Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.der Diener noch leidlich herauszureden gewußt. Dennoch hatte die Gräfin Ver¬ Die Gräfin war natürlich über den schnöden Raub im höchsten Grade An das Königliche Oberamt schrieb sie sofort, daß Hre Tochter "mittelst Sofort wurden vom Oberamte zu Breslau die nöthigen Maßregeln ge¬ der Diener noch leidlich herauszureden gewußt. Dennoch hatte die Gräfin Ver¬ Die Gräfin war natürlich über den schnöden Raub im höchsten Grade An das Königliche Oberamt schrieb sie sofort, daß Hre Tochter „mittelst Sofort wurden vom Oberamte zu Breslau die nöthigen Maßregeln ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147308"/> <p xml:id="ID_558" prev="#ID_557"> der Diener noch leidlich herauszureden gewußt. Dennoch hatte die Gräfin Ver¬<lb/> dacht geschöpft, der, nachdem er für einen Augenblick wieder geschwunden, durch<lb/> deu Brief einer Gräfin Althatt neu belebt und verstärkt wurde, die ihr rieth,<lb/> vor dem sogenannten Baron von Metau auf der Hut zu sein. So wurde<lb/> le More die Sache bedenklich, und er entschloß sich, in den nächsten Tagen die<lb/> Flucht zu bewerkstelligen. Der Kammerdiener Georgi, der den anfangs erwähn¬<lb/> ten Brief an die Herzogin geschrieben hatte, war natürlich mit ihm verbündet,<lb/> und nachdem sie die Tochter vorbereitet, entschloß man sich, am Morgen des<lb/> 3. August 1724 die Entführung zu wagen. Das Wagniß glückte: die junge<lb/> Gräfin gelangte wohlbehalten nach Weißenfels. Nur auf le More wartete mau<lb/> dort vergebens.</p><lb/> <p xml:id="ID_559"> Die Gräfin war natürlich über den schnöden Raub im höchsten Grade<lb/> aufgebracht. Als wider Erwarten ihre Tochter bis um 2 Uhr Mittag — vor<lb/> 12 Uhr stand die Gräfin Mutter nicht auf — nicht erschienen war, befahl sie,<lb/> nach ihr zu sehen. Wie sie hörte, daß sie nicht zu finden sei, schrie sie Ver¬<lb/> rath, ergriff ihre Pistolen und ging nach dem Zimmer le Mores, das aber<lb/> verschlossen war. Ihr Schießen durch die Thür war vergebens, da der Kammer¬<lb/> diener vorher die Kugeln aus den Pistolen entfernt hatte. Nachdem sie sich<lb/> vom ersten Schrecken erholt hatte, befahl sie anzuspannen und den Flüchtlingen<lb/> nachzusetzen. Sie wollte alle tödten. Schließlich überzeugt, daß sie sie nicht<lb/> mehr würde einholen können, schickte sie ihren katholischen Kammerdiener, einen<lb/> Schreiber und einen Vorreiter ab, deu Flüchtlingen nachzujagen und sie lebendig<lb/> oder todt einzuliefern, die Tochter jedenfalls lebendig zu überbringen, .denn diese<lb/> wollte sie selbst strafen. Auch gab sie ihren Leuten Steckbriefe mit, die mög¬<lb/> lichst verbreitet werden sollten.</p><lb/> <p xml:id="ID_560"> An das Königliche Oberamt schrieb sie sofort, daß Hre Tochter „mittelst<lb/> einer mit vier Schimmeln und drei Rappen bespannten Schäße" entführt worden,<lb/> begleitet außer von dem Kutscher von einem anderen Bedienten, dann von ihrem<lb/> intorinator, einem jungen Menschen von 24 Jahren und dem Aufwärter der<lb/> Gräfin. Dem Anschein uach hätten sie den ocmrs über Friedland und Grottkau<lb/> genommen, um aller Wahrscheinlichkeit nach nach Sachsen zu gelangen. Als<lb/> Grund der Entführung gab sie an, daß es darauf abgesehen sei, ihre Tochter<lb/> in Sachsen zu erziehen. An die geistlichen Obrigkeiten hatte sie durch ihre Be¬<lb/> dienten, welche sie zur Verfolgung der Flüchtlinge ausgesandt hatte, Briefe er¬<lb/> gehen lassen, daß ihre Tochter hauptsächlich deshalb entführt worden sei, um<lb/> zu verhindern, daß sie katholisch werde. Damit hatte sie natürlich die mächtig-<lb/> sten und einflußreichsten Helfer gewonnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_561" next="#ID_562"> Sofort wurden vom Oberamte zu Breslau die nöthigen Maßregeln ge¬<lb/> troffen. An alle Fürstentümer wurde ein Circularschreiben abgefertigt, „die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
der Diener noch leidlich herauszureden gewußt. Dennoch hatte die Gräfin Ver¬
dacht geschöpft, der, nachdem er für einen Augenblick wieder geschwunden, durch
deu Brief einer Gräfin Althatt neu belebt und verstärkt wurde, die ihr rieth,
vor dem sogenannten Baron von Metau auf der Hut zu sein. So wurde
le More die Sache bedenklich, und er entschloß sich, in den nächsten Tagen die
Flucht zu bewerkstelligen. Der Kammerdiener Georgi, der den anfangs erwähn¬
ten Brief an die Herzogin geschrieben hatte, war natürlich mit ihm verbündet,
und nachdem sie die Tochter vorbereitet, entschloß man sich, am Morgen des
3. August 1724 die Entführung zu wagen. Das Wagniß glückte: die junge
Gräfin gelangte wohlbehalten nach Weißenfels. Nur auf le More wartete mau
dort vergebens.
Die Gräfin war natürlich über den schnöden Raub im höchsten Grade
aufgebracht. Als wider Erwarten ihre Tochter bis um 2 Uhr Mittag — vor
12 Uhr stand die Gräfin Mutter nicht auf — nicht erschienen war, befahl sie,
nach ihr zu sehen. Wie sie hörte, daß sie nicht zu finden sei, schrie sie Ver¬
rath, ergriff ihre Pistolen und ging nach dem Zimmer le Mores, das aber
verschlossen war. Ihr Schießen durch die Thür war vergebens, da der Kammer¬
diener vorher die Kugeln aus den Pistolen entfernt hatte. Nachdem sie sich
vom ersten Schrecken erholt hatte, befahl sie anzuspannen und den Flüchtlingen
nachzusetzen. Sie wollte alle tödten. Schließlich überzeugt, daß sie sie nicht
mehr würde einholen können, schickte sie ihren katholischen Kammerdiener, einen
Schreiber und einen Vorreiter ab, deu Flüchtlingen nachzujagen und sie lebendig
oder todt einzuliefern, die Tochter jedenfalls lebendig zu überbringen, .denn diese
wollte sie selbst strafen. Auch gab sie ihren Leuten Steckbriefe mit, die mög¬
lichst verbreitet werden sollten.
An das Königliche Oberamt schrieb sie sofort, daß Hre Tochter „mittelst
einer mit vier Schimmeln und drei Rappen bespannten Schäße" entführt worden,
begleitet außer von dem Kutscher von einem anderen Bedienten, dann von ihrem
intorinator, einem jungen Menschen von 24 Jahren und dem Aufwärter der
Gräfin. Dem Anschein uach hätten sie den ocmrs über Friedland und Grottkau
genommen, um aller Wahrscheinlichkeit nach nach Sachsen zu gelangen. Als
Grund der Entführung gab sie an, daß es darauf abgesehen sei, ihre Tochter
in Sachsen zu erziehen. An die geistlichen Obrigkeiten hatte sie durch ihre Be¬
dienten, welche sie zur Verfolgung der Flüchtlinge ausgesandt hatte, Briefe er¬
gehen lassen, daß ihre Tochter hauptsächlich deshalb entführt worden sei, um
zu verhindern, daß sie katholisch werde. Damit hatte sie natürlich die mächtig-
sten und einflußreichsten Helfer gewonnen.
Sofort wurden vom Oberamte zu Breslau die nöthigen Maßregeln ge¬
troffen. An alle Fürstentümer wurde ein Circularschreiben abgefertigt, „die
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