sache auf einem Mißverständnisse.
Krauße ist nicht auf dem gewöhnlichen Wege gegangen, das soll und kann ihm
aber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wenn er, indem er nach Schöndorf*)
kommen will, statt des steinigen, holprigen Fahrweges einen angenehmen, ebenen,
sich zwischen Bäumen oder unter Bäumen hinziehenden Fußsteig wählt, so thut
er recht daran; mag er ferner in dieser Weise fortfahren, das Oberconsistorium
bleibt ihm in Gnaden gewogen."

"Welch eine Wonne waren diese Worte für mein Herz! Welch ein Triumph
war mir dadurch bereitet! So zeigte sich mir auch hier der unvergeßliche große
Mann in jener ehrwürdigen und liebenswürdigen Weise, in welcher er mir
während meiner Schulzeit erschienen war. Damals wurden von ihm, dem
Feinde alles geisttötenden Mechanismus auf dem Gebiete wissenschaftlichen
Strebens, beim öffentlichen Examen nicht diejenigen Schiller gelobt, die sich
sclavisch an die Worte des Lehrers hingen und sich nur in dem alten Geleise
bewegten, es wurden vielmehr von ihm diejenigen Schiller, die, dem ekelhaften
Schlendrian abhold, fessellos aus sich selbst heraus etwas producirten, im ge¬
raden Gegensatze zu der damaligen Art mancher Lehrer für die vorzüglicheren
erklärt; ihnen lächelte er seinen gewichtigen Beifall zu. Er war es ferner, der
die zu jeuer Zeit dort gewöhnliche Katechisirmethode, nach welcher die von ihm
herausgegebene Erklärung des Katechismus jämmerlich gemißbraucht und zu
einem Uebungsmittel im Verwandeln der darin enthaltenen Fragen in Antworten,
und der gegebenen Antworten in Fragen herabgewürdigt wurde, einst in einer
Schulrede zu größter Beschämung des Betroffenen mit den Worten persiflirte:
Wie steht der Mund? In die Quere. Was steht in die Quere? Der Mund.
Wie steht die Nase? In die Länge. Was steht in die Länge? Die Nase.
In eben so freidenkender und gerechter Weise wurde mir von dem Obercon-
sistorium durch ihn mein Recht. Gerechtfertigt vor meinen Widersachern ging
ich in mein Dorf zurück und suchte auch ferner in meiner Weise und nach



5) Ein Dorf bei Weimar, ans der Höhe EtlerSl'crgS.

Mal besucht hätten, folglich gar nicht über meine Lehrart urtheilen könnten,
sondern das, was sie vorgebracht hätten, nur durch Zuträgerei zu ihrer Kenntniß
gelangt sein müsse. Herder rieb sich die Stirn, die übrigen Anwesenden machten
bedenkliche Gesichter, ich wurde angewiesen abzutreten, und die beiden Prediger
wurden zum (Antritte aufgefordert. Ich hörte Herder drin mit lauter Stimme
von Nichtbesuch der Schule, von Pflichtvergessenheit, von Anhören des Gewäsches
alter Weiber und dergl. reden. Mit rothen Gesichtern, auf denen die Scham
nicht zu verkennen war, kamen die statt meiner gewaschenen wieder heraus,
und ich wurde abermals vorgerufen. In wahrem Vatertone sprach nun der
ehrwürdige Herder: „Es beruht die ganz? Sache auf einem Mißverständnisse.
Krauße ist nicht auf dem gewöhnlichen Wege gegangen, das soll und kann ihm
aber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wenn er, indem er nach Schöndorf*)
kommen will, statt des steinigen, holprigen Fahrweges einen angenehmen, ebenen,
sich zwischen Bäumen oder unter Bäumen hinziehenden Fußsteig wählt, so thut
er recht daran; mag er ferner in dieser Weise fortfahren, das Oberconsistorium
bleibt ihm in Gnaden gewogen."

„Welch eine Wonne waren diese Worte für mein Herz! Welch ein Triumph
war mir dadurch bereitet! So zeigte sich mir auch hier der unvergeßliche große
Mann in jener ehrwürdigen und liebenswürdigen Weise, in welcher er mir
während meiner Schulzeit erschienen war. Damals wurden von ihm, dem
Feinde alles geisttötenden Mechanismus auf dem Gebiete wissenschaftlichen
Strebens, beim öffentlichen Examen nicht diejenigen Schiller gelobt, die sich
sclavisch an die Worte des Lehrers hingen und sich nur in dem alten Geleise
bewegten, es wurden vielmehr von ihm diejenigen Schiller, die, dem ekelhaften
Schlendrian abhold, fessellos aus sich selbst heraus etwas producirten, im ge¬
raden Gegensatze zu der damaligen Art mancher Lehrer für die vorzüglicheren
erklärt; ihnen lächelte er seinen gewichtigen Beifall zu. Er war es ferner, der
die zu jeuer Zeit dort gewöhnliche Katechisirmethode, nach welcher die von ihm
herausgegebene Erklärung des Katechismus jämmerlich gemißbraucht und zu
einem Uebungsmittel im Verwandeln der darin enthaltenen Fragen in Antworten,
und der gegebenen Antworten in Fragen herabgewürdigt wurde, einst in einer
Schulrede zu größter Beschämung des Betroffenen mit den Worten persiflirte:
Wie steht der Mund? In die Quere. Was steht in die Quere? Der Mund.
Wie steht die Nase? In die Länge. Was steht in die Länge? Die Nase.
In eben so freidenkender und gerechter Weise wurde mir von dem Obercon-
sistorium durch ihn mein Recht. Gerechtfertigt vor meinen Widersachern ging
ich in mein Dorf zurück und suchte auch ferner in meiner Weise und nach



5) Ein Dorf bei Weimar, ans der Höhe EtlerSl'crgS.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/276>, abgerufen am 23.07.2024.