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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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heit durch einen Namen, dnrch eine Unterschrift, ein Motto, so sehr es auch
die Maler und Bildhauer lieben, ihren Werken Titel zu geben. Der Name
wird vielmehr aus der reichen Fülle dessen, was das Bildniß für unser
Empfinden und für unsere Phantasie sein kann, nur einen kleinen Theil heraus¬
greifen, und es ist fraglich, ob nicht häufig ein vortreffliches Bild durch einen
unglücklich gewählten Titel seiner Wirkung theilweise oder ganz verlustig geht.
Geradeso kaun eine Musik von undefinirbarem Stimmmungsgehalt, die ohne
Titel vorzüglich wirkt, durch ein untergelegtes Programm als vollständig ver¬
fehlt, als geradezu lächerlich erscheinen. Die moderne Sucht, auch dem kleinsten
Clavierstück wenigstens einen Namen zu gebe", hat schon manche Composition
zur Farce gemacht, die eigentlich recht gute Musik ist. Freilich wird ja alle Musik,
sicher die beste, einer Stimmung des Komponisten entsprungen sein und diese aus¬
prägen; andererseits ist es unvermeidlich, daß die Stimmung, welche das Stück
geschaffen, oder die in ihm lebt, den Hörer erfaßt und sich ihm mittheilt; be¬
sonders werden diejenigen Compositionen, welche nicht refleetirend ein Programm
illustriren, sondern gleichsam ganz frei ans dem Herzen herauswachsen, am
sichersten den Hörer in jeder Stimmung empfänglich finden, und das unschuldige
Spiel des gegenstandslosen Affectes wird am sichersten seine Seele läutern, seine
Stimmung mildern, also lösend, heilend wirken. Das ist ja das Herrliche an
der Kunst, daß sogar die Werke ihre Schöpfer selbst erheben und daß die Klage,
welche sein gequältes Herz in Tönen ausströmt, durch die schöne Form, welche
sie gewonnen, wie lindernder Balsam ihn erquickt, ihn tröstet. Die Beziehung
zur Erscheinungswelt, welcher seine Schöpfung entsprang, geht sogar für den
Künstler selbst verloren, seine Stimmung verallgemeinert sich durch ihre Er¬
gießung in die Formen des musikalischen Kunstwerkes, und es ist eine Art
Hyänenarbeit, welche die Analytiker mit innigem Behagen betreiben, wenn sie
die Wurzeln des Kunstwerkes bis in die Seele des Componisten hinein verfolgen
und sich an dem Erdklumpen erfreuen, aus dem die Blume ihren Lebenssaft
gesogen.

Afsoeiative Momente gesellen sich freilich gern und schnell, meist unbemerkt,
zum Genuß des musikalischen Kunstwerkes; derselbe ist dann dem Genusse zu
vergleichen, den das Landschaftsbild oder auch die Landschaft selbst, die Natur¬
betrachtung gewährt. Eine schöne Landschaft, sei es auf dem Bilde oder in der
Natur, hat gewiß Stimmung, d. h. sie ist gerade so gut im Stande, dnrch
ihre Formen und Farben Stimmung zu erwecken wie die Musik, aber niemand
wird es einfallen, ein Gemälde, das nichts sein will als ein Stück Natur, zu
verdammen. Es ist nicht nöthig, daß das fallende Land, der rieselnde Bach
an die Vergänglichkeit gemahnen und dadurch unsere Wehmuth erwecken, wenn
dies auch oft genug geschehe" mag; ebensowenig ist die Wirkung der blühenden


heit durch einen Namen, dnrch eine Unterschrift, ein Motto, so sehr es auch
die Maler und Bildhauer lieben, ihren Werken Titel zu geben. Der Name
wird vielmehr aus der reichen Fülle dessen, was das Bildniß für unser
Empfinden und für unsere Phantasie sein kann, nur einen kleinen Theil heraus¬
greifen, und es ist fraglich, ob nicht häufig ein vortreffliches Bild durch einen
unglücklich gewählten Titel seiner Wirkung theilweise oder ganz verlustig geht.
Geradeso kaun eine Musik von undefinirbarem Stimmmungsgehalt, die ohne
Titel vorzüglich wirkt, durch ein untergelegtes Programm als vollständig ver¬
fehlt, als geradezu lächerlich erscheinen. Die moderne Sucht, auch dem kleinsten
Clavierstück wenigstens einen Namen zu gebe», hat schon manche Composition
zur Farce gemacht, die eigentlich recht gute Musik ist. Freilich wird ja alle Musik,
sicher die beste, einer Stimmung des Komponisten entsprungen sein und diese aus¬
prägen; andererseits ist es unvermeidlich, daß die Stimmung, welche das Stück
geschaffen, oder die in ihm lebt, den Hörer erfaßt und sich ihm mittheilt; be¬
sonders werden diejenigen Compositionen, welche nicht refleetirend ein Programm
illustriren, sondern gleichsam ganz frei ans dem Herzen herauswachsen, am
sichersten den Hörer in jeder Stimmung empfänglich finden, und das unschuldige
Spiel des gegenstandslosen Affectes wird am sichersten seine Seele läutern, seine
Stimmung mildern, also lösend, heilend wirken. Das ist ja das Herrliche an
der Kunst, daß sogar die Werke ihre Schöpfer selbst erheben und daß die Klage,
welche sein gequältes Herz in Tönen ausströmt, durch die schöne Form, welche
sie gewonnen, wie lindernder Balsam ihn erquickt, ihn tröstet. Die Beziehung
zur Erscheinungswelt, welcher seine Schöpfung entsprang, geht sogar für den
Künstler selbst verloren, seine Stimmung verallgemeinert sich durch ihre Er¬
gießung in die Formen des musikalischen Kunstwerkes, und es ist eine Art
Hyänenarbeit, welche die Analytiker mit innigem Behagen betreiben, wenn sie
die Wurzeln des Kunstwerkes bis in die Seele des Componisten hinein verfolgen
und sich an dem Erdklumpen erfreuen, aus dem die Blume ihren Lebenssaft
gesogen.

Afsoeiative Momente gesellen sich freilich gern und schnell, meist unbemerkt,
zum Genuß des musikalischen Kunstwerkes; derselbe ist dann dem Genusse zu
vergleichen, den das Landschaftsbild oder auch die Landschaft selbst, die Natur¬
betrachtung gewährt. Eine schöne Landschaft, sei es auf dem Bilde oder in der
Natur, hat gewiß Stimmung, d. h. sie ist gerade so gut im Stande, dnrch
ihre Formen und Farben Stimmung zu erwecken wie die Musik, aber niemand
wird es einfallen, ein Gemälde, das nichts sein will als ein Stück Natur, zu
verdammen. Es ist nicht nöthig, daß das fallende Land, der rieselnde Bach
an die Vergänglichkeit gemahnen und dadurch unsere Wehmuth erwecken, wenn
dies auch oft genug geschehe» mag; ebensowenig ist die Wirkung der blühenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/239>, abgerufen am 23.07.2024.