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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Jugend in Klage zu nehmen. Der geistliche Herr, von seiner Gattin gereizt,
brachte auch dem mir vorgesetzten Pfarrer, einem gutmüthigen, aber schwachen
Manne, die Meinung bei, daß ich den mir anvertrauten Schülern nicht das
Rechte lehre, und die Sache gelangte als Beschwerde über mich an das Ober-
consistorium."

"Ich wurde vorgefordert. schweren Herzens ging ich den Weg nach der
Hauptstadt, zitternd und zagend stieg ich die zum Vorsaale des Sessiouszimmers
führende Treppe hinauf und hörte mit Beben von dem Diener des Collegiums,
"man habe mir heute eine tüchtige Wäsche zugedacht, die Herren drinnen hätten
die Seife dazu parat gelegt". Noch höher stieg meine Angst, als ich hörte, ich
sei von der mich zunächst beaufsichtigenden Geistlichkeit der Pflichtverletzung in
der Schule angeklagt worden, und den Termin werde heute nicht der eben un¬
päßliche Präsident v. Herder, sondern co Oberconsistorialrath halten, von dem
ich wußte, daß er mit der mich befeindenden Predigerfamilie in sehr freund¬
schaftlichem Verhältniß stand. Ohne mich lange zu besinnen, lief ich, um dem
mir drohenden Ungewitter zu entgehen, pfeilschnell die Treppe hinunter, eilte
zu einem meiner vormaligen verehrungswürdigen und mir wohlwollenden Lehrer
und wurde von demselben theilnahmsvoll zu Herder gewiesen. Ich eilte zu ihm.
Freundlich empfing er mich, indem er mich noch mit dem früheren "Du" an¬
redete, und als ich ihm meine Angelegenheit kurz vorgetragen hatte, schrieb er
ein Billet und gab mir dasselbe mit dem Auftrage, es beim Oberconsistorium
abzugeben. Er fügte hinzu, daß er selbst bald in der Sitzung erscheinen und
den Termin halten werde. Das Papier als einen undurchdringlichen Schild
fest in meiner Hand haltend, kehrte ich in das Local des Oberconsistoriums
zurück, wo ich auch die beiden Geistlichen traf, die gegen mich als Kläger auf¬
getreten waren. Bald darauf wurde ich zum Vortritte aufgefordert. Getrosten
Muthes trat ich ein, und auch die unheildrohende Miene des vikarirenden Präses
vermochte mich nicht zu erschüttern -- hatte ich doch meinen Talisman in der
Hand. Das mir vom Vorsitzenden gemachte Compliment, "daß ich ein noch
grüner Bursche sei", nahm ich ruhig hin, und ebenso ruhig hörte ich die An¬
klagepunkte an, welche der Sekretär vorlesen mußte. Ohne ein Wort zu er¬
wiedern, überreichte ich das Herdersche Billet. Es wurde gelesen, und Todten-
stille trat ein. In diesem Augenblicke erschien auch mein hoher Gönner und
Beschützer. Freundlich redete er mich mit den Worten an: "Es sollte mir leid
thun, wenn ich mich in Krauße geirrt Hütte, und wenn die wider ihn vorge¬
brachten Beschwerden gegründet wären." Ich vertheidigte mich mit bescheidener
Offenheit gegen die Anklagepunkte und bemerkte am Ende meiner Rechtfertigung
mit besonderem Nachdrucke, daß die beiden gegen mich klagenden geistlichen
Herren, solange ich Landschullehrer sei, meine Schule noch nicht ein einziges


Jugend in Klage zu nehmen. Der geistliche Herr, von seiner Gattin gereizt,
brachte auch dem mir vorgesetzten Pfarrer, einem gutmüthigen, aber schwachen
Manne, die Meinung bei, daß ich den mir anvertrauten Schülern nicht das
Rechte lehre, und die Sache gelangte als Beschwerde über mich an das Ober-
consistorium."

„Ich wurde vorgefordert. schweren Herzens ging ich den Weg nach der
Hauptstadt, zitternd und zagend stieg ich die zum Vorsaale des Sessiouszimmers
führende Treppe hinauf und hörte mit Beben von dem Diener des Collegiums,
„man habe mir heute eine tüchtige Wäsche zugedacht, die Herren drinnen hätten
die Seife dazu parat gelegt". Noch höher stieg meine Angst, als ich hörte, ich
sei von der mich zunächst beaufsichtigenden Geistlichkeit der Pflichtverletzung in
der Schule angeklagt worden, und den Termin werde heute nicht der eben un¬
päßliche Präsident v. Herder, sondern co Oberconsistorialrath halten, von dem
ich wußte, daß er mit der mich befeindenden Predigerfamilie in sehr freund¬
schaftlichem Verhältniß stand. Ohne mich lange zu besinnen, lief ich, um dem
mir drohenden Ungewitter zu entgehen, pfeilschnell die Treppe hinunter, eilte
zu einem meiner vormaligen verehrungswürdigen und mir wohlwollenden Lehrer
und wurde von demselben theilnahmsvoll zu Herder gewiesen. Ich eilte zu ihm.
Freundlich empfing er mich, indem er mich noch mit dem früheren „Du" an¬
redete, und als ich ihm meine Angelegenheit kurz vorgetragen hatte, schrieb er
ein Billet und gab mir dasselbe mit dem Auftrage, es beim Oberconsistorium
abzugeben. Er fügte hinzu, daß er selbst bald in der Sitzung erscheinen und
den Termin halten werde. Das Papier als einen undurchdringlichen Schild
fest in meiner Hand haltend, kehrte ich in das Local des Oberconsistoriums
zurück, wo ich auch die beiden Geistlichen traf, die gegen mich als Kläger auf¬
getreten waren. Bald darauf wurde ich zum Vortritte aufgefordert. Getrosten
Muthes trat ich ein, und auch die unheildrohende Miene des vikarirenden Präses
vermochte mich nicht zu erschüttern — hatte ich doch meinen Talisman in der
Hand. Das mir vom Vorsitzenden gemachte Compliment, „daß ich ein noch
grüner Bursche sei", nahm ich ruhig hin, und ebenso ruhig hörte ich die An¬
klagepunkte an, welche der Sekretär vorlesen mußte. Ohne ein Wort zu er¬
wiedern, überreichte ich das Herdersche Billet. Es wurde gelesen, und Todten-
stille trat ein. In diesem Augenblicke erschien auch mein hoher Gönner und
Beschützer. Freundlich redete er mich mit den Worten an: „Es sollte mir leid
thun, wenn ich mich in Krauße geirrt Hütte, und wenn die wider ihn vorge¬
brachten Beschwerden gegründet wären." Ich vertheidigte mich mit bescheidener
Offenheit gegen die Anklagepunkte und bemerkte am Ende meiner Rechtfertigung
mit besonderem Nachdrucke, daß die beiden gegen mich klagenden geistlichen
Herren, solange ich Landschullehrer sei, meine Schule noch nicht ein einziges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/275>, abgerufen am 23.07.2024.