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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Auflösung anderer in kleinere Notenwerthe -- durch Punktirungen, Pausen
u. s. w. -- sind auf ti< verschiedene Dynamik zu beziehen, gehören aber erst
recht uicht mehr in das Gebiet der elementaren Wirkung, wenn sie auch selbst¬
verständlich als Modificationen derselben anzusehen sind. Sofern dieselben nicht
willkürlich und ordnungslos geschehen, sondern eine gewisse Regelmäßigkeit auf¬
weisen, werden wir sie als Gestaltungen des elementaren Materials durch ästhe¬
tische Principien wiederfinden. Dagegen ist allerdings der verschiedenen Dyna¬
mik an sich eine elementare Wirkung zuzuschreiben, welche der der verschiedenen
Bewegungsgeschwindigkeit ganz ähnlich ist, sofern die größere Klangstürke als
größere Kraft, als ein Wachsen, Schwellen, und umgekehrt die geringere Klcmg-
stttrke als ein Schwinden empfunden wird.

Neben der elementaren Wirkung des Rhythmus nannten wir die elemen¬
tare Wirkung der Melodie als elementaren Factor des musikalischen Eindrucks.
Die Melodie als wohlgeordnete Reihe von Tönen verschiedener Tonhöhe und
verschiedener Dauer ist freilich kein elementarer Factor, sondern sogar, wenn wir von
der Mehrstimmigkeit absehen, ein vollständiges Kunstwerk. Das Elementare in
der Melodie ist eben das, was sie ohne die rhythmische Ordnung und ohne die
harmonische Beziehung der Töne nicht ist, d. h. die nackte Veränderung der
Tonhöhe.

Da gilt es denn wiederum ein Factum unseres Empfindens zu constatiren,
freilich ohne den Versuch einer Erklärung. Denn wenn es auch ungefähr eine
Mitte giebt, jenseit deren die Töne uns hoch oder tief erscheinen, welche Mitte
im allgemeinen mit der Mitte der für uns überhaupt wahrnehmbaren Töne zu¬
sammenfallen, im besonderen aber der Mitte der für ein Instrument oder eine
Singstimme erreichbaren Töne entsprechen wird, so giebt es doch keine Erklärung
für die Empfindung der Höhe und Tiefe selbst. Daß dieselbe von der lang¬
sameren oder schnelleren Schwingungsfolge abhängt, ist bekannt; in der Empfin¬
dung der Tonhöhe ist jedoch von dieser Beziehung nichts zu spüren. Selbst
die häufig ausgesprochene Bemerkung, daß die tieferen Töne uns schwerer,
massiger, plumper erscheinen als die leichten, beweglichen, hohen, ist nur mit
Reserve zu bestätige"; deun stavoato vorgetragene schnelle Baßfiguren im
xiimiWiino haben ganz bestimmt nichts Schwerfälliges und dürften an Flüchtig¬
keit und gespensterhafter Körperlosigkeit mit den höchsten Flöten- oder Vivlin-
figuren rivalisiren. Doch ist allerdings im allgemeinen zu constatiren, daß hohe
Töne beweglicher erscheinen, tiefe dagegen tastender. Unzweifelhaft erscheinen
uns die sogenannten hohen Töne Heller, die tiefen dunkler, und der Uebergang
aus den dunklerei? in die helleren und umgekehrt erscheint als ein Steigen und
Fallen. Der Wechsel der Tonhöhe bringt also eine elementare, durch keine Re¬
flexion hinwegznschaffende Wirkung hervor, welche sich etwa einem Emporziehen


Grenzboten III. 1880. L0

Auflösung anderer in kleinere Notenwerthe — durch Punktirungen, Pausen
u. s. w. — sind auf ti< verschiedene Dynamik zu beziehen, gehören aber erst
recht uicht mehr in das Gebiet der elementaren Wirkung, wenn sie auch selbst¬
verständlich als Modificationen derselben anzusehen sind. Sofern dieselben nicht
willkürlich und ordnungslos geschehen, sondern eine gewisse Regelmäßigkeit auf¬
weisen, werden wir sie als Gestaltungen des elementaren Materials durch ästhe¬
tische Principien wiederfinden. Dagegen ist allerdings der verschiedenen Dyna¬
mik an sich eine elementare Wirkung zuzuschreiben, welche der der verschiedenen
Bewegungsgeschwindigkeit ganz ähnlich ist, sofern die größere Klangstürke als
größere Kraft, als ein Wachsen, Schwellen, und umgekehrt die geringere Klcmg-
stttrke als ein Schwinden empfunden wird.

Neben der elementaren Wirkung des Rhythmus nannten wir die elemen¬
tare Wirkung der Melodie als elementaren Factor des musikalischen Eindrucks.
Die Melodie als wohlgeordnete Reihe von Tönen verschiedener Tonhöhe und
verschiedener Dauer ist freilich kein elementarer Factor, sondern sogar, wenn wir von
der Mehrstimmigkeit absehen, ein vollständiges Kunstwerk. Das Elementare in
der Melodie ist eben das, was sie ohne die rhythmische Ordnung und ohne die
harmonische Beziehung der Töne nicht ist, d. h. die nackte Veränderung der
Tonhöhe.

Da gilt es denn wiederum ein Factum unseres Empfindens zu constatiren,
freilich ohne den Versuch einer Erklärung. Denn wenn es auch ungefähr eine
Mitte giebt, jenseit deren die Töne uns hoch oder tief erscheinen, welche Mitte
im allgemeinen mit der Mitte der für uns überhaupt wahrnehmbaren Töne zu¬
sammenfallen, im besonderen aber der Mitte der für ein Instrument oder eine
Singstimme erreichbaren Töne entsprechen wird, so giebt es doch keine Erklärung
für die Empfindung der Höhe und Tiefe selbst. Daß dieselbe von der lang¬
sameren oder schnelleren Schwingungsfolge abhängt, ist bekannt; in der Empfin¬
dung der Tonhöhe ist jedoch von dieser Beziehung nichts zu spüren. Selbst
die häufig ausgesprochene Bemerkung, daß die tieferen Töne uns schwerer,
massiger, plumper erscheinen als die leichten, beweglichen, hohen, ist nur mit
Reserve zu bestätige«; deun stavoato vorgetragene schnelle Baßfiguren im
xiimiWiino haben ganz bestimmt nichts Schwerfälliges und dürften an Flüchtig¬
keit und gespensterhafter Körperlosigkeit mit den höchsten Flöten- oder Vivlin-
figuren rivalisiren. Doch ist allerdings im allgemeinen zu constatiren, daß hohe
Töne beweglicher erscheinen, tiefe dagegen tastender. Unzweifelhaft erscheinen
uns die sogenannten hohen Töne Heller, die tiefen dunkler, und der Uebergang
aus den dunklerei? in die helleren und umgekehrt erscheint als ein Steigen und
Fallen. Der Wechsel der Tonhöhe bringt also eine elementare, durch keine Re¬
flexion hinwegznschaffende Wirkung hervor, welche sich etwa einem Emporziehen


Grenzboten III. 1880. L0
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[0234] Auflösung anderer in kleinere Notenwerthe — durch Punktirungen, Pausen u. s. w. — sind auf ti< verschiedene Dynamik zu beziehen, gehören aber erst recht uicht mehr in das Gebiet der elementaren Wirkung, wenn sie auch selbst¬ verständlich als Modificationen derselben anzusehen sind. Sofern dieselben nicht willkürlich und ordnungslos geschehen, sondern eine gewisse Regelmäßigkeit auf¬ weisen, werden wir sie als Gestaltungen des elementaren Materials durch ästhe¬ tische Principien wiederfinden. Dagegen ist allerdings der verschiedenen Dyna¬ mik an sich eine elementare Wirkung zuzuschreiben, welche der der verschiedenen Bewegungsgeschwindigkeit ganz ähnlich ist, sofern die größere Klangstürke als größere Kraft, als ein Wachsen, Schwellen, und umgekehrt die geringere Klcmg- stttrke als ein Schwinden empfunden wird. Neben der elementaren Wirkung des Rhythmus nannten wir die elemen¬ tare Wirkung der Melodie als elementaren Factor des musikalischen Eindrucks. Die Melodie als wohlgeordnete Reihe von Tönen verschiedener Tonhöhe und verschiedener Dauer ist freilich kein elementarer Factor, sondern sogar, wenn wir von der Mehrstimmigkeit absehen, ein vollständiges Kunstwerk. Das Elementare in der Melodie ist eben das, was sie ohne die rhythmische Ordnung und ohne die harmonische Beziehung der Töne nicht ist, d. h. die nackte Veränderung der Tonhöhe. Da gilt es denn wiederum ein Factum unseres Empfindens zu constatiren, freilich ohne den Versuch einer Erklärung. Denn wenn es auch ungefähr eine Mitte giebt, jenseit deren die Töne uns hoch oder tief erscheinen, welche Mitte im allgemeinen mit der Mitte der für uns überhaupt wahrnehmbaren Töne zu¬ sammenfallen, im besonderen aber der Mitte der für ein Instrument oder eine Singstimme erreichbaren Töne entsprechen wird, so giebt es doch keine Erklärung für die Empfindung der Höhe und Tiefe selbst. Daß dieselbe von der lang¬ sameren oder schnelleren Schwingungsfolge abhängt, ist bekannt; in der Empfin¬ dung der Tonhöhe ist jedoch von dieser Beziehung nichts zu spüren. Selbst die häufig ausgesprochene Bemerkung, daß die tieferen Töne uns schwerer, massiger, plumper erscheinen als die leichten, beweglichen, hohen, ist nur mit Reserve zu bestätige«; deun stavoato vorgetragene schnelle Baßfiguren im xiimiWiino haben ganz bestimmt nichts Schwerfälliges und dürften an Flüchtig¬ keit und gespensterhafter Körperlosigkeit mit den höchsten Flöten- oder Vivlin- figuren rivalisiren. Doch ist allerdings im allgemeinen zu constatiren, daß hohe Töne beweglicher erscheinen, tiefe dagegen tastender. Unzweifelhaft erscheinen uns die sogenannten hohen Töne Heller, die tiefen dunkler, und der Uebergang aus den dunklerei? in die helleren und umgekehrt erscheint als ein Steigen und Fallen. Der Wechsel der Tonhöhe bringt also eine elementare, durch keine Re¬ flexion hinwegznschaffende Wirkung hervor, welche sich etwa einem Emporziehen Grenzboten III. 1880. L0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/234>, abgerufen am 23.07.2024.