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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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glücklichste umgangen und die Aufmerksamkeit des Lesers bis zum Schluß fest¬
gehalten.

Das Aufsehe", welches die 1763 veröffentlichte erste Abtheilung des Ge¬
dichts, "Der Morgen", erregte, war ein allgemeines und völlig beispielloses.
Obgleich der Autor sich von jeder persönlichen Invective ferngehalten hatte und
niemand deu stricten Beweis hätte erbringen können, daß eine fürstliche Per¬
sönlichkeit, die man als das Original des Haupthelden bezeichnete, ihm wirklich
eigens Modell gesessen, so sah doch jedermann in dieser typisch ausgeprägten
Gestalt das sprechende Porträt eines mailändischen Junkers jener Tage.

"Mein junger Herr," so hebt der Dichter an, "mag das Blut aus eiuer
laugen Reihe hocherhabeuer Leuten himmlisch rein in dir fließen, oder mögen
die Fehler des Blutes durch erkaufte Ehren und durch Reichthümer aufgewogen
werden -- laß dich von mir belehren, wie du den Ueberdruß und die Lange¬
weile dieser Erdentage vertreiben kannst. Was Morgens, Mittags, Abends
deine Sorge sein müsse, wirst du von mir vernehmen, wenn anders dir in deinen
Mußestunden noch Muße bleibt, meinen Versen Gehör zu schenken." Es folgt
nun eine Schilderung des anbrechenden Morgens, in der das Treiben des
Landmanns und des Handwerkers den wirksamen Contrast zu dem übermäch¬
tigen adlichen Schlemmer bildet, der zu später Stunde erwacht, sich von seinen
Dienern Erquickungen ans Bett bringen läßt und den Lehrer "des zarten Idioms
von der Seine" empfängt ... "Hasse die unreinen Lippen," so mahnt ihn der
Dichter, "die sich noch zu beflecken wagen mit der Sprache, in welcher einst¬
mals in Valchiusa Laura gepriesen ward." Dann wird die Toilette geschil¬
dert und der Held aufgefordert, an eine Gefährtin für den Tag zu denke",
natürlich an eine bereits vermählte Dame. Das bietet Veranlassung zur Ein-
flechtung eiuer Fabel von Amor, der es bei seiner Mutter durchsetzt, daß er
vou der Aufsicht seines Bruders Hymen befreit wird und nie mehr in seiner
Gesellschaft zu sein braucht -- ein vernichtender Hieb gegen die Frivolität der
schönen Welt Italiens, dessen Berechtigung Ugo Foscolo einmal englischen
Lesern gegenüber sehr zutreffend betont. Beiläufig sei erwähnt, daß Parmi
mythologische Anspielungen und Nomenclaturen in ziemlich großem Umfange an¬
wendet, was natürlich nicht ihm, sondern dem herrschenden Geschmack seiner
Zeit zur Last zu legen ist. Von komischster Wirkung ist das Pathos, mit dem
der Friseur aufgefordert wird, das ganze Maß seiner Geschicklichkeit an dem
erhabenen Gönner aufzubieten, fein der Spott, mit dem der Dichter die Manie
für das Ausländische geißelt, indem er seinem Helden empfiehlt, während der
Frisur die französischen Modeschriftsteller zu durchblättern, Voltaire, "den viel¬
gestaltigen Proteus Frankreichs, den allzusehr getadelten und mit noch größerem
Unrecht zu sehr gelobten" . . .


glücklichste umgangen und die Aufmerksamkeit des Lesers bis zum Schluß fest¬
gehalten.

Das Aufsehe», welches die 1763 veröffentlichte erste Abtheilung des Ge¬
dichts, „Der Morgen", erregte, war ein allgemeines und völlig beispielloses.
Obgleich der Autor sich von jeder persönlichen Invective ferngehalten hatte und
niemand deu stricten Beweis hätte erbringen können, daß eine fürstliche Per¬
sönlichkeit, die man als das Original des Haupthelden bezeichnete, ihm wirklich
eigens Modell gesessen, so sah doch jedermann in dieser typisch ausgeprägten
Gestalt das sprechende Porträt eines mailändischen Junkers jener Tage.

„Mein junger Herr," so hebt der Dichter an, „mag das Blut aus eiuer
laugen Reihe hocherhabeuer Leuten himmlisch rein in dir fließen, oder mögen
die Fehler des Blutes durch erkaufte Ehren und durch Reichthümer aufgewogen
werden — laß dich von mir belehren, wie du den Ueberdruß und die Lange¬
weile dieser Erdentage vertreiben kannst. Was Morgens, Mittags, Abends
deine Sorge sein müsse, wirst du von mir vernehmen, wenn anders dir in deinen
Mußestunden noch Muße bleibt, meinen Versen Gehör zu schenken." Es folgt
nun eine Schilderung des anbrechenden Morgens, in der das Treiben des
Landmanns und des Handwerkers den wirksamen Contrast zu dem übermäch¬
tigen adlichen Schlemmer bildet, der zu später Stunde erwacht, sich von seinen
Dienern Erquickungen ans Bett bringen läßt und den Lehrer „des zarten Idioms
von der Seine" empfängt ... „Hasse die unreinen Lippen," so mahnt ihn der
Dichter, „die sich noch zu beflecken wagen mit der Sprache, in welcher einst¬
mals in Valchiusa Laura gepriesen ward." Dann wird die Toilette geschil¬
dert und der Held aufgefordert, an eine Gefährtin für den Tag zu denke«,
natürlich an eine bereits vermählte Dame. Das bietet Veranlassung zur Ein-
flechtung eiuer Fabel von Amor, der es bei seiner Mutter durchsetzt, daß er
vou der Aufsicht seines Bruders Hymen befreit wird und nie mehr in seiner
Gesellschaft zu sein braucht — ein vernichtender Hieb gegen die Frivolität der
schönen Welt Italiens, dessen Berechtigung Ugo Foscolo einmal englischen
Lesern gegenüber sehr zutreffend betont. Beiläufig sei erwähnt, daß Parmi
mythologische Anspielungen und Nomenclaturen in ziemlich großem Umfange an¬
wendet, was natürlich nicht ihm, sondern dem herrschenden Geschmack seiner
Zeit zur Last zu legen ist. Von komischster Wirkung ist das Pathos, mit dem
der Friseur aufgefordert wird, das ganze Maß seiner Geschicklichkeit an dem
erhabenen Gönner aufzubieten, fein der Spott, mit dem der Dichter die Manie
für das Ausländische geißelt, indem er seinem Helden empfiehlt, während der
Frisur die französischen Modeschriftsteller zu durchblättern, Voltaire, „den viel¬
gestaltigen Proteus Frankreichs, den allzusehr getadelten und mit noch größerem
Unrecht zu sehr gelobten" . . .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/223>, abgerufen am 25.08.2024.