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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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mung versetzen kann, deren Grundcharacter durch die Einförmigkeit jener Laute,
durch die regelmäßigen Pulsschläge jener Lebensäußerungen bedingt ist, ohne
daß irgend welche Associationen nothwendig hinzukommen müßten, um den Ein¬
druck zu dem zu machen, was er ist, etwa die Vorstellung der lustigen, gefiederten
Sänger und ihrer kleinen Neckereien, oder die der geschäftigen großen Welt, der
ländlichen Einsamkeit oder gar des eisernen Ganges des Weltgesüges -- ebenso
sicher wird sich das reichere Leben eines Musikstückes durchlebe" lasse", ohne
jede Association, wenigstens ohne jede, welche den Eindruck wesentlich bestimmen
müßte. Vielfach bildet man sich wohl ein, daß gewisse musikalische Bildungen
mit Nothwendigkeit die Erinnerung an die Erscheinungswelt wachrufen, welche
doch eine derartige Wirkung nur facultativ haben, wenn ein Programm oder
die Scene darauf hinweist, z. B. daß jene vielbeliebten säuselnden Figuren der
Streichinstrumente, als deren neuestes Beispiel wir die Jnstrumentalstelle in
Wagners "Siegfried" vor dem Gesänge des Waldvögleius nennen wollen, noth¬
wendig die Vorstellung des in den Blättern säuselnden Windes hervorrufen.
Das ist ein Irrthum; vielmehr bringen jene Klangwirkungen nur eine ähnliche
Stimmung hervor wie auch das Säuseln des Windes in der Waldesstille her¬
vorbringen kann. Wenn wir bei dem einen uus des anderen erinnern, so ist
das der Effect einer Gewöhnung, welche wir dem Theater und der Liedcompo-
sition verdenken. In diesen Fällen hat die musikalische Gestaltung eine symbo¬
lische Bedeutung gewonnen, die zum Theil sogar conventionell ist, etwa wie uns
die langsamen Accordfolgen des Chorals auch ohne Text auf die Kirche hin¬
weisen. Derartige Beispiele stehen nicht vereinzelt da, es entstünde sogar die
Gefahr, daß die Musik sich im großen Maßstabe in solche symbolische Darstel¬
lungen verlöre, wenn nicht der wechselnde Geschmack und die fortschreitende
Ausbildung der Darstellungsmittel dafür sorgte, daß eine neue Zeit immer die
usuellen Symbole der alten über Bord wirft.

Die Nothwendigkeit der Hervorrufung bestimmter Associationen durch rein
musikalische Mittel bestreiten wir also durchaus, wenn wir auch der Musik die
Fähigkeit zuerkennen, nicht uur bestimmte Stimmungen zu erwecken, sondern
sogar Gefühlsvorgänge durch die Nachahmung der Dynamik der Affecte zu
schildern, ja selbst äußere Ereignisse zu illustriren, sobald unsere Vorstellung
durch das begleitende Wort im Gesänge, durch die Scene in der Oper in be¬
stimmter Weise angeregt wird. Die allgemeinen Fähigkeiten der Musik werden
dann concret zu Illustrationen. Die Frage bleibt nur, ob die Wirkuug der
Kunst und ihre Leistung dann eine gesteigerte ist, wenn sie den concreten Fall
illustrirt, wenn aus der unendlichen Fülle von seelischen Erlebnissen, welche die
Musik durch ihre Bewegungsformen darstellen kann, ein einzelner concreter Fall
dnrch die gegebenen Beziehungen zur Erscheinungswelt herausgenommen ist, oder


mung versetzen kann, deren Grundcharacter durch die Einförmigkeit jener Laute,
durch die regelmäßigen Pulsschläge jener Lebensäußerungen bedingt ist, ohne
daß irgend welche Associationen nothwendig hinzukommen müßten, um den Ein¬
druck zu dem zu machen, was er ist, etwa die Vorstellung der lustigen, gefiederten
Sänger und ihrer kleinen Neckereien, oder die der geschäftigen großen Welt, der
ländlichen Einsamkeit oder gar des eisernen Ganges des Weltgesüges — ebenso
sicher wird sich das reichere Leben eines Musikstückes durchlebe» lasse», ohne
jede Association, wenigstens ohne jede, welche den Eindruck wesentlich bestimmen
müßte. Vielfach bildet man sich wohl ein, daß gewisse musikalische Bildungen
mit Nothwendigkeit die Erinnerung an die Erscheinungswelt wachrufen, welche
doch eine derartige Wirkung nur facultativ haben, wenn ein Programm oder
die Scene darauf hinweist, z. B. daß jene vielbeliebten säuselnden Figuren der
Streichinstrumente, als deren neuestes Beispiel wir die Jnstrumentalstelle in
Wagners „Siegfried" vor dem Gesänge des Waldvögleius nennen wollen, noth¬
wendig die Vorstellung des in den Blättern säuselnden Windes hervorrufen.
Das ist ein Irrthum; vielmehr bringen jene Klangwirkungen nur eine ähnliche
Stimmung hervor wie auch das Säuseln des Windes in der Waldesstille her¬
vorbringen kann. Wenn wir bei dem einen uus des anderen erinnern, so ist
das der Effect einer Gewöhnung, welche wir dem Theater und der Liedcompo-
sition verdenken. In diesen Fällen hat die musikalische Gestaltung eine symbo¬
lische Bedeutung gewonnen, die zum Theil sogar conventionell ist, etwa wie uns
die langsamen Accordfolgen des Chorals auch ohne Text auf die Kirche hin¬
weisen. Derartige Beispiele stehen nicht vereinzelt da, es entstünde sogar die
Gefahr, daß die Musik sich im großen Maßstabe in solche symbolische Darstel¬
lungen verlöre, wenn nicht der wechselnde Geschmack und die fortschreitende
Ausbildung der Darstellungsmittel dafür sorgte, daß eine neue Zeit immer die
usuellen Symbole der alten über Bord wirft.

Die Nothwendigkeit der Hervorrufung bestimmter Associationen durch rein
musikalische Mittel bestreiten wir also durchaus, wenn wir auch der Musik die
Fähigkeit zuerkennen, nicht uur bestimmte Stimmungen zu erwecken, sondern
sogar Gefühlsvorgänge durch die Nachahmung der Dynamik der Affecte zu
schildern, ja selbst äußere Ereignisse zu illustriren, sobald unsere Vorstellung
durch das begleitende Wort im Gesänge, durch die Scene in der Oper in be¬
stimmter Weise angeregt wird. Die allgemeinen Fähigkeiten der Musik werden
dann concret zu Illustrationen. Die Frage bleibt nur, ob die Wirkuug der
Kunst und ihre Leistung dann eine gesteigerte ist, wenn sie den concreten Fall
illustrirt, wenn aus der unendlichen Fülle von seelischen Erlebnissen, welche die
Musik durch ihre Bewegungsformen darstellen kann, ein einzelner concreter Fall
dnrch die gegebenen Beziehungen zur Erscheinungswelt herausgenommen ist, oder


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[0241] mung versetzen kann, deren Grundcharacter durch die Einförmigkeit jener Laute, durch die regelmäßigen Pulsschläge jener Lebensäußerungen bedingt ist, ohne daß irgend welche Associationen nothwendig hinzukommen müßten, um den Ein¬ druck zu dem zu machen, was er ist, etwa die Vorstellung der lustigen, gefiederten Sänger und ihrer kleinen Neckereien, oder die der geschäftigen großen Welt, der ländlichen Einsamkeit oder gar des eisernen Ganges des Weltgesüges — ebenso sicher wird sich das reichere Leben eines Musikstückes durchlebe» lasse», ohne jede Association, wenigstens ohne jede, welche den Eindruck wesentlich bestimmen müßte. Vielfach bildet man sich wohl ein, daß gewisse musikalische Bildungen mit Nothwendigkeit die Erinnerung an die Erscheinungswelt wachrufen, welche doch eine derartige Wirkung nur facultativ haben, wenn ein Programm oder die Scene darauf hinweist, z. B. daß jene vielbeliebten säuselnden Figuren der Streichinstrumente, als deren neuestes Beispiel wir die Jnstrumentalstelle in Wagners „Siegfried" vor dem Gesänge des Waldvögleius nennen wollen, noth¬ wendig die Vorstellung des in den Blättern säuselnden Windes hervorrufen. Das ist ein Irrthum; vielmehr bringen jene Klangwirkungen nur eine ähnliche Stimmung hervor wie auch das Säuseln des Windes in der Waldesstille her¬ vorbringen kann. Wenn wir bei dem einen uus des anderen erinnern, so ist das der Effect einer Gewöhnung, welche wir dem Theater und der Liedcompo- sition verdenken. In diesen Fällen hat die musikalische Gestaltung eine symbo¬ lische Bedeutung gewonnen, die zum Theil sogar conventionell ist, etwa wie uns die langsamen Accordfolgen des Chorals auch ohne Text auf die Kirche hin¬ weisen. Derartige Beispiele stehen nicht vereinzelt da, es entstünde sogar die Gefahr, daß die Musik sich im großen Maßstabe in solche symbolische Darstel¬ lungen verlöre, wenn nicht der wechselnde Geschmack und die fortschreitende Ausbildung der Darstellungsmittel dafür sorgte, daß eine neue Zeit immer die usuellen Symbole der alten über Bord wirft. Die Nothwendigkeit der Hervorrufung bestimmter Associationen durch rein musikalische Mittel bestreiten wir also durchaus, wenn wir auch der Musik die Fähigkeit zuerkennen, nicht uur bestimmte Stimmungen zu erwecken, sondern sogar Gefühlsvorgänge durch die Nachahmung der Dynamik der Affecte zu schildern, ja selbst äußere Ereignisse zu illustriren, sobald unsere Vorstellung durch das begleitende Wort im Gesänge, durch die Scene in der Oper in be¬ stimmter Weise angeregt wird. Die allgemeinen Fähigkeiten der Musik werden dann concret zu Illustrationen. Die Frage bleibt nur, ob die Wirkuug der Kunst und ihre Leistung dann eine gesteigerte ist, wenn sie den concreten Fall illustrirt, wenn aus der unendlichen Fülle von seelischen Erlebnissen, welche die Musik durch ihre Bewegungsformen darstellen kann, ein einzelner concreter Fall dnrch die gegebenen Beziehungen zur Erscheinungswelt herausgenommen ist, oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/241>, abgerufen am 03.07.2024.